Die Natur braucht den Menschen nicht, die Kunst braucht ihn allerdings schon. Ganz so leicht lässt sich der Unterschied zwischen den beiden Sphären Natur und Kunst, die häufig als Gegensätze verstanden werden, dann doch nicht definieren. An der Kunstgeschichte der Uni Graz wird das Verhältnis zwischen Natur und Kunst untersucht:
Das Projekt „Naturally Hypernatural I. Concepts of Nature“ und „Naturally Hypernatural III. Hypernatural Landscapes in the Anthropocene“ ist in Zusammenarbeit von Studierenden und Wissenschaftern unter der Leitung der Kunsthistorikerin Sabine Flach entstanden. Vergangene Woche wurden die in zwei Jahren intensiver transdisziplinärer und transkontinentaler Forschung (ein weiterer Standort des Forschungsprojekts ist New York) entstandenen Beiträge im Rahmen einer NachwuchsforscherInnen-Tagung und einer Buchpräsentation in der Gallerie Galerie Zimmermann Kratochwill in Graz vorgestellt.
Natürlich- und Übernatürlichkeit – Vom Holozän zum Anthropozän
Holozän? Anthropozän? Bis in die 1950er-Jahren habe man sich vorgestellt, dass der Mensch der Erde und ihren Prozessen (wie zum Beispiel den Gezeiten) ausgeliefert ist. Diese Sichtweise, erklärt Sabine Flach, werde auch als Holozän bezeichnet.
Mittlerweile leben wir im Anthropozän. Unter diesem Begriff versteht man hingegen die Vorstellung, dass der Mensch in einem Zeitalter lebt, auf welches er zu großen Teilen aktiv Einfluss nehmen kann. „Die Ablösung vom Holozän durch das Anthropozän hat sich maßgeblich auf das heutige Verständnis von Natur und Kunst ausgewirkt.“ Und so setzt sich „Naturally Hypernatural“ mit Konzepten und Phänomenen von Natur auseinander, die nicht in die Kunst übertragen werden, sondern selbst das Kunstwerk stellen.
Wiederentdeckung der Natur in der Gegenwartskunst
Die Natur sei eigentlich immer schon immer Thema der Künste gewesen, erinnert Flach. Doch beim Anblick der künstlerischen Arbeiten auf der Documenta in Kassel im Jahr 2012 (der weltweit bedeutendsten Ausstellungsplattform für zeitgenössische Kunst) fiel der Professorin ein wieder gesteigertes Interesse an der Natur ins Auge. Viele Arbeiten widmeten sich dem „Well-Use“, also dem Wert und der Verwertbarkeit von Natur.
„Die Künstlerin Claire Pentecost hatte verwertbare Erde – im Englischen Original „soil“ – nach Kassel gebracht. Anstatt sie aber nur aufzuhäufen, brachte sie die Erde in die Form von Goldbarren.“ Ein Beispiel für eine Vielzahl künstlerischer Statements, die auf die zunehmende Ökonomisierung von Natur aufmerksam machen wollen, erklärt Flach.
Diese Eindrücke auf der Documenta waren der Initialmoment für „Naturally Hypernatural“. Das Projekt versucht dieses facettenreiche Verhältnis von Natur und Kunst zu untersuchen.
Wenn die Lehrenden einmal zuhören müssen
Die Forschungsergebnisse wurden gemeinsam mit den analysierten Kunstwerken in der Grazer Galerie Zimmermann-Krachtowill präsentiert, Flach dazu: „Wir wollten dafür sozusagen bewusst den Spieß umdrehen, also die Studierenden dazu animieren, ihre Ergebnisse den Lehrenden zu präsentieren – und nicht wie üblich, umgekehrt vorzugehen“, erklärt die Professorin das Konzept. Es gehe darum, die Scheu davor zu verlieren, über die eigenen Forschungsleistungen zu sprechen. „Das ist auch eine tolle Gelegenheit für Studierende, einen Einblick in die Lehre zu bekommen.“
Autorin: Nadine Obermüller