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19. März 2017

Riesenzecken-Kleber für menschliches Gewebe

Von Schrödingers Katze
Faktencheck
Können wir Hautverletzungen und eventuell sogar Bänderrisse künftig mithilfe von Zecken zur Heilung zusammenkleben? Wiener Forscher untersuchen, inwiefern „Zecken-Zement“ als biologischer Klebstoff für menschliches Gewebe dienen kann.

Als Blutsauger und Krankheitsüberträger zählte sie bisher nicht zu den klassischen Sympathieträgern im Tierreich. Das wird sich zwar kaum sehr bald ändern, doch dank ihrer natürlichen Klebesubstanz kann die Zecke nun vermutlich einen Beitrag zum medizinischen Fortschritt leisten.

Wozu produzieren Zecken überhaupt „Kleber“? Die Zecke verankert sich in der Haut, mit dem Ziel, dort mehrere Tage zu verharren, bis sie sich ausreichend mit Blut vollgesogen hat. Dafür benutzt sie eine zementartige Substanz, die wie ein Haftdübel für ihre Mundwerkzeuge funktioniert. Dieser „Zecken-Zement“ könnte künftig als Vorbild für einen biologischen Klebstoff für menschliches Gewebe dienen und steht nun im Fokus eines Forschungsprojekts, das Sylvia Nürnberger von der Universitätsklinik für Unfallchirurgie auf der Medizinischen Universität Wien gemeinsam mit Martina Marchetti-Deschmann von der Technischen Universität Wien durchführt.

Die Idee, die Zecke dafür heranzuziehen, ist durch ein Gespräch mit einem Forscher entstanden, der sich viel mit den Wirbeltier-Parasiten beschäftigt hat. Zecken zählen zu den sogenannten Parasitiformes – der Gruppe jener Milben, die den Parasiten zugeordnet werden. „Wir waren auf der Suche nach einer neuen Spezies, die gut verträgliche und stark haftende Klebstoffe produzieren könnte. Durch das Gespräch mit dem Kollegen kam die Sprache auf die Zecke und ihren besonderen Zement“, sagt Nürnberger. Mithilfe der Tiere wolle man nun untersuchen, inwiefern sich das Haftmaterial der Zecke für die Entwicklung eines biologischen Klebstoffes eigne.

Da viele der derzeit in der Medizin verwendeten Gewebekleber schädlich wirken – etwa Reaktionen und Verhärtungen des Gewebes hervorrufen können –, ist es wünschenswert, biologische Alternativen zu finden. Diese enthalten im Gegensatz zu den herkömmlichen keinerlei Cyanoacrylate oder Formaldehyde. „Es gibt derzeit kaum Alternativen für die teilweise toxischen Gewebekleber. Die bekannteste heißt Fibrin“, so die Projektleiterin, „Fibrinkleber ist zwar sehr biokompatibel, wirkt blutstillend und geweberegenerierend, klebt aber leider nicht sehr stark“. Die derzeit verwendeten herkömmlichen Gewebekleber weisen dagegen Haftkräfte auf, die bisher durch biologische Klebstoffe nicht erreicht werden konnten. Ein Faktor, den man mithilfe der Zecke nun ändern möchte.

Kleine Auswahl an Parasiten. Die meisten scheinen aber nicht so gut zu kleben wie die Zecke.

Mit Klebstoff vom „Zecken-Zement“ Nähte und Metall vermeiden

Mit einem biologischen Kleber nach dem Vorbild „Zecken-Zement“ könnten nicht nur Hautverletzungen oder Knorpel geklebt werden, sondern auch das Verankern von Sehnen und Bändern am Knochen bis zu einem gewissen Grad metallfrei erfolgen. „Solche Klebstoffe eignen sich natürlich nicht als Ersatz für große tragende Knochenelemente, weil man hierfür die Stabilität von Metallplatten braucht. Die Verwendung für nicht belastete Knochenteile wäre aber durchaus vorstellbar“, meint Sylvia Nürnberger.

Ebenfalls sei ein Einsatz für Eingriffe an Kreuzbändern künftig denkbar. „Durch das Setzen von Nähten kommt es dabei oft zu Gewebedefekten, die man sich mit einem guten Kleber ersparen könnte. Vorausgesetzt der Klebstoff bringt die mechanischen Anforderungen mit, um den starken Zugkräften in diesem Bereich standhalten zu können“, so die Expertin.

Eine Zecke beißt sich nicht nur an ihrem Opfer fest, sie klebt sich auch fest. Hier allerdings auf der membran. Bild: MedUni Wien

Im Zuge der künftigen Forschungsarbeit soll auch herausgefunden werden, warum ein Zeckenbiss fallweise zu Hautreizungen führt. „Diesen Faktor werden wir genau analysieren. Prinzipiell gehen wir aber davon aus, dass die Klebesubstanz der Zecke selbst nichts mit diesen Unverträglichkeiten zu tun hat. Da wir nicht den ganzen Zement chemisch nachbauen wollen, sondern uns nur für die Substanz mit den Klebeeigenschaften interessieren, hat unser Vorhaben nicht unmittelbar etwas damit zu tun“, sagt Nürnberger.

Geforscht wird in Wien im Rahmen eines Kooperationsprojekts mit dem europaweiten „Netzwerk Bioklebestoffe“, das sich unter der EU-Förderung COST gebildet hat und von dem Ludwig-Boltzmann-Institut für experimentelle und klinische Traumatologie koordiniert wird. 300 einheimische Zecken sollen dafür herangezogen werden.

In den Ohren von (Haus)tieren und überall dort, wo die Haut dünn ist, fühlen sich Zecken besonders wohl.

Südafrikanische Riesenzecken auf Kuhattrappe

Auch ein Forschungsaufenthalt in Südafrika ist geplant. Dort sollen nämlich ansässige Riesenzecken untersucht werden. „Wir wollen den Zement der Riesenzecken mit dem von unseren einheimischen Arten vergleichen“, erklärt Nürnberger, „diese Art verfügt aufgrund ihrer Größe über mehr Zement. Ein Umstand, der möglicherweise noch umfassendere Analysen zulässt und so die Entwicklung standardisierter Methoden fördert.“

Der Zement der Zecke wird mit speziell entwickelten Systemen gewonnen. „Eine Kultivierungsstation muss man sich wie einen Becher vorstellen, auf dessen Unterseite eine hautähnliche Membran befestigt ist. Auf diese werden Rinderhaare angebracht, damit die Zecke denkt, dass sie auf einem Tier sitzt“, erläutert Nürnberger die genaue Vorgehensweise. „Der Behälter steht wiederum in einem anderen Becher, der mit Blut befüllt ist.“ So werde die Zecke dazu animiert, die Membran zu durchstechen und das Blut aufzusaugen. Nürnberger: „Während sie so verfährt, gibt sie den Zement an der Unter- oder Oberseite der Membran ab – und nachdem sie sich sattgesogen hat, lässt sie diese von ganz alleine wieder los.

Zeckenzement an der Unterseite der Membran. Bild: MedUni Wien

Künftig könnten auch Salamander „angezapft“ werden 

Auch andere Tiere verfügen über ganz ähnliche Klebesubstanzen. Als derzeitiges Paradebeispiel für die Entwicklung neuer biologischer Klebstoffe gelten laut Nürnberger die Haftfäden der Miesmuschel. Daraus wurde der sogenannte DOPA-Haftmechanismus entwickelt, der jedoch ebenfalls aufgrund seiner geringen Haftstärke nicht für alle medizinischen Bereiche geeignet ist.

Weitere potentielle „Klebstoffspender“ könnten Seegurken, Salamander, Insektenlarven oder sogar Krebse sein. „Die meisten dieser Versuche befinden sich, so wie der Zecken-Zement, noch im Stadium des chemischen Nachbaus. In der Zukunft aber wäre es durchaus denkbar, die verschiedenen tierischen Substanzen untereinander zu kombinieren oder mit einer Zusammenführung von bereits bestehenden Klebersorten zu experimentieren“, so Nürnberger. Es habe auch schon Kombinationsversuche von DOPA und Hydrogelen gegeben. Vorerst wird man sich auf der MedUni jedoch weiter intensiv auf die Zecke konzentrieren.

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