Ganz in weiß, der gelben Irokesen perfekt gestylt. Snowball ist bereit für seinen Auftritt. Queens Another One Bites the Dust hämmert aus den Boxen und Snowball legt los. Er wippt, stampft im Takt, schüttelt und wiegt seinen Kopf im Fluss der Musik. Ungeniert und ohne jegliche Hemmung. Komplett im Sog des Beats. Snowball ist ein Kakadu – und millionenfach geklickter Internet-Star auf YouTube.
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Für Marisa Hoeschele ist Snowball eine animalische Ausnahmeerscheinung. Ein Vogel mit einem Rhythmusgefühl, um das ihn viele Menschen beneiden, wenn sie ungelenk auf der Tanzfläche nach dem Takt stöbern. „Tiere verfügen über viele Eigenschaften, die auch für das menschliche Musikverständnis wichtig sind. Wir haben Beweise, dass Tiere zumindest über fundamentale Komponenten menschlicher musikalischer Fähigkeiten verfügen.“ Snowball ist da nur ein besonders telegenes Beispiel. Eine grundsätzliche Unterscheidung gilt es aber gleich zu treffen. Musikalität ist nicht gleich Musik. „Musikalität beschreibt die biologischen und kognitiven Fähigkeiten, mit denen Menschen geboren werden oder die sie sich natürlich aneignen. Da geht es um die menschliche Natur und nicht um eine kulturelle Erfahrung“, erklärt Hoeschele.
Pet Sounds
Ihre Hitparade der musikalisch begabten Tiere zeigt, dass es mit Snowballs Im-Takt-Wippen noch lange nicht getan ist.
Im Reich der Tiere gibt es neben Shakern wie ihm (oder auch Elefanten und Seelöwen), auch Stimmenimitatoren, die mit ihrer Stimme Geräusche der Umgebung nachahmen (Singvögel, Papageien, Kolibris, Fledermäuse, Elefanten oder Wale). Es finden sich Arten mit einem Händchen für Coverversionen, also für längere Melodien, die nachempfunden werden (Dompfaffen). Menschenaffen hingegen sind die Beat-Meister der Tierwelt, die auf allem was sich finden lässt ihren rohen Rhythmus dahintrommeln. Singvögel und Papageien verfügen über ein absolutes Gehör, das genauer sein soll als die ohnehin seltene menschliche Ausprägung. Und sogar Fische haben ein Talent, das ihnen wohl die wenigsten zugetraut hätten. Karpfen können nämlich zwischen verschiedenen Musikstilen unterscheiden. Eine Eigenschaft die sie mit den anderen großen Genre-Auskennern, den Tauben, verbindet.
„Selbst in der Aussprache gibt es grundlegende Ähnlichkeiten zwischen Mensch und Tier“ – Marisa Hoeschele
In ihrer Studie „Searching for the origins of musicality across species“ hat Marisa Hoeschele aktuelle Forschungsergebnisse zusammengetragen und daraus die wesentlichen Essenzen destilliert. Dabei drängt sich eine Theorie immer mehr in den Vordergrund. Viel spricht nämlich dafür, dass es eine universale Musik gibt, eine uralte Jukebox musikalischer Fähigkeiten, die sich im Lauf der Evolution in Mensch und Tier unterschiedlich entwickelt haben. „Selbst in der Aussprache gibt es grundlegende Ähnlichkeiten zwischen Mensch und Tier, eine höhere Stimmlage bedeutet bei beiden entweder Dringlichkeit oder Unterordnung.“
Mehr Milch durch R.E.M
Dass Kühe mehr Milch geben, wenn sie wohlige, ruhige Musik hören, unterstützt die Theorie der universalen Musik. Forscher fanden heraus, dass etwa das R.E.M Lied „Everybody Hurts“ oder „Bridge over Troubled Water“ von Simon & Garfunkel die Milch nur so fließen lassen. 3 Prozent mehr Milch waren das Resultat der klanglichen Kuschel-Kur. „Das könnte zeigen, dass diese Musik unsere natürlichen Vorlieben für gewisse Klänge ausnützt“, analysiert Marisa Hoeschele. Diese Vorliebe für Wohlklang (ein schwer zu definierender Ausdruck) gegenüber Misstönen scheint also nicht bloß subjektives Empfinden, sondern vielleicht sogar Teil der universalen Musik. Auch den perfekten Soundtrack für Katzen glauben Wissenschaftler mittlerweile gefunden zu haben.
Unterwasser-Komponisten
Kritiker der Vorstellung einer universalen Musik verweisen auf die Qualität menschlicher Musik. Damit könnten selbst begnadete tierische Komponisten nicht mithalten. Das angesehen Magazin „Nature“ nannte etwa die Wale „unverbesserliche Komponisten“. Begründung: Wale verwenden dem Menschen ähnliche Rhythmen und vergleichbar lange musikalische Phrasen und Lied-Strukturen. Tatsächlich fällt es aber sehr schwer, genau festzustellen, ob Wal-Klänge der Kommunikation oder einem musikalischen Bedürfnis dienen. Doch auch hier ortet Marisa Hoeschele Gemeinsamkeiten mit musikalischen Kreationen menschlichen Ursprungs. „Wie bewusst Musik stattfindet, kann man selbst beim Menschen schwer feststellen. Viele Komponisten sprechen von einem Trance-Zustand während des Komponierens. Sie fühlen sich nicht wirklich in Kontrolle.“ Die Klänge der Wale weisen für Hoeschele zumindest „absichtliche Variationen“ auf und dienen höchstwahrscheinlich der Weitergabe von Informationen, „ganz so wie menschliche Sprache und Musik.“
Der gemeinsame Code
Das gemeinsame Musizieren von Mensch und Tier klingt im Moment noch eher einfach gestrickt. Doch experimentierfreudige Musiker wie Peter Gabriel basteln längst am arten-übergreifenden Wohlklang. Für Marisa Hoeschele und die Wissenschaft stellen sich unterdessen die nächsten entscheidenden Fragen. „Ob etwa Fähigkeiten wie stimmliches Lernen und Taktgefühl zusammengehören und ob jene Tiere, die diese Fähigkeiten haben, so musikalisch sind wie Menschen?“ Doch es geht nicht nur um die Quelle der Musik. Wenn es nämlich den gemeinsamen musikalischen Code gibt, dann könnte das die Mensch-Tier Beziehung in Zukunft verändern. „Wir könnten diese Informationen dazu nützen, uns noch viel aktiver mit Tieren auseinanderzusetzen“, hofft die Forscherin.