Wir leben im Informationszeitalter. Informationen werden – vor allem in digitaler Form – gespeichert und vermittelt. Wir haben täglich Zugriff auf enorm viele Informationen und wir schätzen diese genau so wie Gegenstände. Das hat ein Team aus Wirtschaftswissenschafler*innen und Psycholog*innen der Universität Innsbruck und der Carnegie Mellon University (USA) herausgefunden. Yana Litovsky, selbst am Institut für Banken und Finanzen der Universität Innsbruck tätig, beschäftigt sich in ihrer Forschung damit, wie Menschen Entscheidungen treffen und wie sie Zeit sowie Aufmerksamkeit bewerten. Bisher hat sich die Wirtschaftswissenschaft vor allem auf die persönliche Bewertung von Geld und materiellen Gütern konzentriert. Forschung zum Wert von Informationen gibt es kaum. Daher wollte Yana Litovsky mit ihren Co-Autor*innen herausfinden, inwiefern Menschen Informationen ähnlich schätzen wie materielle Güter oder eben nicht.
Verlustaversion
Die Wissenschafter*innen beziehen sich dabei auf die Prospect Theory (zu Deutsch: Prospekt-Theorie oder Neue Erwartungstheorie): Diese wurde von Daniel Kahneman und Amos Tversky entwickelt. Kahneman erhielt dafür den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften. Die Theorie ermöglicht eine Beschreibung, wie Menschen in risikohaften Situationen Entscheidungen treffen. Die beiden fanden heraus, dass Menschen in positiv geframeten Situationen risikoscheu und in negativ geframeten risikofreudig sind. Dazu Yana Litovsky: „Das vielleicht wichtigste Merkmal der Prospect Theory ist die Verlustaversion, die sich auf die Beobachtung bezieht, dass Menschen dazu neigen, Verluste stärker zu gewichten als Gewinne, und sich daher über einen Verlust mehr ärgern als über einen entsprechenden Gewinn freuen.“ In der ersten (von drei) Studien konnte Litovsky und ihr Team herausfinden, dass Menschen hinsichtlich Informationen diese Verlustaversion ebenso empfinden. Die Proband*innen waren also stärker motiviert, Informationen nicht zu verlieren als neue Informationen zu gewinnen. Die Herausforderung für die Forscher*innen bestand darin, das Gefühl des Informationsverlusts zu erzeugen – ohne den Proband*innen eine bestimmte Information zu geben bzw. beizubringen, da eine erstmals gelernte Information nicht einfach weggenommen werden kann wie ein Gegenstand. „Stattdessen setzten wir die Erwartung voraus, dass die Menschen einige Informationen lernen würden (indem wir ihnen einen unvollständigen Trivia-Faktor zeigten) und bewerteten dann, wie sie sich fühlten, wenn sie die fehlenden Informationen, die sie zu lernen erwartet hatten, nicht lernten“, erklärt Lana Litovsky.
Besitztumseffekt & Framing-Effekt
In einer zweiten Studie konnten die Wissenschafter*innen zeigen, dass Menschen auch bei Informationen den Endowment-Effekt (zu Deutsch: Besitztumseffekt) erleben. Dieser wird oft als Erweiterung der Verlustaversion angesehen. Lana Litovsky erklärt den Effekt: „Er bezieht sich im Wesentlichen auf die Tatsache, dass Menschen Dinge, die sie besitzen, mehr schätzen als Dinge, die sie nicht besitzen.“ Auch das gilt für Informationen. „In Studie 2 ließen wir Menschen erwarten, dass sie eine Reihe von drei Fakten lernen würden, und fanden heraus, dass sie diese Fakten mehr wertschätzten als eine Reihe von vier anderen Fakten, von denen sie nicht erwarteten, dass sie sie lernen würden.“
In der dritten Studie fokussierten die Wissenschafter*innen schließlich auf die ebenso in der Prospect Theory beschriebene Tatsache, dass Menschen unterschiedliche Risikopräferenzen für unsichere Ergebnisse haben, je nachdem ob diese Ergebnisse als Verlust oder Gewinn dargestellt werden bzw. wurden. Das nennt man auch den gain-loss framing effect (zu Deutsch: Framing-Effekt). „In den klassischen Studien, die dieses Phänomen belegen, beschrieben Forscher ein hypothetisches Ergebnis (eine Behandlung für eine bestimmte Krankheit) in Form von Gewinnen (gerettete Leben) oder Verlusten (verlorene Leben) und stellten fest, dass Menschen eher risikofreudig waren, wenn sie an Verluste dachten, und eher risikoscheu, wenn sie an Gewinne dachten. Wir zeigen genau denselben Effekt für Informationen, indem wir die gleichen Ergebnisse als Informationsgewinne oder -verluste umrahmen“, erklärt Yana Litovsky. Sie und ihr Team gaben den Proband*innen die Möglichkeit, einige Fakten sicher zu erlernen oder ein Glücksspiel zu akzeptieren, bei dem sie mehr Fakten oder gar keine Fakten lernen konnten, und die Wissenschafter*innen bezeichneten die beiden Optionen gegenüber den Proband*innen entweder als Gewinn oder Verlust.
Informationen und materielle Güter
Das Fazit der Wissenschafter*innen: „In diesen drei Studien zeigen wir also, dass die Art und Weise, wie Menschen Informationen bewerten, die keinen offensichtlichen materiellen Wert haben (und Entscheidungen darüber treffen, ob sie solche Informationen lernen oder nicht), von den gleichen grundlegenden Prinzipien geleitet wird (und zu einigen der gleichen irrationalen Entscheidungen führt) wie Entscheidungen über materielle Güter.“
Yana Litovsky erinnert daran, dass der Gedanke, dass wir Informationen ähnlich bewerten wie Güter, gerade im Informationszeitalter von Bedeutung sei, da Informationen eben so leicht zugänglich bzw. zu beschaffen seien. Daher seien die Ergebnisse der Studie umso überraschender, denn schließlich können wir Informationen sehr schnell erhalten. Zugleich erinnert die Expertin daran, dass das Informationszeitalter ebenso durch eine zunehmende Kommerzialisierung gekennzeichnet sei (etwa in Form von Bezahlschranken). In ihrer künftigen Forschungsarbeit möchte Lana Litovsky sich weiters den Ähnlichkeiten von Informationen und materiellen Gütern hinsichtlich unserer Wertschätzung widmen. Dazu sagt sie: „Im Großen und Ganzen sind meine Co-Autor*innen und ich also der Meinung, dass eine Analogie zwischen immateriellen Informationen und materiellen Gütern wertvoll sein kann, um die komplexe Art und Weise, wie Menschen mit Informationen interagieren und eine wachsende Anzahl und Bandbreite von Entscheidungen über sie treffen, zu verstehen.“