Die Hochwasserkatastrophe im Juli 2021 in Westeuropa (Deutschland, Belgien, Niederlande, Frankreich, Luxemburg) führte zu verheerenden Zerstörungen: Alleine in Deutschland verloren 180 Menschen ihr Leben, 800 weitere wurden zum Teil schwer verletzt und zahlreiche Häuser zerstört. Die Regenmengen waren enorm: Innerhalb von 24 Stunden fiel bis zu 150 Liter Regen pro Quadratmeter; im gesamten Einzugsgebiet der Ahr – ein Nebenfluss des Rheins – fielen pro Quadratmeter fast 95 Liter Regen innerhalb von 24 Stunden (sonst sind es in diesem Gebiet im Monat Juli durchschnittlich nicht einmal 70 Liter Regen).*
Hätten Wissenschafter*innen eine derart große Flut vorhersagen können? Mit dieser Frage befassen sich Hydrolog*innen, denn Hydrologie ist die Wissenschaft, die sich mit dem Wasser in der Biosphäre der Erde befasst. Günter Blöschl ist Leiter des Instituts für Wasserbau und Ingenieurhydrologie an der TU Wien, wo zu Wasserbewegung in der Landschaft, in Flüssen und im Untergrund sowie deren Wechselwirkung mit anderen Prozessen der Umwelt, technischen Systemen und der Gesellschaft geforscht wird. Gemeinsam mit 56 internationalen Kolleg*innen wertete er mehr als 8000 Messstationen in ganz Europa aus – und das im Zeitraum von 1810 bis 2021. Die Studie wurde in der Fachzeitschrift Nature Geoscience veröffentlicht.
Die Wissenschafter*innen kommen zum Ergebnis, dass es sehr wohl möglich ist, solche Megafluten zu prognostizieren – dazu braucht es Daten aus anderen, ähnlichen Flussgebieten, die in den Berechnungen inkludiert werden.
Daten aus anderen Ländern
Grundsätzlich spricht man von einer Überflutung, wenn das Wasser über die Ufer eines Flusses tritt, erklärt er. „Große Überflutungen treten jedes Jahr in Europa auf, allerdings an unterschiedlichen Orten und oft lokal begrenzt; großräumige Überflutungen ca. alle zehn Jahre. Betrachtet man nicht ganz Europa, sondern eine bestimmte Gewässerstelle (z. B. die Donau bei Wien), treten sie noch viel seltener auf.“
Um das Risiko solcher Überflutungen zu berechnen, werten Wissenschafter*innen die Messungen der Wasserstände der letzten Jahrzehnte an diesen betroffenen Stellen aus, um daraus statistische Kennwerte zu berechnen. Doch das reicht nicht aus: „Unser neuer Ansatz verwendet Hochwassermengen in ähnlichen hydrologischen Gebieten, die nicht unbedingt in der Nähe der betroffenen Stelle sind, sondern in anderen Ländern.“
Beispiel aus Österreich
So sind etwa im Waldviertler Kamptal die Böden ziemlich durchlässig, das lässt Wasser optimal abfließen und die Niederschlagsmengen sind dort nicht sehr hoch. In Vorarlberg wiederum gibt es weniger tiefe und weniger durchlässige Böden und sehr viel mehr Niederschläge. Diese beiden Gebiete lassen sich daher schlecht vergleichen, obwohl sich beide in Österreich befinden. „Hingegen sind manche Gebiete in Sachsen und in Rumänien denen hierzulande sehr ähnlich. Die Daten aus diesen Gebieten kann man dann verwenden, um auch für Österreich genauere Aussagen über die ganz extremen Hochwasser zu treffen.“ Der Experte betont weiters, dass diese Prognosen sich nur auf die Wahrscheinlichkeit eines Hochwasser beziehen – und nicht auf dessen Zeitpunkt. „Mit anderen Worten, man weiß nicht, wann sie auftreten, sondern wie groß sie werden können. Das ist für das Hochwassermanagement genauso wichtig.“
Nötige Maßnahmen
Auf Basis dieser Berechnung können Maßnahmen umgesetzt werden, die eventuelle Schäden verhindern können: „Maßnahmen sind z. B. der Bau von Rückhaltebecken an Bächen und kleinen Flüssen (das sind künstlich angelegte Becken, die größere Wassermengen speichern, Anm.), der Bau von Hochwasserschutzdämmen an größeren Flüssen, der lokale Schutz von Gebäuden und Evakuierungsmaßnahmen.“ Je genauer die Berechnungen die Wahrscheinlichkeiten von ganz großen Überflutungen treffen, desto wirksamer können auch die Maßnahmen sein, so Blöschl weiters. „Sofern man nur die lokalen Messungen der Wasserstände an der betroffenen Stelle analysiert, kann das manchmal nicht der Fall sein.“
Prognose für die Zukunft
Auf die Frage, ob es künftig mehr starke Überflutungen in Europa geben wird, sagt der Experte: „Das kommt auf die Region in Europa und auf die Größe der Einzugsgebiete an. Für große Gebiete sind besonders im Nordosten Europas Zunahmen zu erwarten, für kleine Gebiete in ganz Europa.“
Gerade deshalb braucht es verlässliche Daten und Wissenschafter*innen, die diese auswerten. Günter Blöschl betont, dass hydrographische Dienste in den meisten Ländern national oder regional organisiert sind – und das ist ein Problem. „Ein Datenaustausch ist mit zusätzlichen Kosten und administrativen Problem verbunden, dabei wäre ein stärkerer länderübergreifender Austausch überaus vorteilhaft.“
* Quelle: Bundesministerium des Inneren und für Heimat Deutschland & Bundesministerium der Finanzen Deutschland