Wer als erste Person in einer Familie an einer Hochschule studiert, hat es mitunter schwer: Der Alltag an der Universität ist neu und es fehlt an Maßnahmen, Menschen, die von zu Hause nicht mitbekommen haben, wie es ist zu studieren, zu inkludieren.
Studierende der ersten Generation – das sind solche, deren Eltern keinen Hochschulabschluss haben – sind meist auf sich alleine gestellt. Sie schätzen sich außerdem als weniger intellektuell begabt und talentiert ein – und das hat negative Auswirkungen auf ihre akademische Laufbahn sowie ihre spätere Karriere.
Sozioökonomische Herkunft
Die Psychologin Christina Bauer und ihre Kolleginnen haben untersucht, wie sich die sozioökonomische Herkunft auf die Selbstwahrnehmung von Menschen auswirkt. Unter sozioökonomischer Herkunft versteht man den Stellenwert einer Person in der Gesellschaft. In wissenschaftlichen Studien wird dieser Status durch Faktoren wie Bildungsgrad, Einkommen und beruflicher Position messbar gemacht. Das Ergebnis: Die soziale Herkunft spielt eine große Rolle.
Fokus auf Talent
Generell werden Menschen mit niedrigem sozioökonomischen Status als weniger talentiert gesehen. Durch Sozialisations-Effekte spiegelt sich das auch in der Selbstwahrnehmung von Menschen wider: Studierende der ersten Generation haben weniger Vertrauen in ihre akademischen Fähigkeiten und betrachten sich als weniger talentiert. Gerade diese niedrige Einschätzung hinsichtlich des Talents ist problematisch, denn Talent gilt – zumindest in der westlichen Gesellschaft – als maßgeblich für Erfolg. Talent gilt als angeboren und weniger formbar.
Müssen sich Menschen anstrengen, um etwa in einem Unterrichtsfach gute Noten zu erhalten, denken sie oft, dass mangelndes Talent die Ursache dafür ist. Zudem fühlen sich Studierende der ersten Generation oft weniger wohl im akademischen Umfeld. Sie haben das Gefühl, dass es schwieriger für sie ist, etwas zu erreichen und viele von ihnen glauben, dass Talent mit dem eigenen Bildungsniveau zusammenhängt.
Vergleich mit anderen
Diese Grundannahme führt oft dazu, dass Personen mit niedriger sozialer Herkunft sich in Leistungssituationen weniger wohl fühlen bzw. sie sich erst gar nicht in solche Situationen begeben. Auch der Vergleich mit anderen kann sich negativ auswirken: Dazu Christina Bauer: „Wenn ich im Klassenzimmer neben einer Person mit hohem sozioökonomischen Status sitze, sehe ich ja nicht, wie die Person vielleicht von daheim schon viel mehr Unterstützung bekommen hat, und vertrauter mit den Schulinhalten ist und deswegen Dinge leichter sind. Wenn ich das nicht weiß, kann ich leicht zum Schluss kommen, dass mir Talent fehlt.“
Selbstkonzepte
Die Forscherinnen gehen davon aus, dass sich dieser Effekt hinsichtlich der eigenen Wahrnehmung bereits im Alter zwischen sechs und 14 zeigt. „Später kann sich an Selbstkonzepten sicher noch etwas ändern, aber es wird zunehmend schwieriger, weil es selbstverstärkende Prozesse gibt: Wenn ich denke, ich kann etwas nicht gut, versuch ich es auch gar nicht mehr so sehr. Die resultierenden schlechteren Leistungen verstärken mein Selbstkonzept“, so Christina Bauer.
Fleiß und Stärken hervorheben
Laut Christina Bauer könnte es helfen, die Bedeutung von Fleiß und Motivation mehr zu betonen als die Bedeutung von angeborenem Talent: „Jede/r von uns kann durch Anstrengung, Motivation und Fleiß besser werden.“ Auch Universitäten sollten mehr Wert auf leistungsorientiertes Lernen als auf Talent legen. Sie sollten den Fokus eher auf die eigene (Weiter-)Entwicklung als auf Noten legen. Zum Beispiel fällt es leichter, eine positive Selbstwahrnehmung zu erhalten, wenn man konkretes Feedback über die eigenen Leistungen und Wege zur weiteren Verbesserungen bekommt als eine Note, die den Fokus auf den Vergleich zu anderen verstärkt.
Es ist wichtig, die eigenen Fehler nicht allzu negativ zu sehen – etwa als Zeichen von fehlenden Talents – sondern als Chance, Neues zu lernen. Das nennt man auch „Growth“-Mindset. Auch wenn wir anderen Feedback geben, sollten wir auf Verbesserungsvorschläge und auf den Lernprozess fokussieren; ebenso sollten wir uns nicht mit anderen vergleichen.