Zwei Mal 45 Minuten, 22 Spieler, 24 Nationen, Spielstände, Ballbesitz, Cornervergleich, Tordifferenzen und so weiter und so weiter. Zahlen wie diese durchdringen wieder den Äther – die Europameisterschaft (UEFA Euro 2016) steht bevor. Für Statistiker sind sportliche Großereignisse ein wahres Fest und niemand geht dabei tiefer in die Materie als Wettanbieter und Buchmacher.
Sie bieten Quoten vom ersten Einwurf über die Top Scorer des Turniers bis zur Kombiwette für sämtliche Turnierplatzierungen. Diese setzen sich aus jeder noch so trivial wirkenden Statistik zusammen. Eben jene Statistiken haben Professer Achim Zeileis und sein Team herangezogen, um vorab den Sieger des Turniers zu ermitteln: Laut ihrer Vorhersage wird Frankreich mit 21,5 % zum wahrscheinlichsten kommenden Europameister. Durchgeführt haben die Wissenschaftler dies mit dem:
Verfeinertes Buchmacherwissen
„Predictive Bookmaker Consensus Model for the UEFA Euro 2016“: So der Titel von Zeileis’ Forschungsergebnissen. Verbirgt sich dahinter auch komplexe Mathematik, ist das Modell selbst doch schnell erklärt. Basierend auf den Daten von 19 Wettanbietern werden immer paarweise zwei Mannschaften verglichen und ein wahrscheinlicher Sieger ermittelt. Dieser Prozess wurde von Zeileis nicht weniger als 100.000 Mal für das ganze Turnier simuliert, um sämtliche Möglichkeiten und Paarungen zu berücksichtigen. Die ganze Magie basiert auf einer simplen Formel:
Somit lässt sich nicht nur die Wahrscheinlichkeit für den Turniersieger feststellen, sondern auch die „Überlebensrate“ für die anderen Mannschaften:
Nun könnte man argumentieren, dass Buchmacher beim Berechnen der Quoten ja nichts anderes machen, jedoch fließen noch andere Faktoren in deren Berechnung ein. Bevor die Daten der Buchmacher zur Simulation herangezogen werden konnten, musste die Gewinnmarge der Wettanbieter berücksichtigt werden.
„Die Wettanbieter schütten nicht alle Wetteinsätze zurück an die Kunden aus, sondern stecken einen Teil in die eigene Tasche, wodurch sie die eigenen Gewinne sicherstellen. Bei der EM liegt dieser Anteil bei den meisten Buchmachern rund um 15%“, erklärt Zeileis die Vorgehensweise. Der Statistiker macht sich keine Sorge um die Qualität der Daten von Buchmachern: „Sie müssen alle möglichen Ergebnisse in Turnieren wie der UEFA Europameisterschaft miteinbeziehen, um Quoten vergeben zu können. Fehlerhafte Analysen (zu hohe oder zu niedrige Quoten) würde sie einiges an Geld kosten.“
Österreichs Chancen bei der Euro
Folglich liefern die Ergebnisse der Statistiker für Experten kaum Überraschungen, stimmen sie doch mehr oder weniger mit den bekannten Prognosen überein. Für die heimische Nationalelf schauen die Prophezeiungen dabei so heiter wie noch nie aus. In Zeileis Statistik werden sie als Neunte von 24 teilnehmenden Mannschaften gereiht. Die bedeutet zwar trotzdem nur eine reelle Gewinnwahrscheinlichkeit von 2,3 %, aber immerhin liegen die Chancen für eine Viertelfinalteilnahme bei 35 %.
Statistiker sind keine Propheten
Entwickelt haben Achim Zeileis und seine Kollegen Christoph Leitner und Kurt Hornik von der Wirtschaftsuniversität Wien das Modell natürlich nicht, um Fußballprognosen abzugeben, sondern um die Zahlungsfähigkeit von Kreditnehmern einzuschätzen.
Das Prinzip ist laut Zeileis jedoch sehr ähnlich: „Die Gemeinsamkeit liegt darin, dass ich ‘Experten‘ habe, die ein Interesse daran haben, Ereignisse mit Wahrscheinlichkeiten zu bewerten, die in der Zukunft liegen. Jede Bank muss die Wahrscheinlichkeit dafür möglichst gut abschätzen, dass ein Kunde einen gewährten Kredit nicht zurückzahlt. Wenn sie die Einschätzung schlecht macht, verliert sie Geld – entweder weil die Kunden abwandern oder weil sie zu günstige Konditionen bekommen.“
Der Mathematiker und Statistiker Zeileis schließt mit warnenden Worten, sich nicht allzu sehr auf diese Zahlen zu verlassen. Was sie zur Verfügung stellen, seien keine Prophezeiungen, sondern Wahrscheinlichkeiten. Immerhin ist die Chance, dass Frankreich nicht Europameister wird, im Vergleich zu 23 anderen Teams fast eins zu fünf. Die Erfahrung hat jedoch gezeigt, dass das Modell in der Regel nicht weit fehlt. So gelang es den drei Wissenschaftlern 2010 und 2012, mit Spanien den Sieger vorauszusagen, 2008 konnten zumindest die Finalisten bestimmt werden und 2014 immerhin drei von vier Halbfinalisten.
Schrödingers Katze verfolgt die EM mit wissenschaftlichem Interesse, ohne Wetten auf Wahrscheinlichkeiten abzuschließen, und wünscht einen 100% spannenden Fußballmonat!
Professor Achim Zeileis ist Statistiker an der Universität Innsbruck. Seine Studie entstand aus einer Verbindung von wissenschaftlichem und privatem Interesse. Bei der Bearbeitung von Kreditausfallwahrscheinlichkeiten stießen er und seine Kollegen auf die große Ähnlichkeit zu Buchmachern und Wettprognosen und der Ball kam ins Rollen.
Autor: Stefan Schallert
Zu diesem Artikel gibt es einen Lesetipp: Евро 2016: и победник је
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