Etwa jeder fünfte Mensch leidet unter Zähneknirschen, auch Bruxismus genannt. „Bruxismus/ Zähneknirschen ist eine unwillkürliche Bewegung des Unterkiefers zum Beispiel im Schlaf, bei der die Zähne gegeneinander gerieben werden“, so Expertin Polina Kotlarenko von der Medizinischen Universität Wien. Das Knirschen kann sowohl während des Schlafes (Schlafbruxismus) oder im Wachzustand (Wachbruxismus) auftreten. Die Folgen für Betroffene können dabei mannigfaltig sein, wie Kotlarenko erklärt: „Als Auswirkungen des nächtlichen Knirschens können die Betroffenen an muskulären Verspannungen im Kieferbereich mit möglichen ausstrahlenden Schmerzen im Kopf- und Nackenbereich, Druck im Kiefergelenk und vor allem auch Zahnschmerzen leiden, welche in der Früh beim Aufstehen verstärkt sind. Es kann sogar zu Ohrenschmerzen und Ohrgeräuschen (Tinnitus) kommen.“ Als weitere Folgen nennt die Expertin irreversible Zahnschädigungen und Schädigungen des Kiefergelenks.
Diagnose & Ursachen
Die Diagnose kann dabei unterschiedlich gestellt werden: Oft merke der Partner/die Partnerin, dass jemand mit den Zähne knirsche oder der Zahnarzt/die Zahnärztin erkenne Schlifffacetten an den Zähnen als Indiz für das Knirschen, so Kotlarenko. Zudem nennt sie noch eine weitere Methode zur Diagnose: „Eine weitere Möglichkeit, Zähneknirschen zu diagnostizieren, ist eine „Brux Checker Folie“ anzuwenden. Die mit roter Lebensmittelfarbe überzogene Folie wird individuell für den/die Patient*in an seinem Gebissmodell angefertigt. Die Folie wird für eine Nacht auf den Zahnbogen aufgesetzt und registriert durch Abrieb der Farb-Beschichtung auf der Folie bestimmte Zahnkontakte. Die Auswertung der Knirsch-Muster lasst Rückschlüsse auf Knirschen und mögliche Ursachen zu.“
Über die Ursachen von Bruxismus ist die Forschung noch uneins: Es gibt viele mögliche Gründe wie etwa Stress, Angst- und Schlafstörungen, genetische Faktoren und die Refluxkrankheit. Alkohol- und Drogenkonsum können ebenso zu Bruxismus führen und auch verschiedene Medikamente weisen das Zähneknirschen als Nebenwirkung auf. „Meistens dient das nächtliche Knirschen der Verarbeitung von emotionalen Belastungen oder Stress im Alltag. Eine zusätzliche Ursache können Zahn- oder Kieferfehlstellungen darstellen“, erklärt Kotlarenko die primären Gründe fürs Zähneknirschen.
Aktuelle Studie
Innerhalb der medizinischen Community wird kontroversiell diskutiert, ob Schlafbruxismus mit der Entstehung bzw. dem Fortschreiten von Erkrankungen des Kiefergelenks zusammenhängt. In einer aktuellen Studie, die im Journal of Advanced Research publiziert wurde, konnte der Informatiker Benedikt Sagl mit seinem Team feststellen, dass es sehr wohl Zahnformen- bzw. Positionen gibt, die Kiefergelenksproblemen in Folge von Zähneknirschen (Bruxismus) begünstigen. Ausgangspunkt der Forschungen war die These, dass spezielle Kombinationen aus Zahnform und Zahnposition beim Knirschen einen Einfluss auf die mechanische Belastung des Kiefergelenks haben und daher als Risikofaktor für Erkrankungen in diesem Bereich gelten können.
In der Studie wurde der Effekt zweier Positionen untersucht, nämlich das Knirschen am ersten Molaren und am Eckzahn. Bei seitlichen Bewegungen sei der Eckzahn oft der „führende“ Zahn und der erste Molar sei quasi das „Kraftzentrum“ des Gebisses, erklärt Benedikt Sagl die Relevanz und Auswahl gerade dieser beiden Zähne. Die Forscher*innen haben dann ein Computermodell entwickelt. „Generell, scheint eine Kontaktposition näher am Gelenk zu geringeren Belastungen am Gelenk zu führen, wir sehen dies auch in ersten Resultaten einer zweiten, größeren Studie. Der Unterschied der Position ist allerdings um einiges geringer als der Effekt der Steilheit der Zahnfacette. Hier sieht man einen klaren Trend zu erhöhter mechanischer Belastung bei flacheren Zähnen“, fasst Sagl die Ergebnisse der Studie zusammen. Weitere klinische Daten werden jedoch noch benötigt, so der studierte Informatiker.
Computermodell & Algorithmus
Die Ergebnisse konnten dabei anhand von Untersuchungen an einem Computermodell der Kauregion, das Knochen-, Knorpel- und Muskelstrukturen enthält, ermittelt werden. Dank solcher Computermodelle können Forschungsfragen untersucht werden, die aus ethischen Gründen nicht direkt an Patient*innen durchführbar sind. Untersucht wurde schließlich das Zusammenspiel zweier Faktoren, die beim Zähneknirschen aufeinandertreffen: Einerseits geht es um die Form des betroffenen Zahnes, andererseits wurde die Position des Zahnkontaktes, die Abnutzungsfacette genannt wird, während einer dynamischen Knirschbewegung berücksichtigt.
Benedikt Sagl beschreibt den langwierigen Forschungsprozess folgendermaßen: „Aufbau, Testung und Validierung des Modells waren ein langer Prozess der in mehreren vorhergegangen Publikationen beschrieben worden ist. Kurz gesagt, haben wir zuerst in Kooperation mit Prof. Trattnig vom Exzellenzzentrum für Hochfeld-MR an der MedUni Wien detaillierte MRT-Aufnahmen der gesamten Kauregion, aber vor allem der Kiefergelenksstrukturen aufgenommen. Danach wurde anhand dieser hochauflösenden Bilddaten und Literaturwerte für die mechanische Beschaffenheiten der verschiedenen Gewebe ein Computermodell programmiert. Die Studie selbst kombiniert dieses Modell mit einem, ebenfalls von unserer Gruppe mitentwickelten, Optimierungsalgorithmus zur Berechnung der Muskelkräfte, die benötigt werden um die Knirschbewegungen mit ausreichenden Kraft durchzuführen.“
Therapiemöglichkeiten
Was können Betroffene also tun, wenn sie unter Zähne knirschen leiden? Polina Kotlarenko rät auf jeden Fall zu einer Therapie, da sonst chronische Schmerzen, muskuläre Verspannungen und Schädigungen an den Zähnen bzw. dem Gebiss auftreten können. „Die geläufigste Therapie ist eine individuell angepasste Zahnschiene, welche vor dem Schlafengehen zwischen oberer und unterer Zahnreihe eingesetzt wird. Ober- und Unterkieferzähne haben dadurch keinen direkten Kontakt mehr, somit kann kein ungewünschtes Reiben der Zähne gegeneinander mehr zustande kommen. Auch Mund- und Kiefermuskeln entspannen sich, wenn die Schiene regelmäßig in der Nacht getragen wird“, erklärt Kotlarenko. Oftmals liege die Ursache für das Knirschen an einer erhöhten allgemeinen Anspannung, in so einem Fall können Biofeedback-Verfahren (hierbei werden körpereigene, biologische Vorgänge mit technischen, oft elektronischen Hilfsmitteln beobachtbar gemacht, Anm. d. Red.), psychotherapeutische Verfahren oder physikalische Therapien helfen, so die Expertin. Zudem nennt Polina Kotlarenko zwei weitere Therapiemöglichkeiten: „Wenn das Knirschen von einer Zahnfehlstellung verstärkt wird, empfiehlt sich eine kieferorthopädische Therapie. Einen möglichen innovativen Ansatz bietet in bestimmten Fällen die Injektion von Botulinum Toxin (Botox) in die Kaumuskulatur, welche dadurch für drei bis sechs Monate geschwächt wird. Wenn das Zähneknirschen bereits Schäden an den Zähnen hinterlassen hat, sind diese über individuell angepasste restaurative Maßnahmen (Kronen, Kunststofffüllungen, etc.) zu sanieren.“