Der – tendenzielle – Stoiker Töchterle, Professor für Klassische Philologie an der Universität Innsbruck und Nationalratsabgeordneter, erklärt uns zum Auftakt unseres Themenschwerpunkts Was ist Glück? – Antworten aus der Wissenschaft, warum es grundsätzlich in der Geschichte der Menschheit vermutlich noch nie so einfach war wie heute, glücklich zu sein.
Ist Glück Zeit und epochenabhängig oder gibt es universalgültige Vorstellungen davon, was Glück ausmacht?
Karlheinz Töchterle: Beides. Weil die umgebende Kultur und der Zeitgeist uns Lebensideale vorgeben. Wenn man diesen näherkommt, kann man sich unter Umständen glücklicher fühlen. Andererseits gibt es natürlich menschliche Universalien wie Familie, Liebe, Wohlstand und Gesundheit. Diese Dinge sind zeit- und kulturunabhängig.
Auf welche Weise beeinflussen uns die Ideale des Zeitgeists?
Es handelt sich um Diskurse, die durch unterschiedlichste Medien vermittelt werden. Es gibt zum Beispiel ein westliches Lebensideal, das sich auch wandelt. Bis vor Kurzem war für junge Burschen ein tolles Auto wichtig. Das wird – Gott sei Dank – jetzt unwichtiger.
Ob es solche vereinheitlichenden Lebensziele überhaupt noch gibt, ist schwer zu sagen. Die Gesellschaft fragmentiert und individualisiert sich zunehmend, die großen kollektiven Erzählungen büßen Wirkungskraft ein. Es ist also schwer, den Glückdiskurs festzumachen – obwohl es ihn zweifelsfrei gibt und er auch beforscht wird. In der Glücksforschung geht es auch stark um die Identifikation von Kriterien dafür, was glücklich macht.
Ist es schwierig, glücklich zu sein, in unserer Zeit der individuell zusammengesetzten Glückvorstellungen?
Ich denke, dass es eher leichter wird, in dieser Welt glücklich zu sein. Und zwar aufgrund unserer hohen Sozialstandards, aufgrund von Frieden und Sicherheit in Europa. Wir leben hier in der besten aller Welten, die es je gegeben hat für eine große Anzahl von Menschen. Insofern war es noch nie so leicht wie heute, glücklich zu sein.
Andererseits sehen wir eine Zunahme von Depressionen, wobei ich denke, dass eigentlich nicht die Depressionen zunehmen, sondern sie häufiger konstatiert werden. Die Gesellschaft akzeptiert Depression mittlerweile als Krankheit, behandelt diese und finanziert auch die Erwerbslücken, die dadurch entstehen.
Um die zeitabhängige Komponente des Glücks und seiner Erfüllung steht es heute bei uns sehr günstig. Ob das so bleibt, ist fraglich. Ich sehe einige bedrohliche Wolken am Horizont: etwa den Klimawandel oder Migrationsbewegungen. Eine massive Migration wird sicherlich Einbußen bringen, vor allem für die Unterschicht – für die, die stärker von sozialen Zuwendungen des Staates anhängig sind. Also da kann sich auch wieder etwas ändern.
Gehen Sie von einem Zusammenhang zwischen ökonomischen Bedingungen und Glücksgefühl aus?
Natürlich, das ist eine zeitunabhängige Grundannahme der Glückforschung, die hat auch ihre Berechtigung.
Machen Wissenschaftler andere Dinge glücklich als andere Menschen?
Viele Wissenschaftler haben ein Selbstbild als jemand, der durch die Wissenschaft glücklich wird: Es gibt ein Idealbild des Wissenschaftlers, der so vor Neugier brennt, dass er das Glück darin findet, in seinem Fach zu arbeiten. In der Realität gibt es diese Wissenschaftler wohl selten. Ich gehöre jedenfalls nicht zu denen. Ich denke nicht, dass der Wissenschaftler ein eigener Typus ist, was Glück betrifft.
Hat Ihre wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema Glück Ihr eigenes Glückempfinden beeinflusst?
Ich habe zum Thema Glück nicht geforscht, sondern mich damit vor allem in meiner Lehrtätigkeit auseinandergesetzt. Dabei habe ich schon auch persönlich einige neue Verhaltensweisen kennengelernt und manchmal gelingt es mir, mich diesen Verhaltensweisen, die da empfohlen werden, auch anzunähern.
Wir werden in den nächsten Wochen Wissenschaftler unterschiedlicher Disziplinen befragen, was sie als Wissenschaftler glücklich macht. Denken Sie, wir werden – vielleicht sogar fachspezifisch – unterschiedliche Antworten bekommen?
Ich vermute schon. Es könnten schon Antworten darunter sein wie „Mich macht glücklich, wenn ich forsche, wenn ich meine Neugierde befriedige, wenn ich neue Erkenntnisse gewinne.“ Das würde dem Idealbild des Wissenschaftlers entsprechen. Aber es gibt wie in allen Berufen nun einmal sehr verschiedene Charaktere und Typen und insofern auch nicht wirklich eine typische Auffassung von Glück.
Haben Sie einen Lieblingsphilosophen, den Sie als bereichernd empfinden und empfehlen würden? Geben Sie uns eine Lektüreempfehlung?
Ich kenne sehr viele antike Texte dazu und die gehen in sehr verschiedene Richtungen, die finde ich eigentlich alle sehr anregend (schmunzelt). Ich sehe ganz konkret in meiner Familie auch mehrere Wege. Vergleicht man etwa meinen um elf Monate jüngeren Bruder und mich, wir sind also fast gleich alt, wählt er seit vielen Jahren dezidiert einen epikureischen Weg, während ich seit Jahren zwischen dem stoischen und dem epikureischen Weg hin- und hergerissen bin und eher – vielleicht auch getrieben von äußerlichen Umständen – den stoischen Weg wähle.
Worin unterscheiden sich die beiden Wege?
Der stoische Weg ist ein kämpferischer, auf dem man sich alles abringt und sich vieles antut. Der epikureische ist eher von den eigenen Interessen geprägt, im Zentrum steht nicht die Pflichterfüllung. Das heißt aber nicht, dass man Familie und Mitmenschen vernachlässigt, sondern eher das Verfolgen und Perfektionieren eigener Interessen ins Zentrum des Lebens stellt.
Ein guter Politiker ist also Stoiker?
Ich denke schon. Man kann überhaupt nur Politiker sein, wenn man nicht Epikureer ist, denn ein Epikureer würde nie Politiker werden. Das schließt sich eigentlich aus.
So sehr die Philosophie – und auch die Ratgeberliteratur – sich darum bemühen, dem Menschen zu erklären, wie er sein muss und was er machen muss, um glücklich zu sein, so sehr ergibt sich doch vieles durch das Schicksal: und zwar durch äußere Umstände einerseits, aber auch durch innere, eigene Ausstattung andererseits. Es gibt Leute, die sich eher quälen, und es gibt Leute, die sich psychisch eher ins Positive drehen.
Und das ist nicht veränderbar?
Es gibt natürlich kein Universalrezept, aber hilfreiche Tipps gibt es schon. Sowohl in der massenhaften Ratgeberliteratur als auch in der antiken Philosophie, denn die Ratschläge, die es dort gibt, sind großteils zeitlos.
Sie können allerdings mitunter aus einer bestimmten gesellschaftlichen Perspektive geschrieben worden sein, etwa aus einer, in der Erwerbsarbeit nicht unbedingt nötig war: Wenn einer in den Seilen hängt und schuftet, kann er gewisse Dinge nicht so leicht umsetzen wie beispielsweise Epikur, der im Garten sitzt und mit seinen Freunden philosophiert.
Würden Sie das empfehlen?
Das kann schon was haben! Aber nur bisweilen will ich unbedingt im Garten sitzen und mit meinen Freunden philosophieren, doch Geselligkeit und soziale Kontakte gehören grundsätzlich schon zum menschlichen Glück, glaube ich. Auch wenn es wahrscheinlich Einsiedler gibt, die glücklich sind, aber das ist vermutlich anstrengend.
Karlheinz Töchterle, Bild: Photo Simonis