Wer jetzt seine Weihnachtsgeschenke noch nicht besorgt hat, ist vermutlich gerade alles andere als fröhlich. Dabei soll der Akt des Schenkens an sich glücklich machen soll und zwar mehr für den, der schenkt, als für den, der beschenkt wird, behauptet Johannes Wancata, Leiter der klinischen Abteilung für Sozialpsychiatrie der MedUni Wien. Aber warum schenken wir überhaupt? Diese Frage stellten wir der Universitätsprofessorin Elfie Miklautz, die an der Wirtschaftsuniversität Wien unter anderem über das „Schenken als kulturelles Handeln“ forscht. Dabei erfuhren wir auch, wie es eigentlich mit der Kunst des Nehmens aussieht, ob Schenken auch eine Form der Machtausübung ist und welche Unfälle es beim Schenken geben kann.
Warum schenken Menschen überhaupt? Ist es eine anthropologische Grundgegebenheit, ein Bedürfnis, eine kulturelle Errungenschaft?
Schenken ist eine Interaktionsform, mithilfe derer soziale Beziehungen initiiert und aufrechterhalten werden. Im Geschenk vergegenständlicht sich die Beziehung, wird sinnlich wahrnehmbar; es ist ein fortdauerndes Zeichen des Aufeinanderbezogenseins, ein Gegenstand, der Erinnerung auslöst, in dem sich physisch Ungreifbares materialisiert hat. Das Geschenk wandelt flüchtiges Miteinander in Verbindendes, mehr noch: Verbindliches, ja, in Verbundenheit, in etwas Dauerhaftes. Geschenke vergegenständlichen also, was uns verbindet und dienen so zur Kommunikation dessen, was wir uns eher zeigen als sagen können. Ganz im Sinne von Marx, der behauptete, die einzig verständliche Sprache, die wir miteinander sprächen, seien unsere Gegenstände in ihrer Beziehung zueinander.
“Mitunter macht Schenken glücklich. Auch, weil man sich in der eigenen Großzügigkeit zu sonnen vermag.“ – Elfie Miklautz
Kann man sagen, dass der Akt des Schenkens glücklich macht? Wenn ja, was bedeutet dieses Glück aus Sicht der Soziologie, kann man das wissenschaftlich definieren?
Mitunter macht es glücklich. Auch, weil man sich in der eigenen Großzügigkeit zu sonnen vermag. Man beglückt also nicht nur den anderen, sondern – vielleicht sogar vor allem – sich selbst. Nietzsche geht noch weiter: Schenken sei eine Notdurft, der Geber habe also zu danken, dass der Nehmende sich erbarmt habe zu nehmen.
Jenseits dieser oft ungern eingestandenen Ebene brauchen wir das Schenken in unserer Gesellschaft aber auch als Gegenwelt zur kapitalistischen Marktlogik, in der Berechnung, Profit und Eigennutz das Tun bestimmen. Die nüchterne Selbstbeschreibung der Gesellschaft als Versammlung von Tauschenden wird nämlich begleitet von einem Wunsch nach Transzendenz, nach Uneigennutz, von einer Sehnsucht nach einem selbstlosen „ganz Anderen“.
Diese Antithese zur Logik des Marktes kristallisiert sich im Geschenk. Es ist der Stoff, aus dem die Träume sind. In der gesellschaftlichen Imagination findet sich das Bild des Geschenks als edenhafter Gegenpol des Tausches. Märchen und Mythen erzählen von einer Welt, in der das Wünschen noch geholfen hat und der Traum vom „etwas gegen nichts“ sich realisiert. Die Gesellschaft bezahlt sich also selbst, so Marcel Mauss, mit dem Falschgeld ihres Traums.
„Man sollte etwa Bekundungen von Freude und Dankbarkeit zumindest simulieren.“ – Elfie Miklautz
Schon bei den antiken Philosophen, zB. Seneca, ist von der „Ars Donandi“, der Kunst des Schenkens die Rede. Ist es auch eine Kunst, ein Geschenk anzunehmen?
Die Kunst des Nehmens besteht darin, die rituellen Regeln des Austausches situationsgerecht zu modulieren, d.h. man sollte etwa Bekundungen von Freude und Dankbarkeit zumindest simulieren. Vor allem muß man auf das Geschenk adäquat antworten: mit einer Gegengabe, die weder zu früh noch zu spät erfolgt, die je nach Beziehung weder zu persönlich-intim noch zu konventionell-austauschbar ausfällt; und die sich im Wert am Gegebenen ebenso orientiert wie an der gewünschten (A-)Symmetrie des Verhältnisses zwischen Geber und Nehmer.
Das Geschenkverhalten ist offenbar geschlechtsspezifisch, aber auch kulturell geprägt. Welche Bedeutung haben Geschenke in anderen Kulturen? Können wir davon lernen?
Große Fragen. Statt episch korrekt diesen Rahmen zu sprengen, hier zwei K.o.-Thesen. Männer schenken, was ihnen gefällt; Frauen versuchen, richtig zu liegen. Und andere Kulturen haben eigene Paradoxa. Just dies reizt mich am Thema: Die Paradoxie, die im Schenken steckt und es damit zu einer Art sozialer Schrödingers Katze macht. Sowohl tot als auch lebendig – was in diesem Fall heißt: sowohl freiwillig als auch verpflichtend, nutzenorientiert und großzügig, egoistisch-eigennützig wie altruistisch-selbstlos, maßlos ebenso wie berechenbar.
Ist Schenken auch eine Form der Machtausübung?
Schenken ist eine besonders raffinierte, weil verschleierte Form, Macht auszuüben. Im Schenken werden nämlich Verpflichtungen eingegangen und Rechte eingeräumt, Unter- und Überlegenheitsrelationen begründet sowie Abhängigkeiten und Schuldverhältnisse etabliert. Der Beschenkte wird zum Schuldner, räumt dem Gebenden Macht ein, muss sich revanchieren. Der Akt der Übergabe ist eine Herausforderung, die eine Antwort innerhalb des Macht-Ohnmacht-Schemas erzwingt. Die Bindungswirkung des Geschenks hat Gewalttätiges an sich – Gabe will Vergeltung.
Was sind die Dos und Dont’s, die beim Schenken unbedingt beachtet werden sollen? Und was wäre aus Ihrer Sicht der „Größte anzunehmende Geschenkunfall“?
Dos und Dont’s?
Ein wenig Raffinesse kann nicht schaden. Man sollte dem Beschenkten nicht zu deutlich zeigen, welches Interesse man mit dem Geschenk verfolgt – sei es lästiges Absolvieren einer konventionellen Pflicht, sei es die insinuierte Aufforderung zur Verhaltensänderung des Beschenkten.
Das Risiko, das mit dem Schenken verbunden ist, verringert sich, wenn die Wahl des Geschenks dem Empfänger viel Interpretationsspielraum lässt. So kann Flaches bedeutungsvoll, Intimes profan gelesen werden, und Gebende wie Nehmende vermögen dabei ihr Gesicht zu wahren. Es gilt also, sich in der Kunst der kollektiven Heuchelei ebenso zu üben wie im artifiziellen Spiel mit beziehungsvollen Andeutungen.
Der „Größte anzunehmende Geschenkunfall“, alias Super-Gag?
Das Geschenk, das im Kreislauf des heimlichen, weil verbotenen Weitergebens wegen Unbrauchbarkeit wieder zu einem selbst zurückkehrt, als Boomerang der Phantasielosigkeit. Das bittersüße Gegenteil erzählt eine Geschichte von O. Henry: ein Paar, zu arm, um sich gegenseitig zu beschenken, veräußert das jeweils Kostbarste, um den anderen zu beglücken: Die Frau, ausgestattet mit wundervollem langem Haar, lässt es abschneiden, um mit dem Erlös eine Kette für des Mannes geerbte Uhr zu erstehen. Der Mann verkauft seine Uhr, um seiner Frau einen Kamm schenken zu können, der ihr wundervolles Haar schmücken soll.
Elfie Miklautz studierte Soziologie, Philosophie und Pädagogik, forschte als Stipendiatin der Maria Schaumayer Stiftung am Warburg Institute und habilitierte 2008 an der Wirtschaftsuniversität Wien – wo sie tätig ist – zur Soziologie der Gabe. Das Buch dazu erschien 2010 im Verlag Wilhelm Fink unter dem Titel „Geschenkt. Tausch gegen Gabe – eine Kritik der symbolischen Ökonomie“. Ihre Forschungsbereiche beinhalten Kulturtheorie, Wirtschaftssoziologie und Musikästhetik. Aktuell arbeitet sie an den Schnittstellen von Wissenschaft und Kunst im Projekt „knowledge through art“ (www.spaciergang.org).
Das erste Foto unseres Beitrags stammt von Masha Krasnova-Shabaeva und zeigt Menschen, die von Weihnachtsgeschenken besessen sind. Es unterliegt der Lizenz CC BY-NC-ND 2.0.