Die Temperatur steigt, unser Hunger sinkt – und wir essen weniger. Dieses häufige Phänomen ist in der Medizin längst bekannt, lediglich die wissenschaftlichen Vorgänge dahinter waren bisher unklar. Wissenschafter*innen an der Medizinischen Universität Wien konnten nun aber beweisen, dass es einen neuronalen Signalweg im Gehirn gibt, der die Nahrungsaufnahme bei Hitze drosselt. Ein neuronaler Signalweg verbindet mehrere Neuronen (auch Nervenzellen genannt) zu einem Funktionskreis, erklärt Tibor Harkany. Er ist Leiter der Abteilung für Molekulare Neurowissenschaften am Zentrum für Hirnforschung der MedUni Wien und leitete die Studie.
Zellenaktivierung bei Wärme
Durch Untersuchungen an Mäusen konnten Tibor Harkany und seine Kolleg*innen zeigen, dass alles im Nucleus parabrachialis beginnt, einer Region im Gehirn, die für die Wahrnehmung der Temperatur zuständig ist. Dort wurden bestimmte Zellen aktiviert, sobald die Mäuse eine Weile hohen Temperaturen ausgesetzt waren. Diese Zellen strecken ihre Fortsätze in den Hypothalamus, einen lebenswichtigen Teil des Gehirns aus – und genau dort sitzen jene Neuronen, die für die Nahrungsaufnahme zuständig sind.
Signalübertragung durch die Tanyzyten
Die Signalübertragung erfolgt dabei über die sogenannten Tanyzyten, diese befinden sich in in einer der vier Hohlräume des Gehirns. Die nach außen ragenden Strukturen der Tanyzyten dringen in das Hirngewebe ein und treten mit jenen Neuronen in Kontakt, die zur Nahrungsaufnahme anregen. „Der von uns entdeckte Signalweg zeigt also, dass die Einwirkung von Hitze nicht wie bisher angenommen das Sättigungsgefühl beeinflusst. Vielmehr wird über die Freisetzung eines bestimmten Wachstumsfaktors die Aktivität jener Gehirnzellen gehemmt, die zur Nahrungssuche und -aufnahme anregen“, erklärt Tibor Harkany die Studienergebnisse.
Krankheiten besser behandeln
Durch die Entdeckung dieses neuronalen Schaltkreises kann die Grundlagenforschung vorangetrieben werden, denn Fragen zum Kreislauf der Nahrungsaufnahme sind für die Forschung von großem Interesse. So gibt es aktuell nicht nur Forschung dazu, wie Hitze – und auch Kälte – im Zusammenhang mit Nahrungsaufnahme stehen, auch der Einfluss von Fieber auf unseren Appetit wird gerade erforscht, erklärt der Wissenschafter.
Die Forschung von Tibor Harkany und seinen Kolleg*innen könnte dazu beitragen, dass Krankheiten wie Über- und Untergewicht künftig besser behandeln werden könnten. Der Experte sagt dazu: „Es gibt viel empirisches bzw. anekdotisches Wissen über den Einsatz von Wärme zur Gewichtsreduktion, ein klassisches Beispiel hierfür ist die Sauna. Die Anwendung von Wärme kann ein wirksames und kostengünstiges Mittel sein, um das Körpergewicht zu reduzieren. Das ist ein Gedankengang, den wir derzeit entwickeln. Umgekehrt ist auch die Wirkung von Kälte auf unseren Körper interessant – etwa in Form von Kältetherapien für Sportler*innen sowie für Personen, die an Anorexia nervosa leiden.“