Schneller demografischer Wandel
Die hohe Fertilitätsrate ist in vielen heutigen Entwicklungsländern aus ähnlichen Gründen hoch wie die im historischen Europa:
Die typischen Großfamilien sind patriarchalisch strukturiert und traditionell orientiert, viele Kinder sind wünschenswert. Zugleich schützt eine große Anzahl von Kindern die Eltern, wenn deren Einkommen durch Krankheit oder Unfälle ausfällt. Schlechte Bildung, fehlende bzw. unzureichende Verhütungsmaßnahmen und traditionelle und religiöse Wertvorstellungen tragen ebenso zu einer hohen Geburtenrate bei. An der Spitze steht heute Niger (7,6), gefolgt von Somalia (6,46) und Mali (6,23).
Österreich hat den demografischen Wandel, also den Übergang einer traditionellen Gesellschaft mit hohen Geburten- und Sterberaten zu einer modernen Gesellschaft mit niedrigen Geburten- und Sterberaten, sehr schnell vollzogen. Bereits zwischen der Jahrhundertwende und dem Jahr 1928 halbierte sich die durchschnittliche Kinderzahl pro Frau in Österreich von vier auf zwei Kinder. Mitte der 1930er-Jahre lag die Fertilitätsrate bereits bei 1,5 Kindern pro Frau.
Kurzes Steigen der Fertilität wie das nach dem Anschluss an Hitlerdeutschland, das nach dem Ende des 2. Weltkrieges oder der Babyboom Mitte der 1960er-Jahre änderten nichts am übergeordneten Trend einer sinkenden Geburtenrate. Derzeit liegt sie bei 1,46 Kindern pro Frau und somit im internationalen Vergleich auf niedrigem Niveau.
Später stattfindende Lebensereignisse
Geändert hat sich jedoch das Erstgebäralter, also das Alter, in dem Frauen ihr erstes Kind zur Welt bringen: Lag dieses 1985 noch bei 24 Jahren, ist es mittlerweile auf 29,1 Jahren gestiegen. Ebenso sind Frauen und Männer bei ihrer (ersten) Eheschließung mittlerweile älter: Waren Frauen 1950 noch 24,5 und Männer 27,1 Jahre alt, sind sie nun im Durchschnitt 30 (Frauen) bzw. 32,4 (Männer) Jahre.
Diese Trends bestätigt auch Dr. Christine Geserick im Gespräch mit Schrödingers Katze. Die Soziologin forscht am Österreichischen Institut für Familienforschung der Universität Wien zu Themen wie etwa der Sozialgeschichte der Familien in Österreich. „Längere Ausbildungszeiten und die berufliche Etablierung tragen dazu bei, dass viele Lebensereignisse, so auch die Heirat und eben Familiengründung, eher später stattfinden“, erklärt Geserick.
Muttersein wieder im Trend
Doch welche Gründe gibt es überhaupt dafür, ob und wann Frauen Kinder bekommen? Inwiefern ist es in modernen, industrialisierten Gesellschaften eine freie Entscheidung, Kinder zur Welt zu bringen? „Das kommt darauf an, wie man „frei“ definiert. Es gibt niemanden, der einem verbietet, Kinder zu bekommen“, erinnert Geserick. Es müssten die Voraussetzungen stimmen, jedoch werde es zum Beispiel nicht mehr gesellschaftlich geächtet, wann eine alleinstehende Frau ein Kind bekomme.
Ist die moderne Frau Mutter oder Karrierfrau?
Ob eine Frau ein Kind bekommt, bleibt weiterhin eine schwierige Entscheidung, vor allem in Anbetracht der Tatsache, dass es noch immer überwiegend Frauen sind, die dann einen Großteil der sogenannten Reproduktionsarbeit übernehmen. Die durch Erwerbstätigkeit und Reproduktionsarbeit entstehende „Doppelbelastung“ sei weiterhin schwer zu schultern, meint Geserick.
Waren Frauen traditionell für Heim und Kinder zuständig, sei im Zuge der Emanzipation die berufliche Verwirklichung der Frau in den Vordergrund gerückt. Das Idealbild Karrierefrau habe in den letzten Jahrzehnten zugenommen, jedoch werde nun ein Rollenbild der Frau als Mutter wieder verstärkt betont: „Das Bild der Frau als Mutter wird heute wieder stärker in den Vordergrund gerückt als zum Beispiel in den 1980er-Jahren.“
Die Mär vom Faktor Bildungsgrad
Beim Thema Schwangerschaft rückt auch oft der Bildungsgrad der Frau in den Fokus. Erst kürzlich konnten Eva Beaujouan und ihr Team von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in einer Studie nachweisen, dass die Zunahme von höherer Bildung bei Frauen in Europa, die zwischen 1916 und 1965 geboren wurden, keinen allzu großen Einfluss auf den Geburtenrückgang hatte. Christine Geserick meint, dass es Studien mit unterschiedlichen Aussagen zu diesem Thema gebe. Feststellen lasse sich aber, dass höher gebildete Frauen meist später Kinder zur Welt bringen.
Leicht steigende Fertilitätsraten
Die Prognosen zur Fertilitätsrate in europäischen Ländern lassen darauf schließen, dass in der Zukunft auch in Ländern wie Österreich oder Deutschland mehr Kinder zur Welt kommen werden. Die Statistik Austria nimmt an, dass die Fertilitätsrate in Österreich im Jahr 2030 auf 1,49 Kinder steigen wird. Auch in Deutschland bekommen seit 2012 Frauen wieder mehr Kinder. Im vergangenen Jahr ist die dort die Geburtenrate erstmals seit 30 Jahren wieder auf 1,5 Kinder gestiegen. Das Österreichische Institut für Familienforschung nimmt an, dass bis zum Jahr 2075 die Fertilitätsrate auf 1,55 steigen wird, späte Mutterschaft liege dabei im Trend.
Ob eine Frau nun früher, später oder gar keine Kinder bekommt, bleibt auch weiterhin eine komplexe individuelle Entscheidung, die nicht nur von der finanziellen und physischen Situation der einzelnen Frau mitbeeinflusst wird, sondern nach wie vor von gesellschaftlichen Rollenbildern und den Rahmenbedingungen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf.
Autorin: Barbara Fohringer