Google liefert bei der Suche nach „Virusvarianten Corona“ 482.000 Ergebnisse. Kein Wunder, haben wir in den letzten Jahren hautnah miterlebt, wie schnell Viren mutieren. Forscher*innen in Graz ist es gelungen, eine Technologie zu entwicklen, die es ermöglicht, die Einschätzung ob der Gefährlichkeit einer neuen Virusvariante zu treffen. Die Technologie basiert auf Künstlicher Intelligenz (KI) und lernt mit der Menge an Daten, mit denen sie gefüttert wird. „Das heißt, je mehr Daten wir über ein bestimmtes Virus haben, umso besser werden die Vorhersagen“, fasst Christian Gruber, CEO der Innophore GmbH, einem Spin-off der acib GmbH und der Universität Graz, zusammen. Zuerst müssen die Forscher*innen den strukturellen Aufbau eines Virus untersuchen, um zu verstehen, welche Stämme sich künftig verändern und sich womöglich durchsetzen. Aus den Datensätzen wird dann ein Computermodell erstellt. Mit diesem können alle erdenklichen Virusvarianten und deren Zusammenspiel mit der menschlichen Zelle getestet werden.
Punktwolkentechnologie
Die Technologie heißt Punktwolkentechnologie. Sie nutzt Punktwolken (siehe Foto), um die Eigenschaften einer Proteinoberfläche oder eines Proteinhohlraumes zu berechnen und abzubilden. „Jeder Punkt speichert einen Wert einer bestimmten Eigenschaft, die zum Beispiel für die Bindung zwischen Proteinen verantwortlich ist. Für die Visualisierung wird diesem Punkt auch ein Farbwert zugeordnet.“ Die Technologie bietet einige Vorteile: Punktwolken können einfach miteinander verglichen und als Suchmaske genutzt werden; sie seien quasi „ein charakteristischer und sehr detaillierter Fingerabdruck eines Proteinbereiches, der uns genaue Aufschlüsse über die Eigenschaft gibt“, so Gruber. Sie helfen, um Proteinbereiche zu visualisieren und zu verstehen und können für Berechnungen genutzt werden. Und die Technologie ist nicht nur auf den Einsatz bei Covid-19 beschränkt.
Enzyme & Supercomputer
Der Fokus von Innophore liegt auf dem Suchen und Finden von Bindungspartnern von Biomolekülen: „Das kann, wie in der aktuellen Publikation, eine Bindung zwischen zwei Proteinen sein, aber auch die Bindung zwischen einem Protein und einem Wirkstoff/Medikament. Unsere Suche beschränkt sich aber nicht nur auf den Pharmabereich, sondern dehnt sich auch auf die Biotechnologie aus. Hier suchen wir zum Beispiel Enzyme, die bestimmte Reaktionen katalysieren und damit chemische Prozesse umweltfreundlicher machen können“, so Gruber.
Die 2016 gegründete Firma arbeitet mit Supercomputern und nutzt Services wie Amazon Web Service (AWS) und Google Cloud Platform (GCP). „Unsere Berechnungen sind teilweise sehr leistungsintensiv, daher ist der Zugriff auf dezentrale Rechenzentren eine einfache und flexible Lösung für eine schnelle Skalierung“, erklärt der CEO. Eigene in Graz und Umgebung stehende Rechencluster werden ebenso genutzt.
Abwassermonitoring & Zusammenarbeit
Aktuell arbeitet man an einem verbesserten Abwassermonitoring. Die Punktwolkentechnologie ermöglicht auch hier, eine Voraussage bezüglich künftiger Virusvarianten bzw. gänzlich neuer Varianten. Daher möchte die Firma ihre Technologie für den Aufbau eines Systems für die Überwachung sämtlicher Krankheiten zur Verfügung stellen.
Innophore ist als Spin-off der Uni Graz ein gutes Beispiel dafür, wie fruchtbar die Zusammenarbeit zwischen Unis und der Industrie sein kann: Die Gründer der Firma (Christian Gruber, Georg Steinkellner und Karl Gruber) waren bzw. sind alle als Forscher an der Universität tätig. Die Firma und die Punktwolkentechnologie entstanden aus einem Forschungsprojekt mit dem Austrian Centre of Industrial Biotechnology (acib) an der Universität Graz. Christian Gruber: „Wir haben nicht nur Zugang zu den neuesten Forschungsergebnissen, sondern auch zu einem sehr diversen Know-How.“
Gruber et.al., Structural bioinformatics analysis of SARS-CoV-2 variants reveals higher hACE2 receptor binding affinity for Omicron B.1.1.529 spike RBD compared to wild type reference. Scientific Reports volume 12, Article number: 14534 (2022). https://doi.org/10.1038/s41598-022-18507-y