Das weniger hehre Ziel lautet, die Vienna Hackdays 2014 zu gewinnen. Mit einer App, einem Tool oder einer Website. Bedingung: die Entwicklung muss das Potenzial haben, unsere Nachrichtengewohnheiten zu ändern. Unter den vielen Profis bei den Hackdays befinden sich Teams von derstandard.at, dem ORF, dem Magazin DATUM, der APA oder diepresse.com. Mit ihnen misst sich ein Studenten-Team. Weil sie aus keiner Redaktion kommen, sind sie quasi mit einer Wildcard in den Bewerb gelangt.
Die krassen Unterschiede
Während der Hauptredner seinen Vortrag (über die Vorzüge einer Google-gesponserten Journalistenförderung) vorbereitet, nimmt Karina Auer mit Schrödingers Katze auf einer der Hinterbänke im Presseclub Concordia in der Wiener Bankgasse Platz. Karina ist 22 und studiert Publizistik an Universität Wien. Eigentlich ist ihr Freund daran schuld, dass sie diesen Abend in der Bankgasse verbringt. Er hat ihr nämlich von den Vienna Hackdays erzählt. Zwei Tage voller Stress, Anspannung und gebündelter Kreativität liegen hinter ihr. „Es war spannend, dass hier auch Journalisten dabei sind und sich die Hackdays nicht nur auf Programmierer konzentrieren.“ Ihren Freund hat sie die vergangenen beiden Tage nur selten zu Gesicht bekommen. Michael und Asura erging es da anders. Sie sind Karinas Teamkollegen. Michael ist Grafiker, Asura programmiert. „Da gibt es schon krasse Unterschiede“, sagt Karina zu Sprachbarrieren zwischen Journalisten, Grafikern und Programmierern. „Ich hatte von dem, was die Jungs da machen leider überhaupt keine Ahnung. Ich hatte oft Ansprüche, die sich in zwei Tagen einfach nicht umsetzen ließen. Es war technisch nicht machbar. Ich konnte mir das überhaupt nicht vorstellen, dass das so viel Arbeit ist.“
Vienna Hack City
Die Arbeit bestand darin, eine Aufgabe der Vienna Hackdays in zwei Tagen zu lösen. Das Thema des Hackathons war From User Engagement to Civic Engagement. Übersetzt also: wie bringt man Nachrichtenkonsumenten dazu, sich gesellschaftlich zu engagieren. Wie kann man das Konsumieren und Erleben von Nachrichten bereichern?
Veranstaltet wird der Wettbewerb vom Global Editors Network GEN, einer Plattform für über 1000 Chefredakteure weltweit. Wien ist dabei nur eine Stadt, die an der globalen Wettbewerbs-Serie teilnimmt. In Argentinien ging es los.
Nach Start in Buenos Aires fanden Hackdays in Kapstadt, London, Rom, Brüssel, Sunnyvale (USA), New York, Moskau und Frankfurt statt. Die Sieger dieser Bewerbe treffen sich dann zu einem Klassentreffen in Barcelona 2015. Dabei wird aber nicht nur Know-How geteilt, sondern das eine, das beste Siegerprojekt gekürt.
Mission Civic Engagement
„Unser Ansatz war, dieses Ziel über Information zu erreichen“, erklärt Karina. CrossNewsReader nennen die drei ihr Projekt. „Die Basis jeglichen Engagements ist die Art und die Qualität der Informationen, die man bekommt. Man engagiert sich für keine Sache, über die man nichts weiß.“ Ein schlüssiger Ansatz. „Daher haben wir eine Browser-Extension entwickelt, die Artikel sofort vergleichbar macht. Wenn man also einen Artikel liest, öffnet sich durch die Extension ein Fenster, wo andere Artikel zum gleichen Thema aufpoppen. Das Neue ist, dass man sofort sieht, inwiefern sich die Artikel ähneln oder unterschiedlich sind.“
Ein analytisches Panoptikum zu jedem Thema also. Per Mouseclick. Aufgelistet und verglichen werden die Artikel nach Zugang. „Für uns ist es wichtig, schnell Artikel finden zu können, die zum gleichen Thema unterschiedliche Ansätze haben.“ Mit dem CrossNewsReader sollen Suchende gruppierte Artikel finden. Im Vollausbau also ein automatisiertes Menü, das unterschiedliche journalistische Argumentationslinien kenntlich macht.
Automatisiert sind aktuell aber nur bestimmte Wörter, so genannte Keywords. Ein Wermutstropfen, denn Keywords sind statisch und nicht organisch. Deshalb hätte Karina die Artikel gerne auch farblich akzentuiert. Oder gleich 10 Artikel zum Vergleich und nicht, wie im Prototyp, eben nur zwei. „Ich wollte auf die semantische Ebene und nicht nur Keywords durchsuchen. Michael und Asura haben mir dann erklärt, dass daran ganze Teams von Programmierern Ewigkeiten sitzen würden.“ Die Hackdays aber gaben dem Team die Möglichkeit, an der Idee zu basteln und einen Prototyp zu realisieren.
„Es ist einfach so, dass man oft fünf Mal die gleiche APA-Meldung liest, in fünf verschiedenen Artikeln. Wenn man aber unterschiedliche Argumentationslinien haben will, dann ist das wirklich zeitintensiv. Man muss viel viele Websites durchsuchen und Artikel durchlesen, die man alle quasi schon kennt.“
Online-fixiert
Karina wollte einmal Werbetexterin werden. Ihr Problem: auf der Universität hat ihr alles gefallen. Daher auch die aktuelle Unsicherheit: Event PR, Printjournalismus und Werbetexterin – derzeit scheint viel vorstellbar. Mit Online konnte sich Karina nicht sofort anfreunden Vielen ihrer Studienkollegen ging es da anders. Die sind „online-fixiert“, lieben es, in die flirrende Welt der Social Media einzutauchen. Jeder wisse aber, dass es neue Modelle braucht für die Zukunft des Journalismus. Das sei auf am Publizistik-Institut Konsens. Eines stört Karina dennoch. „So etwas wie der Vienna Hackathon wird eben leider nur an Techniker herangetragen. Aber wenig an Publizisten. Weil die beiden Sphären aber immer mehr verschmelzen, wäre es schon wichtig, beide auch mit diesen Informationen zu beliefern.
Und wohin gehen sie, die Trends?
Vor der Preisverleihung sieht Bertrand Pecquerie, der CEO des Global Editors Networks, die Zeit gekommen, dass sich die Branche selbst hilft. Die vergangenen zehn Jahre, so Pecquerie, wären davon bestimmt gewesen, dass externe Player das Geschäft diktiert hätten. Facebook, Google und andere Internet-Firmen hätten die Impulse gesetzt. Sie hätten die Medienlandschaft vor sich hergetrieben. Jetzt müsse man sich besinnen und die eigene Kreativität besser nutzen.
Die Vienna Hackdays bringen am Ende einen Fleckerlteppich an Ideen hervor. Da geht es um einen Markt für menschliche Güte, der auf Pluspunkten für hilfreiche Menschen aufbaut. Es wird die Wählerbeteiligung zum schicken Online-Spaß, in dem man Fotos vor dem Urnengang direkt auf soziale Profile hochladen und so einen Sog Richtung Wahlbeteiligung schaffen will. Eine Redaktion schlägt Wirtschaftsunterricht durch Studierende für Schüler vor. Insgesamt lässt sich bei gutem Willen eine Rückbesinnung auf die Rolle der Medien als 4. Gewalt des Staates ausmachen. Als Kontrollinstanz, die Dynamiken durchleuchtet, aufzeigt und zur Reflexion einladen will. Kein vermeintlich ethischer Reflex der Medien, sondern immer auch der Versuch, Konsumenten emotional zu binden. Das Erlebnis Nachrichten aufzuwerten steht gleichberechtigt neben dem Ziel, mit neuen Tools auch die eigene Marke lebendiger zu machen.
Am Ende reicht es für Karina, Michael und Asura für den Publikumspreis. Gewonnen hat die Monatszeitschrift DATUM mit der Idee „Traces“, einer visualisierten, interaktiven Gedächtniskarte, die den Toten der Shoa ein Gesicht und eine Geschichte verleiht.