Wer durch einen längeren Tunnel fährt, hat sich vielleicht schon einmal gefragt, ob dieser automatisch gefährlicher als ein kürzeres Exemplar ist. Tatsächlich spielt die Gesamtlänge eines Tunnels für die Sicherheit nur bedingt eine Rolle – wichtig sind vielmehr die Längenabstände zwischen den Sicherheitsnischen. Solcher Forschungsfragen wird man sich künftig am Erzberg annehmen. Im „Zentrum am Berg“ – dem ersten Zentrum für Tunnelforschung.
Das Forschungszentrum entsteht derzeit in Eisenerz in der Steiermark, seit Anfang September wird gebaut. Das 30-Millionen-Euro-Projekt, kurz „ZaB“, widmet sich vor allem der Forschung und Entwicklung für Geotechnik und Tunnelbau sprich: der baulichen Erschließung von Fels und Boden. Außerdem wird Ausbildung und Training für Tunnelsicherheit im Fokus stehen.
„Mit dem Zentrum am Berg soll in einem stillgelegten Teil des steirischen Erzbergs eine weltweit einzigartige Forschungsstätte entstehen“, erklärt Prof. Robert Galler, Leiter des neuen Zentrums und Inhaber des Lehrstuhls für Subsurface Engineering an der Montanuniversität Leoben
Ein Tunnelzentrum für alle
Das Zentrum am Berg steht als Ort der Lehre – bereits vor der geplanten Fertigstellung 2019 – den verschiedensten Fraktionen offen. Zum Beispiel, der ÖBB, der Asfinag und möglicherweise (tagesweise) auch Führerscheinanwärtern.
„Das Üben von richtigem Fluchtverhalten wird ein wichtiger Faktor sein. Zum Beispiel, gibt es bereits geplante Schulungen für ÖBB-Mitarbeiter, welche im Brandfall ganz genau wissen müssen, wie die Fahrgäste in Sicherheit gebracht werden“, ergänzt Skupa.
Der besondere Mehrwert bestehe vor allem aber für Studenten. „Von Anfang an will man bei den Arbeiten Studierende mit einbeziehen. In der Praxis zu erleben, was passiert, wenn ein Tunnel gebaut wird, bietet die ideale Basis, um die Methoden zu verstehen“, erläutert Robert Galler die im Studienplan vorgesehenen praktischen Lektionen.
Fokus der universitären Lehre ist die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem unterirdischen Bauen – Studierende werden hierbei unter anderem mit der „Neuen Österreichischen Tunnelmethode“, kurz: „NÖT“ vertraut gemacht, die der Salzburger Ingenieur Leopold Müller mit Ladislaus von Rabcewicz und Franz Pacher in den 1950er-Jahren begründete.
Laut Professor Galler wird bei dieser Methode das Gebirge in einer Art und Weise behandelt, das es zum Mittragen der Gebirgslasten anregt, wodurch sich die Menge des benötigten Baumaterials genau an die geologischen und gebirgsmechanischen Erfordernisse anpassen lässt. Das schone den Berg und spare Kosten. Bis heute findet die NÖT weltweite Anwendung.
Land der langen Tunnel
So geschehen auch bei einem der wohl bekanntesten Tunnels, die sich zurzeit im Bau befinden: dem Brenner Basistunnel. Zwischen Österreich und Italien wird er mit 55 Kilometern – rechnet man die bereits bestehende Eisenbahnumfahrung bei Innsbruck hinzu, die man zur Kapazitätssteigerung der Strecke ausbaute, sind es sogar 64 Kilometer – die längste unterirdische Eisenbahnverbindung der Welt werden.
Es ist kein Zufall, dass der Spatenstich für das ZaB in Österreich erfolgte. Oder anders ausgedrückt: Österreich ist nicht nur ein Land der Berge, sondern auch ein Land der Tunnel – so auch die Devise am Lehrstuhl in Leoben. ,„Es gibt zwar einige Universitäten weltweit, die über Untertagebauwerke verfügen – zum Beispiel die Universität Freiburg – es ist uns aber keine bekannt, die ausgebaute Straßentunnels in dieser Länge (400 Meter, Anm.) besitzt“, sagt Erhard Skupa, Leiter der Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit an der Montanuniversität.
Wie im echten Tunnel
Wie die Infrastruktur am ZaB im Detail aussehen wird, erklärt Galler wie folgt: „Auf rund 1000 Metern Seehöhe sollen zwei Eisenbahn- und zwei Straßentunnel sowie eine fünfte Röhre als reine Versuchsstrecke entstehen. Das entspricht einem Doppelröhrensystem wie im realen Straßenverkehr. Der Regelquerschnitt der Straßentunnelabschnitte orientiere sich am steirischen Gleinalmtunnel.“ Die Röhren der Verkehrstunnels gleichen in ihren Abmessungen genau denen von echten Verkehrstunnels.
Generell werden Versuche am ZaB großgeschrieben. Man will vor allem Rahmenbedingungen für schwierig zu erforschende Gebiete schaffen. Dazu gehören auch Brandfälle. „Wir haben die Möglichkeit im Zentrum am Berg im 1:1 Maßstab – das heißt, in einer Echtsituation – arbeiten zu können.“ In echten Tunnels wäre eine Brandsimulation, ohne diese dauerhaft zu beschädigen, kaum möglich“, erklärt Skupa. Diesen Schritt in die Wirklichkeit brauche es in der Forschung aber, um verlässliche Erkenntnisse über Vermeidungs- und Löschstrategien zu erzielen.
Unterirdische Energie aus Solar- und Windkraftanlagen
Eine große Innovation im Zentrum am Berg stelle auch das EU-Forschungsprojekt RICAS2020 dar, im Rahmen dessen in Kooperation mit auf dem Gebiet mit federführenden Partnerinstitutionen und Firmen aus der Schweiz, Norwegen oder Spanien untersucht wird, inwiefern „grüne Energien“ sich unterirdisch speichern und abrufen lassen. Gerade da die Produktion von Strom durch Wind-oder Solaranlagen starken wetterbedingten Schwankungen unterliegt, wird stets nach weiteren Lösungen für die Gewinnung gesucht.
Licht am Ende des Tunnels
Bei der unterirdischen Version stehe man allerdings noch ganz am Anfang, so Skupa. „Der Erzberg ist ein sehr standhafter fester Berg. Speziell für dieses Projekt wird als Infrastruktur eine Kaverne im Berg – ein künstlich angelegter Hohlraum – zur Verfügung gestellt. In dieser wird es möglich sein, viele Ansätze zur unterirdischen Energiespeicherung auszuprobieren.“ Unter anderem könne man auf diese Art und Weise mit sehr hohen Temperaturen experimentieren.
Die Herausforderung bestehe vor allem darin, die Energiespitzen abzufangen. Um diese zu speichern, müsse das richtige Maß gefunden werden – man dürfe nicht zu viel und nicht zu wenig Energie einsetzen. „Eine große Herausforderung, bei der im Prozess Erfahrungswerte geschaffen werden“, freut sich Erhard Skupa über die Zukunftsaussichten am Zentrum am Berg.