Alle, die lieber dem derzeitigen US-Präsidenten nachtrauern möchten, können das zum Beispiel auf dieser Seite: Time left until Obama leaves office. Schrödingers Katze hat hingegen bei dem in New Orleans lebenden Historiker und Experten für transatlantische Beziehungen Günter Bischof nachgefragt, was die USA, ihre Verbündeten und den Rest der Welt ab 20. Jänner 2017 erwartet:
-
Was bedeutet es, wenn ein US-Präsident die Mehrheit in beiden Parlamentskammern hat. Wie kann man sich den Unterschied zur Regierung unter Präsident Obama in dieser Hinsicht vorstellen?
Es wird für Präsident Trump einfacher sein, mit einem von den Republikanern beherrschten Kongress Gesetze zu verabschieden, sollte er denn mit traditionellen Republikanern wie den Senatoren, Rubio, Cruz und McCain zusammenarbeiten können, über die er ja während des Wahlkampfes nichts Gutes zu sagen hatte.
Trump sagt, er wird zuerst die als Obamacare bekannt gewordenen gesundheitspolitischen Maßnahmen aufheben, dann mit dem Abtransport von illegalen Flüchtlingen beginnen und den Nukleardeal mit dem Iran – ein internationaler Vertrag! – stoppen. Mal sehen, ob er damit Erfolg hat und die traditionellen Republikaner im Kongress mitziehen werden …
-
Auch im Obersten Gerichtshof der USA, dem Supreme Court, stehen seltene Nachbesetzungen an. Was ist daran spannend?
Die Nachbesetzungen im Supreme Court und infolge dessen Entscheidungen geben Trump die Gelegenheit, den „dritten Arm“ des amerikanischen politischen Apparates auf lange Zeit auf konservative Richtung zu trimmen und zu halten …
Es könnte dann beispielsweise zu einer neuen Entscheidung führen, in der die Abtreibung verboten (Aufhebung der „Roe-vs.-Wade-Entscheidung“ von 1973, die Abtreibung erlaubt) oder die gleichgeschlechtliche Ehe abgeschafft wird
-
Sie leben im Süden der USA. Ist das Land wirklich so gespalten zwischen „Bible Belt“ und liberalerer Küstenbevölkerung? Wie entlang anderer Achsen wie Bildung, Geschlecht, Einkommen, Ethnie?
Das Land ist vor allem gespalten zwischen dem ländlichen Amerika und den kosmopolitischen Städtern, die als Globalisierungsgewinner gelten, zwischen den „zornigen weißen Männern“ mit wenig Bildung und den gebildeten Frauen, zwischen Weißen überhaupt und Minoritäten wie AfroamerikanerInnen, Latinos/as, und AsiatenInnen, die zum Großteil für Clinton gestimmt haben.
Ja, der Süden ist traditionell, konkret ab der Nixonzeit, republikanisch, aber nicht nur aus religiösen Gründen – der Mittlere Westen, der sonst als progressiv gilt, hat auch für Trump gestimmt, viele Katholiken haben für Trump gestimmt, nicht nur Evangelikale und Baptisten im Süden.
Es sind diese zornigen weißen Männer, die als Globalisierungsverlierer gelten und oft ihre gut bezahlten Jobs als Arbeiter in den Stahlkochereien von Ohio, Pennsylvania und Michigan verloren haben.
-
Erwartet uns wirklich wieder eine Phase eines weitgehenden Isolationismus der USA wie zuletzt der bis zum 1. Weltkriege inklusive einer Abkehr vom Vorantreiben des Freihandels?
Es dürfte zu einer isolationistischen Wende kommen – auch zu einem eher autarken Amerika, in dem Freihandelsabkommen wie NAFTA aufgekündigt und andere wie TTIP gar nicht zum Abschluss kommen.
Ein solches Amerika wird dann allerdings nicht mehr die hegemoniale Führungsmacht spielen, die es seit dem Ende des 2. Weltkrieges war, und wird auch seinen Wohlstand damit weiter gefährden. Was dann?
-
Hat sich unter Obama ein Trend des Endes des sicherheitspolitischen Interventionismus, des Einmischens in Konflikte im US-Ausland, angekündigt, den Trump jetzt vermutlich radikal umsetzt?
Ja, Trump wird den NATO-Alliierten und auch Alliierte in Asien wie Japan und Korea sagen, sie müssen mehr für ihre eigene Sicherheit ausgeben und können sich nicht mehr lediglich auf Amerika und sein starkes Militär verlassen. Diese Wende hat sich ja bereits unter Obama angekündigt, der nicht in Libyen und Syrien eingegriffen hat. Die Welt kann sich also nicht mehr auf den „Weltpolizisten“ USA verlassen, wie es seit 1945 trotz vieler Kritik der Fall war.
Auch Trittbrettfahrer der westlichen Sicherheit – wie etwa die Anhänger der österreichischen Neutralität – müssen sich dann auch mehr über die Sicherheitspolitik im eigenen Land scheren und mehr für die eigene Verteidigung tun, wenn sie sich eben nicht mehr auf die „free Security“ (im Sinne von gratis, Anm.) in der NATO verlassen können.
-
Was bedeutet das für das Völkerrecht – für die Weiterentwicklung von Organisationen wie etwa der UNO oder internationalen Klimaverträgen?
Trump hält wenig auf völkerrechtlichen Verträge, seien es alte Allianzen wie die NATO oder internationale Klimaverabredungen unter der UNO. Ob er die internationalen Abmachungen zu den Menschenrechten einhält, ist auch zu bezweifeln. Wird die CIA wieder Folter an Amerikas Gegnern ausüben können?
Ob er aber die „Human Rights Revolution“ – die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte durch die UN Vollversammlung 1948 – rückgängig machen will, wird man sehen. Auf jeden Fall wird er sich wenig an völkerrechtliche Abmachungen halten, wenn sie den amerikanischen Bewegungsraum einengen.
Man wird sehen müssen, ob dies auch die Vereinbarung zum Verzicht auf Weitergabe von Nuklearwaffen betrifft wird. Dazu gibt es seit 1968 bekanntlich auch internationale Abmachungen in Form des „Non-proliferation-treaty“.
-
Erwarten Sie, dass eine passivere Haltung der USA Europa dazu zwingen wird, seine Rolle und sein Verhalten in der internationalen Politik zu verändern?
Europa hat sich seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges meist auf die hegemonialen USA verlassen können, wenn es um Weltpolitik ging.
Europa wird also wieder mehr die Rolle zumindest eines „regionalen Polizisten“ spielen müssen, sei es vis-a-vis den Begehrlichkeiten von Putin in der Ukraine und im Baltikum oder in der Flüchtlingspolitik.
Da aber Europa so zwischen Ost- und Westeuropa so tief gespalten ist wie Amerika zwischen Republikanern und Demokraten, wird man sehen, ob es in der Lage sein wird, an einem gemeinsamen Strang zu ziehen, wenn es um die eigene Sicherheit geht. Vielleicht müssen dann neue Führungsmächte wie Deutschland Farbe bekennen und mehr Führungsqualitäten zeigen.
-
Der französische Präsident Francois Hollande wird zitiert, ihm komme das Würgen, wenn er sich vorstelle, Trump würde US-Präsident. Abgesehen vom Applaus von Politikern der radikalen Rechten mochte man Trump bisher in Europa nicht. Warum nicht?
Er stellt den Typus des lauten reichen Amerikaners dar, von denen man in Europa bekanntlich selten viel hielt.
Die Europäer können sich auf altbekanne antiamerikanische Denkmuster zurückziehen, in denen die Amerikaner als unkultiviert und ungebildet abgetan werden – und die ungebildeten Weißen haben Trump ja vor allem gewählt…
Nicht nur Hollande, sondern viele Beobachter werden mit dem Trump-Würgegriff leben müssen.
-
Beeinflusst so etwas wie Sympathie oder die Frage nach der Übereinstimmung grundlegender Überzeugungen die transatlantischen Verhältnisse maßgeblich?
Ich glaube schon, dass es noch so was gibt wie gemeinsame „atlantische Werte“ (Rule of Law, etc.) – ein Trump, obwohl er mit einer Slowenin verheiratet ist, wird solchen gemeinsamen Werten wenig Achtung schenken. Er hat im Laufe des Wahlkampfes gezeigt, dass er sich kaum um gemeinsame amerikanische Werte schert (Respekt vor Frauen und Minoritäten und Angehörigen von Minoritätsreligionen wie Moslems). Wenn aber die nordatlantische Allianz (NATO) und die Wertegemeinschaft infrage gestellt wird, was bleibt dann noch?
Mit Obamas „Pivot to Asia“ – also seinem Schwenk nach Asien – hat sich eine solche Wende weg von Europa in den letzten Jahren schon bescheiden angekündigt.
Zudem haben die Europäer, zumindest diejenigen, die eine Gegnerschaft gegenüber TTIP mit lächerlichen Argumenten wie der Ablehnung von Importen „amerikanischer Chlorhühner“ begründen, ja auch eine gewisse Schuld an dieser transatlantischen Entfremdung und Misere.
-
In Österreich twitterte die Satiregruppe „Gebrüder Moped“ zu Ende der US-Wahlnacht: „Der Tag, an dem George Bush zum Intellektuellen wurde.“ Wird Trump ein starker Präsident, der selbst viel gestaltet?
Nonsense – GW Bush wird es nie zum Intellektuellen bringen, obwohl er in Yale studiert hat… Satiriker mögen zwar Humor haben, aber von Politik verstehen sie wenig…
Trump ist ein Mensch, der Erfolg gewöhnt ist. Er wird also auch im Weißen Haus Erfolg haben wollen. Man wird sehen, ob er die Geduld haben wird, schöpferisch zu gestalten, wenn er mal draufkommt, wie viel Kompromissbereitschaft die Tagespolitik erfordert. Wird er da ungestüm werden, wenn ihm die Republikaner im Kongress in seinen Gesetzgebungswünschen nicht immer folgen werden? Wie wird sein Umgang mit den Demokraten im Kongress sein, die zwar in der Unterzahl sind, bei Gesetzesabstimmungen aber auch Einiges zu melden haben.
Man sollte nicht vergessen, dass das Land tief gespalten ist und Trump bei knapp 105 Millionen Wählern Trump nur gut eine Viertelmillion Stimmen mehr als Clinton erhalten hat (er hat die solide Mehrheit an Wahlmännern, weil er Bundesstaaten wie Florida, North Carolina, Pennsylvania und Ohio äußerst knapp gewonnen hat).
Günter Bischof, geb. 1953 in Mellau/Vorarlberg, lebt seit 1982 in den USA und ist der Marshall Plan Professor of History und Direktor des Center Austria an der Universität von New Orleans.
Interview: Irina Zelewitz