Inspektor Columbo betritt den Tatort: „Wann ist die Person gestorben?“ Es scheint eine rhetorische Frage. Dem abgeklärten Krimihelden genügt ein Blick auf die Leiche und er kann den Todeszeitpunkt feststellen. In Wahrheit ist die Sache aber nicht immer so einfach. Die forensische Medizin kannte bisher drei Merkmale um den Todeszeitpunkt eines Menschen zu bestimmen: den Rigor Mortis (die Leichenstarre), die Kernkörpertemperatur und Totenflecken. Problematisch wird es allerdings dann, wenn die Leiche bereits zwischen 24 und 48 Stunden „alt“ ist.
Die gängigen Methoden greifen dann nicht mehr. „Wenn die Temperatur der Leiche dieselbe hat wie die der Umgebung, kann der Gerichtsmediziner mit der Körpertemperatur nichts mehr aussagen. Auch der Rigor Mortis ist irgendwann vorbei und mit den Leichenflecken kann man auch nichts mehr anfangen“, betont Peter Steinbacher, Zellbiologe an der Universität Salzburg.
Proteine im Steak unter die Lupe genommen
Der Zellbiologe erforschte mit seinem Team eine Methode, die es ermöglicht, den Todeszeitpunkt auch für den Zeitraum von 36 bis 240 Stunden nach dem Tod, festzustellen. „Wir haben herausgefunden, dass die Proteine in den Zellen unserer Muskulatur in einem bestimmen Muster zerfallen. Manche dieser Spaltprodukte tauchen dann zum Beispiel immer zwischen 50 bis 70 Stunden nach Todeseintritt auf“, erklärt Steinbacher.
Am Zerfall der Muskulatur lässt sich also zurückverfolgen wann die Person gestorben ist. Zehn verschiedene Proteine werden bei diesem Verfahren aktuell untersucht. „Pro Protein gibt es unterschiedlich viele Spaltprodukte, die in Summe ein Muster ergeben, mit diesem man das Zeitfenster immer weiter verkürzen kann“, gibt der Zellbiologe zu wissen.
Den zündenden Gedanken für die neue wissenschaftliche Erkenntnis lieferte die Fleischindustrie. „Bei der Literaturrecherche sind wir draufgekommen, dass Spaltprodukte von Muskelproteinen auch auftreten, wenn man Fleisch hängen lässt. Das untersucht die Fleischwirtschaft, weil sie herausfinden möchte, was die idealen Bedingungen für möglichst zartes Fleisch sind“, erklärt der Zellbiologe. Wieso niemand auf die Idee gekommen ist, dasselbe auch bei Leichen auszuprobieren, hat sich Steinbacher gefragt. Infolge hat er die bahnbrechende Verbindung zur forensischen Medizin hergestellt.
Zwei Seeleichen zum Test
Eine erste große Bewährungsprobe für die zellbiologische Errungenschaft gab es bereits. Im vergangenen Winter wurden aus einem See nahe der deutschen Grenze zwei Leichen geborgen. Anfangs war nicht klar, ob es sich in diesem Fall um Mord, Selbstmord oder Doppelmord handelte. Aufgrund der niedrigen Temperaturen im Wasser konnten die Gerichtsmediziner den Todeszeitpunkt nicht näher bestimmen. „Wir haben mit unserer Methode herausgefunden, dass die zwei Personen nicht gleichzeitig gestorben waren. Die eine Person hatte einen sehr ausführlichen Zerfall der Muskulatur, die andere fast gar keinen“, sagt Steinbacher.
Die Vorteile der neuen Untersuchungsmethode
Die Bestimmung des Todeszeitpunkts ist oft ein langwieriger, komplizierter Prozess, der den Einsatz teurer Geräte und die Untersuchung eines gesamten Leichnams erfordert. Steinbacher käme auch zu einem validen Ergebnis, hätte er lediglich einen abgetrennten Arm zur Verfügung. „Ich brauche nur eine Muskelprobe entnehmen, die Muskulatur zerkleinern und die Proteine mit Antikörpern nachweisen. Das ist eine sehr günstige, einfache Methode, mit der man innerhalb von 24 Stunden zu einem Ergebnis kommt und die auch jeder Labormitarbeiter leicht erlernen kann“, begründet der Forscher die Vorteile seiner Untersuchungsmethode.
Die Leichenfarm in Tennessee
In Zukunft möchte sich Steinbacher intensiver mit den Verwesungsprozessen der Menschen auseinanderzusetzen. Geplant ist eine Kooperation mit der „Body Farm“ in Tennessee, USA. Die offizielle Bezeichnung des Geländes lautet Anthropological Research Facility und befindet sich hinter der Uniklinik von Knoxville.
Auf einem geschützten Gelände werden an der freien Luft postmortale Veränderungen des Menschen beobachtet, es wird mit Leichnamen experimentiert und es können kontinuierlich Proben entnommen werden. Was unter anderem als gruseliger Schauplatz für Serien wie CSI oder Dead Zone dient, für den FBI ein Trainingszentrum bietet, gilt für die forensisch-anthropologische Forschung als weltweit anerkanntes Experimentierfeld.
Steinbacher bedauert, eine solche Einrichtung nicht in Europa zu haben. „Unsere Kooperation soll in den USA stattfinden, weil wir in Europa keine einzige ‚Body Farm‘ haben. Es gibt aber einen Zusammenschluss an Gerichtsmedizinern, die das vorantreiben wollen. Der erste Versuch ist leider bei der EU nicht durchgegangen, aber es wird weiter daran gearbeitet“, gibt sich Steinbacher zuversichtlich.