Sexualität und Intimität haben aktuell einen Antagonisten: die Pandemie. Schon vor zirka einem Jahr, als die Pandemie in unserer Gesellschaft noch viele Fragen aufgeworfen hat, auf die wir inzwischen zum Teil schon Antwort gefunden haben, hat Dr. Barbara Rothmüller – Soziologin und Sexualpädagogin an der SFU Wien – eine breitenwirksame Studie durchgeführt. Das Ziel der Studie war, ein besseres Verständnis dafür zu bekommen, welche Auswirkungen die COVID-19-Pandemie und die daraus resultierenden Ausgangsbeschränkungen auf die Bevölkerung haben.
Wie gehen Menschen mit Distanzierungen um? Wie wirkt sich der Lockdown auf unser sexuelles Verhalten, unsere Freundschaften, Dating und unsere Liebesbeziehungen aus? Der Erhebungszeitraum der ersten Studie erstreckte sich über den Zeitraum von 1. April 2020 bis zum 30. April 2020 bei Rund 4000 Teilnehmer*innen ab 18 Jahren.
Die Studie hat ergeben, dass besonders Singles und LGBTIQ*s im Hinblick auf sexuelle Beziehungen unter der Pandemie leiden. Das Fehlen von zwischenmenschlichem, körperlichen Kontakt war für Singles besonders wenig zufriedenstellend. Unzufrieden mit dem Sexleben war aber der Großteil der Befragten. Ein Viertel der Studienteilnehmer*innen hatte im ersten Lockdown weniger Lust auf Sex dem*r Partner*in. Dem gegenüber stehen lediglich neun Prozent an Befragten, die im Bezug auf Sex erfahrungshungriger und risikobereiter (auch als „sexual sensation seeking“ bezeichnet) waren. Die gesamten Forschungsergebnisse kann man hier nachlesen.
Nun hat sich Dr. Rothmüller gemeinsam mit der promovierten Soziologin und Publizistin Dr. Laura Wiesböck in einer weiteren Studie angesehen, wie es sich mit Intimität und Sexualität im zweiten Lockdown verhalten hat. Der Fokus der Forschung liegt unter anderem auf sozialen Beziehungen, romantischen und sexuellen Beziehungen, sowie auf Sexualität und körperlicher Nähe.
Die Ergebnisse zeigen auf der einen Seite einen Rückgang freundschaftlicher Kontakte. Auf der anderen Seite kam es im zweiten Lockdown zu einer Intensivierung sexueller und romantischer Beziehungen und sogar zu einer teilweisen Vertiefung von Paarbeziehungen. Der Mangel an Berührungen belastet nach wie vor besonders Menschen ohne Beziehungspartner*innen. Jede*r zehnte Befragte gab an, seit drei Monaten keine Umarmungen mehr bekommen zu haben und bei Menschen ohne romantische oder sexuelle Beziehung musste sogar fast jede*r zweite ohne Umarmung auskommen.
Was das Datingverhalten angeht, haben sich die Teilnehmenden der Studie hauptsächlich bereits bekannte Menschen getroffen und vor dem ersten Treffen mehr Zeit verstreichen lassen. Kam ein Treffen zustande, wurde dieses meist im Freien und mit MNS abgehalten. Dates wurden also quasi aus der Bar in die Natur verlegt und haben sich den Distanzierungsmaßnahmen wohl oder übel angepasst.
Der Beziehungsstatus hat sich seit dem Frühjahr bei 29 Prozent verändert – die meisten haben sich neu verliebt und jede*r Zehnte hat angegeben, neue sexuelle Kontakte zu haben. Wäre die Krise nicht schon belastend genug, so mussten zusätzlich jede*r Sechste durch eine Trennung oder eine Scheidung.
Nachvollziehbar: Neue Affären wurden kaum eingegangen. Im Gegenteil: Ein Großteil der Menschen, die mit ihrem*r Partner*in in einem Haushalt leben, gaben an, gemeinsam viel Spaß zu haben und die gemeinsame Zeit sogar zu genießen. Auch Eifersucht hat im Laufe der Pandemie abgenommen. Die Studie zeigte zudem, dass ein Großteil der Menschen ein hoch ausgeprägtes Begehren nach Nähe und Sex hat, was angesichts des physical distancing sehr nachvollziehbar ist. Anders sieht es allerdings im Bezug auf Sex mit dem*r eigenen Partner*in aus: Die Lust auf Geschlechtsverkehr hat sich hier im Vergleich zum letzten Sommer noch weiter verringert.
Masturbieren, alleine Pornos anzusehen und einen Vibrator oder Dildo heranzuziehen waren die häufigsten Solosex-Praktikern im Laufe des zweiten Lockdowns. Sexualität mit anderen Personen wurde von einem Großteil durch Sex mit dem*r eigenen Partner*in ausgelebt. Aber auch Rückenmassagen wurden als sexuelle Praktiken angegeben.
Ein Drittel der Studienteilnehmer:innen hat mit jemandem über sexuelle Fantasien gesprochen, aber nur um die Hälfte weniger probierten eine neue Stellung oder anale Stimulation aus. Auf Sex mit Fremden, Threesomes oder Cruising wurde im zweiten Lockdown weitgehend verzichtet. Cybersex erfreute sich im Gegensatz dazu einiger Beliebtheit. Immerhin 25 Prozent lebten ihre Sexualität digital aus. Und last but – wie wir alle wissen – not least: Für 40 Prozent der Befragten war es in der Pandemie wichtig, den Gesundheitsstatus der Parnter*in zu kennen.
Alle Details zur Studie gibt es hier.