Wer hat den Flow?
Sportpsychologe und Kognitionsforscher Thomas Brandauer räumt zu Beginn mit einem Missverständnis auf: „Im Alltag werden Flow und Glück regelmäßig als Synonyme verwendet – dabei sind das zwei verschiedene Dinge“. Brandauer forscht am Olympiazentrum Kärnten und lehrt am Institut für Psychologie der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt über das Flow-Phänomen.
Zurückzuführen ist die Flow-Forschung auf den amerikanischen Arbeitspsychologen Mihalyi Csikszentmihalyi, der diesen Zustand erstmals näher beschrieb. Zwar bezeichnete er den Flow als positiv gefärbt, verwendete jedoch keinerlei emotionale Begriffe für dessen Beschreibung. „Denn das Glücksgefühl kommt meist erst danach“, so Brandauer. Auf der Suche nach Antworten über die Motivation, manche Arbeiten unentgeltlich zu verrichten oder sogar für Tätigkeiten zu bezahlen, wurde das Phänomen Flow entdeckt.
Einswerden mit der Tätigkeit
„Der Handelnde verschmilzt mit der Tätigkeit bei gleichzeitiger Reduktion selbstreflexiven Denkens“, erklärt Brandauer. Es gehe einzig und allein um die möglichst reibungslose Durchführung einer Tätigkeit, und sei sie auch noch so anspruchsvoll. Absolute Kontrolle über die Handlung erfordere zudem höchste Konzentration.
Eine solche „fokussierte Handlungskontrolle“ führt dazu, dass buchstäblich alles ringsum vergessen werde. Somit ist ein weiteres Merkmal der Flow-Erfarung ist ein teilweiser oder sogar gänzlicher Verlust des Zeitgefühls. „Augenblicke vergehen scheinbar wie in Zeitlupe, und umgekehrt sind relativ lange Zeiträume für Betroffene umgehend vorbei.“
Der Weg zum Flow
Sowohl bei der Arbeit als auch auf der Piste müssen gewisse Situationskomponenten gegeben sein, um in den Genuss eines Flows zu kommen: „Das persönliche Fertigkeitsniveau steht idealerweise in Balance mit den situativen Anforderungen.“ Denn zu hohe Geschwindigkeiten oder widrige Umstände (wie eisige Pisten oder schlechte Sicht) können ebenso den Flow verhindern (Angst) wie bloße Unterforderung (Langeweile). Schön präperierte Pisten, viel Raum für die eigenen, individuellen Schwünge und ein guter Rhythmus sind dagegen ideale Voraussetzungen für den Flow – auch für Leute, die nur ab und zu Schi fahren.
„Geschwindigkeit, Fliehkraft und das Dahingleiten sind zudem spezifische Eigenschaften des Schifahrens, die als lustvoll empfunden werden“, sagt der Wissenschaftler. Das sei auch der Grund, warum diese Sportart als besonders flow-induzierend gilt – die Beschränkung auf den reinen Tätigkeitsvollzug funktioniert beim Gleiten über schneebedeckte Hänge eben besonders gut. Auch die oftmals malerischen Schneelandschaften hätten ihren Stellenwert; durch sie sei das Flowgefühl aber nicht zwingend höher: „Es geht vor allem um die Tätigkeit und die Bedingungen, die dort vorherrschen, weniger um die Natur.“ Denn ein Flow-Gefühl könne auch bei ganz anderen Tätigkeiten – wie zum Beispiel Computerspielen – auftreten.
Die Gefahr beim Wintersport im Flow
Je besser die eigenen Fähigkeiten, desto eher werden schwierige situative Bedingungen gesucht, um den Flow zu finden – sei es die (zu) steile Piste oder überhaupt ein Fahren abseits der markierten Wege. Das sei manchmal ein Drahtseilakt und erhöhe nicht selten das Risiko von Stürzen oder Lawinenabgängen. Bei letzteren warnt Brandauer allerdings vor einer Generalisierung, da dort oft noch zahlreiche andere Faktoren eine Rolle spielen, allen voran bloße Unwissenheit über örtliche Verhältnisse: Manch unbefahrener, schöner Hang sollte im Zweifel gemieden werden.
Das Glück nach dem Flow
Im Gegensatz zum Rausch durch Alkohol oder anderen Substanzen ist der Flow ein aktiver Zustand, der die Auseinandersetzung mit situativen Gegegenheiten und bestimmten Fertigkeiten verlangt. Und während der Flow selbst reiner Tätigkeitsfluss ist, lassen Glücksgefühle nicht lange auf sich warten: „Sie kommen meistens danach“, weiß Brandauer. Hinter der Großhirmrinde befindet sich das Limbische System, das für die Verarbeitung von Emotionen zuständig ist; es schüttet nach einem Flow die Glückshormone Dopamin, Serotonin und Endorphin aus. Aus diesem Grund schenke auch die Motiviationspsychologie dem Thema so viel Beachtung: „Wenn es so toll war, dann möchte ich das natürlich wieder erleben – und mache weiter.“
Der Flow, der als Überbegriff angesehen wird, besitzt spezielle Spielarten wie das Runners High, das beim Laufen auftreten kann. Während es dort sehr zyklisch zugeht, sich also Wiederholung an Wiederholung reiht, kommt beim Schifahren die Auseinandersetzung mit situativen Gegebenheiten viel mehr zum Tragen: „Das verstärkt den Flow“, sagt Thomas Brandauer.
Autor: Stefan Kluger