Probleme zu meistern, mit Belastungen und Trauma umzugehen ohne an daran zu zerbrechen – das versteht man unter Resilienz. Diese ist nicht bei allen Menschen gleich stark ausgeprägt. Bereits ab den 1950er Jahren begleitete die US-Psychologin Emmy Werner in einer 40-jährigen Langzeitstudie Kinder auf der Insel Kauai ins Erwachsenenleben. Sie stellte fest, dass auch arme und vernachlässigte Kinder oft nicht unbedingt am Leben scheiterten – selbst wenn man dies vorab eventuell vermuten würde. Denn diese Kinder hatten Resilienz: Sie erachteten ihr Leben als sinnvoll und wussten, wie bedeutend es ist, aktiv zu handeln. Sie verfügten zudem über stabile soziale Kontakte und ein realistisches Selbstbild.
Mit Resilienz befasst sich auch die Soziologin Hemma Mayrhofer, genauer gesagt damit, wie Resilienz dazu beitragen kann, Radikalisierung bei Jugendlichen zu verhindern. Das tat sie im Rahmen des Projekts „BI:JU – Biografiearbeit in der Offenen Jugendarbeit als resilienzstärkende Maßnahme zur Radikalisierungsprävention“.
Brüchige Identität
Unter Extremismus versteht man eine radikale politische Haltung oder Richtung. Menschen mit extremistischen Ansichten bewegen sich außerhalb der demokratischen Grundordnung. Die Ursachen, warum junge Menschen sich dem Extremismus zuwenden, sind vielfältig. Jedoch merkt Mayrhofer an: „Übergreifend zeigt sich, dass brüchige Identitätsbildung bzw. ein prekäres Verhältnis zur eigenen Biografie zentrale Risikofaktoren für die Übernahme extremistischer Sinnangebote darstellen.“
Mayrhofer führt dazu mehrere Interviews mit jungen Menschen, die sich extremistischen Gruppierungen – wie etwa rechtsextremistischen Szenen – zugewandt hatten – dann aber wieder davon Abstand nahmen. Sie betont, dass die eigene Widerstandsfähigkeit nicht isoliert vom sozialen Kontext betrachtet werden kann. Die Forscherin nennt ein Beispiel: Eine junge Frau realisierte bereits in der Schulzeit, dass sie und ihre kosovo-albanische Gruppe bei Mitschüler*innen Angst und Schrecken verbreiten konnte. Die Folge: Sie erpresste Schutzgelder. „Sie verstand sich als Beschützerin ihrer ethnisch-biologistisch definierten Gruppe, u.a. auch durch Ausübung von Gewalt“, so Mayrhofer. Heute arbeitet sie als Security und erlebt dies als sinnstiftende Tätigkeit, die ihr Kontrolle ermöglicht. „Sie resümierte im Interview, dass sie jetzt das mache, was sie ohnehin schon immer gemacht habe, nämlich Sicherheit herstellen, aber nun im rechtsstaatlichen Rahmen und nicht in einem extremistischen Kontext“, führt die Soziologin aus.
Blick auf die Gesellschaft
Zudem ist der Blick auf die Gesellschaft wichtig: „Wir haben in unserer Studie besonderes Augenmerk auf Umweltfaktoren gerichtet, denn weder Gefährdung noch Resilienz lassen sich auf individuelle Eigenschaften verkürzen. Erst in der Wechselwirkung zwischen Person und sozialem Umfeld bzw. gesellschaftlichen Rahmenbedingungen kann sich das Bewältigungspotenzial für schwierige Lebenslagen entfalten – oder aber blockiert werden.“ Um Resilienz zu entwickeln braucht es also ein förderliches soziales Umfeld in der Kindheit und Jugend.
Diskriminierungsformen stellen hingegen ein erhebliches Risiko für Radikalisierung dar, während ein persönliches Netzwerk, das positive Anerkennung und Zuwendung ermöglicht, Extremismus entgegenwirkt. „So kann eine sich radikalisierende Peergruppe auch Auslöser für Jugendliche sein, ebenfalls in einen Radikalisierungsprozess einzusteigen“, betont Mayrhofer ebenso.
Biografiearbeit
Ein weiterer wichtiger Punkt, um Extremismus bei Jugendlichen zu verhindern, ist Biografiearbeit. Darunter versteht man die Auseinandersetzung mit der eigenen Biografie in einem professionellen Setting. „Über Biografiearbeit kann das Wissen über sich selbst verbessert werden, damit können Ressourcen identifiziert werden, die bei der Bewältigung schwieriger Situationen helfen können. Biografiearbeit kann auch dabei helfen, sich mit belastenden und problematischen Erfahrungen im Leben zu versöhnen“, erklärt die Soziologin. In der Jugendarbeit gibt es bereits Angebote der Biografiearbeit, wenn auch nicht immer unter diesem Namen. So bieten etwa viele Jugendzentren die Möglichkeit an, Musik aufzunehmen, in denen das eigene Leben verarbeitet und reflektiert werden kann. Auch das kann die Resilienz Jugendlicher stärken.
Dennoch betont die Forscherin zum Abschluss, dass ein reiner Fokus auf die individuelle Ebene nicht genügt, um Resilienz bei jungen Menschen zu fördern: „Es geht somit immer auch darum, das soziale Umfeld resilienzfördernd zu gestalten und Jugendliche zu unterstützen – angefangen bei der Schule über berufliche Teilhabemöglichkeiten bis hin zu gut ausgestatteter Jugendarbeit.“