Sie sind winzig klein – etwa bis zu 7 Mikrometer – und wir sehen sie nicht mit freiem Auge, aber sie begleiten uns täglich: Raupenartige Bakterien, die in unserem Mund leben. Ein Team aus Wissenschafter*innen der Universität Wien und des „Institut national de la recherche scientifique“ (INRS) haben sich mit den oralen Bakterien der Neisseriaceae befasst – und einige Entdeckungen gemacht.
Diese Bakterien teilen sich entlang ihrer Längsachse – ohne sich voneinander zu trennen. Eigentlich gibt es diese Erkenntnis bereits seit den 1970ern, erklärt Zellbiologin Silvia Bulgheresi. Bisher wusste man jedoch nichts über die zugrundeliegenden molekularen Mechanismen und deren Entwicklung. Das „Institut national de la recherche scientifique“ (INRS) rund um den Mikrobengenetiker Frédéric Veyrier begann an deren Multizellularität und Längsteilung zu forschen. Währenddessen machte sich ebenso Philipp Weber, ein Doktorand Silvia Bulgheresis, auf der Suche nach sich längs teilenden Symbionten (das sind Tier-, Pilz- oder Pflanzenarten sowie Mikroorganismen, die in einer symbiontischen Wechselbeziehung zueinander stehen). Er stieß dabei auf die dieselben Bakterien wie das Labor in Frankreich. Er befasste sich in seiner Doktorarbeit mit der Frage, wie Bakterienzellen sich in ihrer natürlichen Umgebung reproduzieren und stieß während einer Konferenz auf die oralen Bakterien der Neisseriaceae. Diese haben einen großen Vorteil: Sie können im Labor kultiviert werden.
Multizellularität & Längsteilung
So forschten fortan sowohl die Wissenschafter*innen der Universität Wien als auch die am „Institut national de la recherche scientifique“ (INRS) zu den Neisseriaceae. „Verbesserte ultrastrukturelle Analysen des Veyrier-Labors ergaben, dass benachbarte Zellen ihre Seitenwände gemeinsam nutzen, um mehrzellige Filamente (fadenförmige Zellstrukturen, Anm. d. Red.) zu bilden, und dass jedes Bakterienfilament von einer gemeinsamen äußeren Membran umgeben ist“, erklärt Zellbiologin Silvia Bulgheresi. Philipp Weber wiederum fand, so Bulgheresi, durch die Verfolgung des Zellwandwachstums mit Hilfe von unterschiedlich gefärbten Zellwandvorläufern heraus, „dass die Zellwand als mediale Blätter eingefügt wird, die jede der Zellen wie eine Guillotine teilen. Dies steht in krassem Gegensatz zu den Teilungsarten, die bei einzelligen stäbchenförmigen Bakterien wie dem Darmbakterium Escherichia coli beobachtet werden.“
Wieso teilen die Neisseriaceae sich also längs und sind raupenförmig? Die Wissenschafter*innen vermuten, dass die Zusammenarbeit zwischen den Zellen an eine Anpassung an das Leben an der Oberfläche eines Säugetiers sein könnte. „Dies könnte die Haftung an der Mundschleimhaut und die koordinierte Bewegung auf ihr begünstigen, und außerdem könnte die größere Größe die Bakterien vor Fressfeinden schützen“, so Bulgheresi. Zudem gibt es die weitere These, dass die Längsteilung eine Unterteilung der Bakterienzelle bewirkt – in eine Seite, die am Mund befestigt ist und eine andere Seite, die nicht mit dem Mund in Kontakt ist, aber mit der Umgebung interagiert.
Zukünftiger Nutzen
Wozu kann also das Wissen über mehrzellige Neisseriaceae nützlich sein? Silvia Bulgheresi erinnert daran, dass praktisch jedes Tier dauerhaft mit Bakterien vergesellschaftet ist. Dennoch weiß man noch nicht viel darüber, wie Tier-Bakterien-Symbiosen zustande kommen. Die multizellulären Neisseriaceae sind kultivierbar und hoffentlich bald genetisch veränderbar. Sie bieten dann die einmalige Chance, zu testen, „ob Multizellularität, Längsteilung oder Zellpolarität die stabile Bindung von Bakterien an Tiere (einschließlich uns) begünstigen“, so Bulgheresi. Philipp Weber erinnert daran, dass wir ebenso noch nicht viel darüber wissen, was Multizellularität bei Mundbakterien überhaupt bedeutet: „So muss zum Beispiel noch erforscht werden, ob die Zellen in einem Filament unterschiedliche Aufgaben übernehmen. Erste Anzeichen für eine Kooperation zwischen den Zellen beschreibt eine Studie aus den 1970er-Jahren, die zeigt, dass die Filamente der Art Simonsiella muelleri in Segmente unterteilt sind und sich wie kleine Züge in eine Richtung fortbewegen können.“ Laut Silvia Bulgheresi können weitere Studie etwa Aufschluss „über die Evolution des grundlegenden Prozesses der Zellteilung geben.“ Philipp Weber erklärt, dass Mikroorganismen grundsätzlich eine Schlüsselrolle in allen wichtigen Kreisläufen (Kohlenstoff-, Stickstoff- und Nährstoffkreislauf), in der Gesundheit von Tieren, Menschen und Pflanzen sowie in der Landwirtschaft und dem globalen Nahrungsnetz eine Rolle spielen. „Die Gesundheit unseres Planeten und die des Menschen hängt also direkt von den Mikroorganismen ab“, resümiert der Forscher. Und Neisseriaceae können schlussendlich auch gut geeignet sein für probiotische medizinische Behandlungen zur Verbesserung der Mundgesundheit. Denn: „Etwa jeder zwei Mensch trägt sie im Mund“, so Silvia Bulgheresi abschließend.