Bereits seit den 1960er Jahren können Eltern in Österreich ihr Baby im Rahmen des kostenlosen Neugeborenen-Screening der Medizinischen Universität Wien auf verschiedene Krankheiten untersuchen lassen. Bisher wurden dadurch ungefähr 3000 erkrankte Kinder gefunden und rechtzeitig therapiert (jährlich sind es 80 bis 100 Kinder). „Es werden vom Neugeborenen nur wenige Blutstropfen aus der Ferse abgenommen, die auf einer Filterkarte getrocknet werden und aus ganz Österreich zu uns ins Labor geschickt werden. Es wird dann mit verschiedenen Methoden auf des Vorhandensein von 32 verschiedenen Erkrankungen untersucht“, so Maximilian Zeyda und Vassiliki Konstantopoulou von der Medizinischen Universität Wien. Wichtig sei nur, dass die Blutabnahme in den ersten Lebenstagen erfolgt (36 bis 72 Stunden nach der Geburt), damit eine gegebenenfalls benötigte Therapie möglichst früh möglich werde und keine schweren akuten Krisen oder Langzeitschäden entstehen, so die beiden Expert*innen.
Start des Neugeborenen-Screenings
Begonnen hat das Screening-Programm 1966, um die Phenylketonurie zu entdecken, eine Erkrankung des Eiweiß-Stoffwechsels. Weltweit wurden seit Beginn dieser präventiven Maßnahme 62.000 Patient*innen mit Phenylketonurie identifiziert. Über diese Krankheit, die als erste beim Neugeborenen-Screening erfasst wurde, erklären Zeyda und Konstantopoulou: „Betroffene Säuglinge entwickeln, neben anderen Symptomen, im Laufe der ersten Lebensjahre eine intellektuelle Behinderung, die schließlich immer weiter fortschreitet. Werden die Kinder schon in den ersten Lebenstagen behandelt, treten keinerlei schweren Symptome oder Komplikationen auf. Eine Phenylalanin-eingeschränkte Ernährung ermöglicht eine weitgehend normale Entwicklung. Diese Phenylalanin-eingeschränkte Ernährung muss allerdings zeitlebens eingehalten werden, da ansonsten die Intelligenz abnehmen kann und neurologische und geistige Probleme auftreten können.“ Um die Aufnahme an Phenylalanin zu vermindern, dürfen Lebensmittel, die diese Aminosäure enthalten, größtenteils nicht verzehrt werden, die Ernährung muss also sehr eiweißarm sein, da Phenylalanin in nahezu allen tierischen und pflanzlichen Lebensmitteln vorkommt.
Seltene Erkrankungen
Mittlerweile kann das Team des Neugeborenen-Screenings dank technischer und medizinischer Fortschritte mehr Krankheiten erfassen: Zwei Hormonstörungen, 25 Stoffwechselkrankheiten und Zystische Fibrose (Mukoviszidose). Zystische Fibrose ist etwa eine der häufigsten angeborenen Erbkrankheiten, die bereits im ersten Lebensjahr auftritt. Die Betroffenen leiden dabei unter Schleim in der Lunge und Beschwerden des Verdauungstrakts.
Seit Juni 2021 wird ihm Rahmen eines wissenschaftlichen Projekts auf spinale Muskelatrophie (SMA) und angeborene Immundefekte (SCID) gescreent. In Österreich konnten seit letztem Jahr zwölf Babys mit spinaler Muskelatrophie (SMA) identifiziert werden. Bei dieser Krankheit sterben bestimmte Nervenzellen des Rückenmarks ab, dadurch erreichen Reize und Impulse des Gehirns die Muskulatur nicht mehr und es kommt zu Muskelschwund und Lähmungen. SCID wiederum ist eine angeborene Erkrankung des Abwehrsystems, die Abkürzung steht für „schwerer kombinierter Immundefekt“. Bei dieser Erkrankung ist das Immunsystem so schwach, dass kaum Schutz vor Infektionen besteht. Das wesentliche Merkmal der Krankheit besteht darin, dass bei dieser Lymphozyten fehlen bzw. deren Funktion eingeschränkt ist. Lymphozyten sind eine Untergruppe der weißen Blutkörperchen, die bedeutend für die Abwehr von Infekten sind.
Auf der Website des Neugeborenen-Screening gibt es zudem eine Übersicht über alle Krankheiten, die durch das Neugeborenen-Screening entdeckt werden.
Verschiedene Therapien
Falls der Test positiv ausfällt, werden die Eltern durch die zuständigen Spezialist*innen der Geburtsklinik kontaktiert und weitere Untersuchungen werden veranlasst. Das erste Ergebnis eines Screenings-Tests stellt nämlich noch keine medizinische Diagnose dar, es können dadurch die untersuchten Krankheiten weitgehend ausgeschlossen werden oder es kann eine weitere diagnostische Untersuchung erforderlich sein. Die durch ein Screening entdeckbaren Krankheiten können nicht geheilt werden, durch Therapien aber gemildert werden. Je nach Art der Erkrankung erfolgt anschließend eine medikamentöse und/oder diätetische Therapie. Manche Kinder – etwa diejenigen, die an einer Schilddrüsenunterfunktion leiden – benötigen eine medikamentöse Hormonersatztherapie, bei anderen Betroffenen reichen regelmäßige Kontrollen aus. Stoffwechselspezialist*innen gibt es in ganz Österreich, ebenso Spezialkliniken und Ambulanzen.
Die Medizinische Universität beantwortet zudem in einem Folder relevante Fragen für Eltern.
Sieht man sich die Statistiken der entdeckten Fälle der letzten Jahre (2015 bis 2019) an, erkennt man leichte Schwankungen: So wurden 2015 und 2016 insgesamt je 107 bzw. 2017 111 Krankheiten identifiziert, während es 2018 147 Krankheiten waren und 2019 143. Maximilian Zeyda und Vassiliki Konstantopoulou können aber beruhigen: „Da die untersuchten Erkrankungen selten sind, treten für einzelne Jahre durchaus Schwankungen auf, die aber zufällig sind. Eine Zunahme in der Häufigkeit bestimmter Erkrankungen ist nicht zu erwarten.“