Technologischer Fortschritt und gesellschaftlicher Wandel verändern Konzepte für Mobilität. So galt noch vor 200 Jahren die Kutsche als Individualverkehrsmittel, deren Sitzkonzept man bei der Erfindung der Eisenbahn übernommen hat.
Noch heute sitzen sich Fahrgäste in den Abteilen der Züge oder in den U-Bahnen gegenüber. Mittlerweile funktionieren U-Bahnen in Städten wie Barcelona, Paris und Sao Paulo vollautomatisiert und ferngesteuert. Auch die neue U5-Linie in Wien, deren erstes Teilstück 2023 eröffnet werden soll, wird ohne Fahrer unterwegs sein. Am nächsten Schritt in der Entwicklung, nämlich selbstfahrende Linienbusse und Autos, wird international bereits intensiv geforscht.
Der Traum vom eigenen Auto war gestern
Georg Hauger ist Fachbereichsleiter für Verkehrssystemplanung am Department für Raumentwicklung, Infrastruktur- und Umweltplanung der TU Wien. Es ist das erste europäische Institut – gegründet 1992 – mit diesem Schwerpunkt. Hier befasst man sich interdisziplinär mit der Frage, wie ganzheitliche Mobilitätskonzepte in Zukunft aussehen könnten:„Wir bewegen uns im Bereich der Grundlagenforschung.
Wir sehen uns nicht nur die Infrastrukturseite an, sondern auch die räumliche und die psychosoziale Komponente. Denn das beste technische System nützt mir nichts, wenn es von den Menschen nicht angenommen wird. Bevor man Lösungen anbietet, muss man die Bedürfnisse kennen“, sagt Hauger. Der Verkehrswissenschaftler sieht schon in naher Zukunft ein völlig neues Mobilitätskonzept kommen: Das Konzept des öffentlichen Verkehrsmittels wird sich auf den Individualverkehr übertragen.
Haugers Theorie ist die folgende: Bedingt durch den geographischen Wandel und durch Einstellungsänderungen wollten junge Leute immer weniger Autos selbst besitzen. Gleichzeitig würden sich Fahrzeuge entwickeln, die es sinnlos machen, ein eigenes Fahrzeug zu haben. Die Nachfrage durch diese Gruppe von Menschen wirke sich mittlerweile bis in das Angebot von Tourismusregionen und Hotels aus: Immer mehr Urlauber würden ohne Auto anreisen und am Zielort darauf abgestimmte Mobilitätsservices vorfinden.
Die Rolle des öffentlichen Verkehrs wird also größer?
„Ich vermute, dass auch der traditionelle öffentliche Verkehr seine Grenzen hat. Vor allem im ländlichen, aber auch im urbanen Bereich sind große Projekte nur schwer finanzierbar.“ Gleichzeitig müss man aber bedenken, dass sich der städtische öffentliche Verkehr in Österreich – im internationalen Vergleich – auf hohem Niveau befinde.
Hauger geht stattdessen von einer zunehmenden Verschmelzung von individuellem und öffentlichem Verkehrssystemen aus: Autos würden geteilt und so Aufgaben des öffentlichen Verkehrs übernehmen. „Der Mensch braucht zwar etwas Individualisiertes, weil er sich dort wohler fühlt, aber gleichzeitig ist er faul. Das lässt sich jetzt noch schlecht vereinbaren, in ein paar Jahrzenten ist das mit den selbstfahrenden Autos aber durchaus vorstellbar.“
Ein Zukunftsszenario könne so aussehen: „Ich bestelle mir mit einem Handy-App ein Auto, das autonom fahren kann und von alleine zu mir kommt. Da sitze ich dann alleine drin und lasse mich zu meinem Ziel fahren. Dort muss ich mir keinen Parkplatz suchen, das macht das Auto von selbst oder fährt gleich weiter zum nächsten Kunden. Solche Mischsysteme aus pseudoöffentlichem Verkehr mit einer Art individualisierten Umgebung wird – zumindest in Orten von größerer Nachfrage – die Zukunft sein.“
Wann kommt diese Zukunft?
„Als ich mich zum ersten Mal mit autonomen Fahrzeugen beschäftigt habe, dachte ich mir: Das werde ich nicht mehr erleben. Mittlerweile sehe ich Forschungen, die so konkret sind, dass man sagen kann: Das wird innerhalb der nächsten 30 Jahren durchschlagen.“ Denn ähnlich den fahrerlosen U-Bahnen gibt es auch schon automatisierte Busse im städtischen Raum, erläutert Hauger. Auch wenn diese momentan noch langsam fahren würden, zeichneten sich rasante Entwicklungen ab: „In Amerika wird schon an Warnwesten geforscht, die von automatisierten Fahrzeugen als Hindernis erkannt werden können – bei einer Baustelle oder Panne beispielsweise. „Wir sprechen hier also von keinem fernen Zukunftsgespinst mehr.“
Autos als öffentliche Verkehrsmittel
Wenn Autos zu einem Teil der öffentlichen Verkehrsinfrastruktur werden, wer stellt diese dann zur Verfügung? Derzeit schreiben Gemeinden öffentliche Verkehrsdienstleistungen aus, erinnert Hauger. In Zukunft könnten dann ebenfalls Privatwirtschaft und kommunale Wirtschaft zusammenarbeiten, um solche Systeme zu etablieren.
Elektromobilität werde hier – beginnend beim Fahrrad und dann auf Autos übergehend – eine Rolle spielen. Das Fahrrad könne sich vom Freizeitgefährt zum künftigen Verkehrsmittel für kleinere Strecken entwickeln; etwa die bis zur nächstgelegenen U-Bahn-Station. „Dazu müssten natürlich die Schnittstellen zwischen Verkehrsmitteln optimiert werden, also ideale Umstiegsmöglichkeiten gegeben sein. Wir sprechen von Multimodalität.“
Autorin: Magdalena Meergraf