Wenn der Berg nicht zum Propheten kommt, muss der Prophet zum Berg, sagt das Sprichwort. In unserem Fall war der Prophet der deutsche Kunsttheoretiker Bazon Brock und der Berg das Angewandte Innovation Lab. Das was? Ja, die Universität für Angewandte Kunst unterhält seit Oktober einen kleinen aber feinen Ableger am Ring, der als fächerübergreifende Diskussionsplattform Menschen aus verschiedenen Disziplinen (Kunst, Design, Wissenschaften und Technologie) zusammenführen soll. Innovative Ideen entstehen oft an Schnittstellen zwischen verschiedenen Bereichen, aber auch neue Fragestellungen tauchen überhaupt erst auf, wenn man einer gewissen „Betriebsblindheit“ vorbeugt, indem man sich Inputs von Experten anderen Disziplinen holt, aber auch von der Öffentlichkeit, die im Innovation Lab (kurz: AIL) eingeladen ist mitzudiskutieren.
Unlösbare Probleme
Bazon Brock kam nicht nur zum Berg, sondern fast nach Hause – immerhin hatte der Kunsttheoretiker bereits in den 70ern einige Jahre lang eine Professur an der Angewandten inne. Schon damals spielte er mit der Idee, wie er im Rahmen seines Vortrags erzählt, die „Denkerei“, ein Amt für die Arbeit an unlösbaren Problemen, zu gründen, die nun ein zu Hause in Berlin Kreuzberg gefunden hat. Denn Brock ist eines sehr wichtig: Kunstschaffende – seien es Literatur, Musiker oder bildende Künstler – müssen sich miteinander austauschen. Er sagt: „Wer schreibt, muss selber zum Leser werden.“ – Künstler können nur die Qualität ihrer Arbeit steigern, indem sie selbst zu Betrachtern, Zuhörern oder eben Lesern werden.
Prophetie
Damit sind wir auch schon bei der Brücke zur Prophetie. Denn Brock sollte im neuen AIL einen Vortrag mit dem Titel „Der Künstler als Prophet: Historisch versus statistisch fundierte Prophetie – nur mit apokalyptischem Denken lässt sich begründeter Optimismus gewinnen.”, halten. Und Brock muss es ja wissen, denn immerhin hat er die erste Professur für Prophetie an der Hochschule für bildende Künste Saar inne. Was es nach Meinung von Brock mit Apokalypse und Scheitern – dem Kernteil des Vortrags – auf sich hat, sei hier vereinfacht zusammengefasst:
Tradition
In der prophetischen Tradition schließt man laut Brock nämlich nicht durch bloßes Hochrechen vom jetzigen Zustand auf die Zukunft, sondern geht von der Geschichte als Bruch aus. Also genau das Gegenteil von dem, was heute als Innovation, als Fortschritt bezeichnet wird. Um das zu illustrieren gab der Kulturtheoretiker folgendes Beispiel:
Wenn vor 35.000 Jahren eine Gruppe von Menschen in einer Höhle saß und der Hunger sie plagte, mussten die jungen Männer nach draußen gehen um Essen zu beschaffen. Sie hatten überhaupt keine Chance zu überleben, wenn sie nicht damit rechneten, dass sie es nicht schaffen. Wer mit dem Scheitern rechnete, hatte zumindest eine kleine Chance auf Erfolg, denn in Antizipation des Scheiterns wurden in der Gruppe Rollen verteilt. Zusammen übte man die Situation rituell ein. Das lässt sich gut vergleichen mit dem, wie heute im Hochleistungssport trainiert wird. Die Entwicklung des Menschen ist nicht in sicherer Gewissheit des Fortschrittsgedankens abgelaufen, sondern konnte nur durch die Bewusstmachung des Scheiterns funktionieren.
Optimismus
Eine andere Anekdote, die der Kunsttheoretiker erzählte, ist die Geschichte von Johannes (Autor der Offenbarung/Apokalypse des Johannes), der mit Kaiser Domitian zusammenprallte. Der Kaiser wollte wissen, was die junge Kirche eigentlich wolle. Immerhin baute sie keine Stadtmauer, keine Armee auf und gründete keine Banken. Johannes’ Standpunkt war, dass das römische Reich von seiner Gründung (ab urbe condita) rechnet und immer weitermacht, weiter erobert, wächst, dass es aber kein definiertes Ende gäbe. Die Kirche dagegen denke vom (Welt-)ende her – und daher hat sie auch die Kraft überhaupt zu beginnen, denn alles was begonnen wird, wird begonnen um es zu beenden und damit zu vollenden. Insofern sei das Denken vom Ende her – das apokalyptische Denken – der einzige Garant für Optimismus.
Wenn Brock also zwar genug am Wort Innovation auszusetzen hatte, war er doch von dem Innovation Lab als Ort recht angetan, weil er zum Vernetzen Gleichgesinnter dient – und das stimmte nicht zuletzt ihn optimistisch. Weitere Informationen über kommende Vorträge am AIL finden sich hier.