Die Lockdown-Maßnahmen während der COVID-19-Pandemie wirken sich nicht nur auf Menschen aus, sondern beeinflussen auch das Verhalten von Kleintieren wie Hunde und Katzen. Durch die Reduktion von Sozialkontakten ist für viele Menschen der Kontakt zum eigenen Haustier wichtiger denn je. Doch wie ergeht es den Tieren dabei? Wie die Vierbeiner mit den Veränderungen und Einschränkungen durch den Lockdown zurechtkommen, weiß Verhaltensexpertin Nadja Affenzeller von der Universitätsklinik für Kleintiere an der Vetmeduni Vienna.
Dieser Text von Nina Grötschl ist zuvor auf der Website der Vetmeduni erschienen.
Haustiere als emotionaler Anker in Krisenzeiten
Wissenschaftliche Studien aus der Humanmedizin bestätigen, dass der Lockdown zu einer allgemeinen Abnahme der mentalen Gesundheit und des Wohlbefindens beim Menschen führt. „Unsere Haustiere spielen gerade in dieser unruhigen Zeit eine wichtige Rolle. Denn Hunde, Katzen und Co. sind Quelle bedingungsloser emotionaler Unterstützung und Liebe, spenden Trost, geben dem Menschen Sicherheit und auch Stabilität. Die Nähe zum eigenen Tier kann die Reduktion von Sozialkontakten während der Ausgangsbeschränkungen kompensieren – wir fühlen uns weniger einsam. All das trägt zur mentalen Gesundheit bei“, erklärt Nadja Affenzeller von der Universitätsklinik für Kleintiere an der Veterinärmedizinischen Universität Wien.
Laut einer Studie aus Spanien (Bowen et al.), die mittels Online-Fragebogen durchgeführt wurde, gab circa die Hälfte der Befragten an, dass ihnen ihr Haustier wesentlich dabei hilft, die Krisenzeiten zu bewältigen. Auch die Arbeit von Ratschen et al. zeigt, dass Menschen während des Lockdowns mehr emotionale Verbundenheit zu ihren Tieren verspürten. Neun von zehn meinten, dass ihnen ihr Haustier durch die COVID-19-Krise geholfen hat. Und fast 95 % der Befragten konnten sich nicht vorstellen, während des Lockdowns ohne ihren tierischen Gefährten zu sein.
Dieser stressreduzierende Effekt lässt sich durch die sogenannte „Social buffering Hypothese“ erklären. Denn Haustiere gelten im weitesten Sinne meist als Familienmitglied und gehören einer sozialen Gruppe – dem Familienbund – an. Innerhalb dieser sozialen Gruppe können die einzelnen Sozialpartner Stressreaktionen gegenseitig abschwächen. Dadurch erhöht sich die Resilienz, d. h. die psychische Widerstandsfähigkeit, von Mensch und Tier gleichermaßen. Allerdings hängt die empfundene Nähe zu einem Tier nicht per se von der Tierart ab. Wir können uns mit Katzen, Hunden, Pferden und auch Vögeln oder Reptilien emotional verbunden fühlen und daraus Kraft schöpfen.
Nadja Affenzeller
Ängste und Unsicherheiten bei Tier und Mensch
Wie man mit der aktuellen Situation umgeht, hängt stark von der eigenen Persönlichkeit ab – das gilt gleichermaßen für Tiere wie für Menschen. Laut Bowen et al. machten sich Katzenbesitzer*innen Sorgen, ob ihr Tier auch während des Lockdowns eine adäquate tierärztliche Behandlung erhält und mit den notwendigen Medikamenten versorgt wird. 40 % der Befragten waren unsicher, ob sich ihre Katze wieder an den Alltag nach den Ausgangsbeschränkungen anpassen wird und dass die gegenwärtige Situation die gewohnte tägliche Routine beeinflusst. Bei Hundehalter*innen stand die Einschränkung beim Gassi-Gehen mit dem eigenen Vierbeiner ganz oben auf der Liste.
„Für Tierbesitzer*innen ist es vor allem wichtig zu wissen, dass die Versorgung ihres Tieres auch während eines Lockdowns zu jeder Zeit gegeben ist. Hunde- und Katzenbesitzer*innen können sicher sein, dass sich die heimischen Tierärzt*innen – unter Einhaltung aller vorgegebenen Präventionsmaßnahmen – auch in Krisenzeiten um das eigene Tier kümmern“, betont Affenzeller.
Verhaltensänderung bei Haustieren
Durch Ausgangsbeschränkungen verändert sich der gewohnte Tagesablauf nicht nur für Menschen von heute auf morgen, auch unsere Haustiere sind davon betroffen. Laut Affenzeller verursacht der Lockdown bei vielen Menschen ein Gefühl reduzierter Lebensqualität. So kommt es vermehrt zu Konflikten und Spannungen innerhalb der Familie. Und auch die tägliche Routine ändert sich. In Folge können diese Umstände zu negativen Verhaltensweisen bei Hunden und Katzen führen.
Mögliche Verhaltensauffälligkeiten sind:
- Vermehrtes Heischen nach Aufmerksamkeit
- Tiere reagieren nervös, sind gestresst oder frustriert
- Vermehrtes Bellen bei Hunden
- Hunde/Katzen reagieren ängstlich auf laute und/oder ungewohnte Geräusche
- Aggression gegenüber anderen Artgenossen nimmt zu
- Trennungsbasierte Probleme
- Harn- und Kotabsetzen in den eigenen vier Wänden
„Diese Auffälligkeiten können als Ausdruck von Überforderung mit der gegenwärtigen Lebenssituation interpretiert werden. Die Bewältigungsstrategien der Tiere sind überschritten und dies spiegelt sich in Verhaltensänderungen wider“, erklärt die Verhaltensexpertin. Laut Bowen et al. intensivierte die Lockdownphase auffälliges Verhalten insbesondere bei Hunden und Katzen, die bereits zuvor Problemverhalten gezeigt hatten. „Verschlechtert sich das Problemverhalten des eigenen Tieres durch vermehrte emotionale Nähe, sollte man auf die Bedürfnisse seines Vierbeiners Rücksicht nehmen und ihm Rückzugsmöglichkeiten bieten“, empfiehlt Nadja Affenzeller.
Lockdown weniger problematisch für Katzen
Im Gegensatz zu Hunden scheinen Katzen besser mit dem Lockdown zurechtkommen. Katzenbesitzer*innen zufolge stieg die Lebensqualität ihres Tieres sogar während der Ausgangsbeschränkungen (in 57 % der Fälle). Und bei knapp der Hälfte der Befragten hat sich die Beziehung zur eigenen Katze verbessert.
Problemverhalten bei Katzen wurde allerdings trotzdem beobachtet. Beispielsweise fürchteten sich viele Tiere vor lauten Geräuschen und versteckten sich vor Menschen oder mieden sie. Suchten Tierbesitzer*innen vermehrt Kontakt zur eigenen Katze, verschlechterten sich allgemeine Verhaltensweisen bei manchen Tieren signifikant. Das lässt darauf schließen, dass nicht jedes Tier intensiven Sozialkontakt mit Menschen toleriert.
Tierbesitzer*innen sollten im Fall von Verhaltensauffälligkeiten versuchen zu analysieren, was sich bei ihren Tieren während des Lockdowns verändert hat und wie sie am besten wieder zu ihrer Routine zurückfinden. „Bei der Analyse können natürlich auch verhaltensmedizinisch geschulte Tierärzt*innen sowie speziell ausgebildete Tiertrainer*innen helfen“, so Nadja Affenzeller.
Praxistipps: Was Tierbesitzer*innen wissen müssen
- Wichtig ist, den gewohnten Tagesablauf/die Routine einzuhalten. Denn Vorhersagbarkeit bedeutet zu wissen, was als nächstes kommt, gibt Sicherheit und kann helfen, Stress zu reduzieren.
- Gewohnte Zeiten beim Gassi- und Spazierengehen mit dem Hund einhalten. Zudem kann das Spazierengehen mit dem Hund unerwünschtes Verhalten wie Bellen reduzieren (Bowen et al.).
- Fixe Zeiten für den Besuch und die Versorgung des eigenen Pferdes einhalten. In Österreich ist die Versorgung des eigenen Tieres während des Lockdowns explizit erwähnt und somit erlaubt. Mehr Informationen dazu: „Coronavirus: Empfehlungen zur Pferdegesundheit“
- Nicht jeder Aufforderung zur Interaktion mit dem Hund/der Katze sofort nachkommen. Auch wenn es nachvollziehbar ist, dass Tiere mit dem Menschen interagieren möchten, müssen Vierbeiner am besten schon von klein auf lernen, sich an vorgegebene Spielregeln zu halten. Ändern sich diese während des Lockdowns von heute auf morgen, stellt sich bei Hunden und Katzen oft Frustration ein. Wichtig ist, sowohl aktive Spielminuten einzufordern, diese jedoch ab und an auch zu verweigern.
- Auf die individuellen Bedürfnisse des Tieres achten. Nicht jedes Tier möchte gestreichelt werden und empfindet körperliche Nähe als positiv. Rufen Sie Ihren Hund/Ihre Katze besser zu sich, anstatt aktiv auf das Tier zuzugehen. Streichel- und Kuschelrituale eher kurz halten und dazwischen immer wieder abwarten, ob Ihr Tier Sie zum Weitermachen auffordert. So findet man durch Beobachten heraus, was dem Tier gut tut und Freude bereitet.
- Dem eigenen Tier Freiraum geben und ihm erlauben, sich zurückzuziehen. Während der Ruhezeiten auf das Streicheln und Spielen verzichten.
- Bei jungen Hunden, die vor Energie strotzen und Hunden, die nicht gerne alleine sind: Bieten Sie ihnen Futterspielzeuge oder Schnüffelteppiche zur Selbstbeschäftigung an. Ebenso können Futtersuchspiele im Haus/in der Wohnung hilfreich sein. Auch Katzen suchen gerne nach Leckerlis, die versteckt sind.
Im Fall der Fälle
Jedes Tier reagiert auf die aktuellen Umstände anders. Bei auftretenden Verhaltensproblemen ist die Haustierärztin/der Haustierarzt die richtige Ansprechperson. Darüber hinaus stehen Ihnen die Expert*innen der Vetmeduni Vienna zur Verfügung.
Die Kliniken der Veterinärmedizinischen Universität Wien sind im Notfall 24 Stunden am Tag, 7 Tage die Woche, 365 Tage im Jahr erreichbar.
24-Stunden-Telefon der Vetmeduni Vienna:
Kleintiere: +43 1 25077-5555
Pferde: +43 1 25077-5520
Nutztiere: +43 1 25077-5232