Die Pandemie hat die einmalige Möglichkeit geboten, eine große Menge an Fußballspielen mit und ohne Zuschauer*innen im Stadion miteinander zu vergleichen. Das Ergebnis: Geisterspiele nehmen Druck von Schiedsrichter*innen und die Heimteams bekommen deutlich mehr gelbe Karten für Fouls.
1.286 Spiele europäischer Fußballligen analysierten die Psychologen Michael Leitner und Fabio Richlan vom Centre for Cognitive Neuroscience der Paris Lodron Universität Salzburg (PLUS). Die Matches fanden in der Saison 2018/19 und der Saison 2019/20 statt – aufgrund der Pandemie handelte es sich also zur Hälfte um Spiele mit, und zur Hälfte um Spiele ohne Fans im Stadion.
Ein Plus von 238 gelben Karten
Schiedsrichter*innen, die Geisterspiele leiteten, straften laut Studie Fouls von Spielern der heimischen Teams um ein Viertel öfter ab und verteilten 238 gelbe Karten mehr. Für die Spieler der Gästeteams blieb die Anzahl der gelben Karten in beiden Saisonen fast unverändert. Auch bei gelben Karten für Kritik und Unsportlichkeit gab es keine Unterschiede.
In ihrer Analyse kamen die beiden Wissenschaftler zu dem Schluss, dass beim Heimvorteil Faktoren, wie die emotionale Unterstützung durch vollbesetzte Tribünen, durchaus eine wichtige Rolle spielen. Aber: Einer der Hauptgründe, warum Heimteams häufiger gewinnen als Auswärtsteams, ist die unbewusste Bevorzugung durch Schiedsrichter*innen. Hingegen förderten die vielen Geisterspiele die emotionale Gelassenheit der Schiedsrichter*innen.
„Wir Menschen sind Rudeltiere“
„Durch die Pandemie war dieses große, natürliche Experiment möglich“, erzählt Leitner. Als Kritik an der Tätigkeit von Schiedsrichter*innen will er die Studie nicht verstanden wissen. „Wir Menschen sind Rudeltiere und unsere Entscheidungen hängen stark von Umgebung, Situation und anwesenden Personen ab. Je mehr wir Psycholog*innen über die Schwachstellen in der menschlichen Psyche wissen, die zu Konformität führen, desto wirksamere Gegenmaßnahmen können wir entwickeln.“
Um Schiedsrichter*innen Strategien zur Überwindung des sozialen Drucks zu vermitteln, schlagen die Psychologen den Einsatz von Virtual Reality vor. Zuallererst müsse man das Problem aber ansprechen, sagt Leitner: „Man kann in der Schiedsrichterausbildung darüber reden und erklären, was dahinter steckt. Dass der Mensch einfach so gebaut ist.“
Training für Geisterspiele mit Virtual Reality
Weil es aber nicht reicht, das Problem in der Theorie zu kennen, sei der nächste Schritt, der Einsatz von Virtual Reality: Benutzer*innen können damit in eine sehr erlebnisnahe digitale Umgebung eintauchen. „Durch Virtual Reality können Schiedsrichter*innen gezielt auf eine Situation vorbereitet werden und erleben, wie es ist, wenn aufgrund einer Entscheidung plötzlich ohrenbetäubender Lärm losbricht“, so der Psychologe.
Das sei zwar nicht ganz dasselbe, wie die reale Situation, aber: „Es gibt doch einen sehr lebensnahen Vorgeschmack darauf, was einen erwartet. Und das kann sinnvoll sein, um dann in der Realität bessere Entscheidungen zu treffen.“