In Österreich sind 40 Prozent der Menschen von einer Fettleber betroffen, 800.000 leiden an Diabetes mellitus (85-90 % davon an Diabetes Typ 2) und bis zu 250 000 Österreicher*innen leben mit Herzschwäche. Viele Erkrankungen dieser Art sind auf einen erhöhten Fettsäurespiegel im Blut zurückzuführen. Robert Zimmermann (Universität Graz) und Rolf Breinbauer (TU Graz) konnten bereits vor fünf Jahren einen Wirkstoff finden, der den Fettsäurespiegel im Modellorganismus reduziert, nun ist ihnen und ihren Teams ein weiterer Clou gelungen: Sie haben eine Variation des Wirkstoffs Atglistatin entwickelt, der im menschlichen Organismus eingesetzt werden kann.
Entscheidend dabei ist das Enzym ATGL (kurz für Adipose Triglyceride Lipase), da es Fettsäure im Blut freisetzt – und das wiederum löst Krankheiten aus. Also musste ein Weg gefunden werden, um genau dieses Enzym zu blockieren, ohne dass andere Vorgänge im Körper gestört werden. Um ATGL also zu hemmen, haben sie den Wirkstoff Atglistatin künstlich hergestellt. Dessen Molekülstruktur wurde so lange verändert, bis die perfekte Variation mit den Namen NG-497 gefunden war. Über den Prozess sagen die beiden: „Wir haben etwa 500 solcher Moleküle synthetisiert und analysiert, bis wir unsere besten Verbindungen gefunden haben.“
Das Ziel: Enzym ATGL hemmen
Im Zellkulturmodell könnten sie dank des künstlich hergestellten Wirkstoffes Atglistatin das Enzym ATGL vollständig hemmen – und das ohne bisherige schädliche Nebenwirkungen. Wie ist dies gelungen? Zimmermann und Breinbauer: „Ein sehr wichtiges Kriterium für die Entwicklung von Wirkstoffen ist die Selektivität. D. h., der Inhibitor (Hemmstoff, Anm. der Red.) sollte gegenüber anderen Enzymen, die zum Teil eine sehr ähnliche Struktur aufweisen, keine Wirkung zeigen. Unsere besten Inhibitoren, wie der publizierte Wirkstoff NG-497, haben sich als erstaunlich selektiv erwiesen. Wir können derzeit noch nicht sagen, wie sich die Wirkstoffe im Körper verhalten, da NG-497 erst am Beginn der präklinischen Entwicklung steht.“ Bezüglich der Nebenwirkungen erklären die beiden Experten, dass sie im Zellkulturmodell bisher keine Toxizität beobachten konnten. Bei der Medikamentenentwicklung könne es jedoch in allen Phasen zu unerwarteten Nebenwirkungen kommen. „Um für diesen Fall vorbereitet zu sein, sollte man immer alternative Moleküle zur Verfügung haben“, so Breinbauer und Zimmermann.
Der Ausgangspunkt: Fettsäuren
Die beiden Forscher und ihre Teams haben damit die Basis für Medikamente gelegt, die einmal verschiedene Krankheiten lindern könnten. Ausgangspunkt dafür ist die Beschäftigung mit Fettsäuren: Rolf Breinbauer und Robert Zimmermann erklären, dass diese zwar wichtige Energiespeicher seien, jedoch auch bei vielen Stoffwechselerkrankungen eine zentrale Rolle spielen. Wir brauchen grundsätzlich ein funktionierendes Fettgewebe. In einem gesunden Organismus werden Fettsäuren als Speicherfett (auch Triglyceride genannt) abgelagert. „Dieser Prozess wird streng durch Hormone reguliert und Fettsäuren werden nur bei Bedarf (im Fastenzustand oder bei längerer körperlicher Arbeit) wieder abgegeben, um dann die nötige Energie für den Körper zu liefern. Wenn aber das Fettgewebe aus verschiedenen Gründen nicht ausreichend Fettsäuren einlagern kann oder unkontrolliert Fettsäuren abgibt, steigt der Fettsäurespiegel im Blut und verschiedene Organe lagern Triglyzeride ein“, so Zimmermann und Breinbauer. Zuerst lagert die Leber Fett ein, dann andere Organe und dieser Prozess kann zu Entzündungsreaktionen, Insulinresistenz und in weiterer Folge zu Diabetes Typ 2 führen.
Die Zukunft: Kampf gegen Fettleber, Diabetes und Herzschwäche
„Könnte man also verhindern, dass das Fettgewebe zu viel Fettsäuren abgibt, würde man Lipotoxizität und die damit verbunden Erkrankungen verhindern. Die Lipase (Verdauungsenzym, Anm. der Red.) ATGL ist wesentlich dafür verantwortlich, dass Fettsäuren aus dem Fettgewebe abgegeben werden. Die Hemmung der ATGL durch Inhibitoren könnte somit eine Möglichkeit darstellen, Lipotoxizität (eine Schädigung von Geweben, die nicht für die Lagerung von Fettsäuren vorgesehen sind, Anm. der Red.) zu verhindern“, erklären Zimmermann und Breinbauer die Intention ihrer Forschung.
„Lipotoxizität, Lebersteatosen und Typ 2 Diabetes treten vor allem bei Fettleibigkeit auf, da der Körper in diesem Fall enorme Mengen an Speicherfett besitzt, das auch entsprechende Mengen an Fettsäuren abgeben kann. Interessanterweise hat sich auch herausgestellt, dass die Inhibierung der ATGL im Tiermodell sehr positive Effekte auf Herzinsuffizienz hat, was unabhängig von verschiedenen Forschungsgruppen gezeigt wurde“, so Breinbauer und Zimmermann weiters. Zudem zeigte sich ein sehr positiver Effekt eines von Breinbauer und Zimmermann entwickelten ATGL-Inhibitors bei schweren Verbrennungen.
„Nach dem derzeitigen Forschungsstand könnten ATGL-Inhibitoren also zur Therapie von Erkrankungen eingesetzt werden, die mit einem unkontrollierten Abbau von Fettgewebe und Lipotoxizität verbunden sind. Dazu gehören häufige Erkrankungen, wie Steatohepatitis (auch Fettleber genannt, Anm. der Red.) (nichtalkoholisch) und Insulinresistenz, aber auch seltene genetische Erkrankungen (Lipodystrophien), die zu einer reduzierten Fettspeicherkapazität führen. Besonders interessant ist aber Herzinsuffizienz, wo neue Therapieansätze dringend benötigt werden“, fassen Breinbauer und Zimmermann die Bedeutung ihrer Forschung zusammen.