Johanna Andersson hat einen harten Job. Sie ist Equality Coordinator an der schwedischen Chalmers University of Technology in Göteborg. Heißt: sie soll dafür sorgen, dass Männer und Frauen die gleichen Chancen haben. Ein Job-Profil wie eine Utopie. Weil aber Göteborg in Schweden liegt, geht Andersson recht unaufgeregt an die Sache. Nicht einmal Larry Summers, der als Harvard-Präsident zurücktreten musste, weil er es als erwiesen sah, dass ein biologisches Defizit Frauen zu schlechteren Mathematikerinnen und Wissenschaftlerinnen macht, bringt Andersson aus der Ruhe. Neue Ideen brauche die ewige Gleichberechtigungsdebatte. Schrödingers Katze hat zugehört und mitgeschrieben.
Gibt es, neben Gender-Fragen noch andere Aspekte der Gleichberechtigung, auf die sie sich konzentrieren?
Wir machen jede Menge Untersuchungen um Informationen über neue Herausforderungen zu sammeln. Gender ist dabei immer noch das wichtigste Thema. Meine Universität hat einen gemischten Arbeitsbereich mit Menschen aus 80 verschiedenen Ländern. Da haben wir auch bemerkt, dass die Frage der Sprache immer wichtiger wird. Es gibt auch Vorurteile gegenüber asiatischen Mitarbeitern. Die Leute nehmen einfach an, man wäre schüchtern oder würde keine Fragen stellen. Wir hatten auch Auseinandersetzungen wenn es um die schwedischen Ziele bei Gender-Gleichberechtigung und Religion oder sexuelle Orientierung und Religion geht. Wir bieten eine Einführung an, wo wir neue Angestellte über die schwedische Politik bezüglich sexueller Orientierung informieren. Negative Kommentare zur sexuellen Orientierung einer Person werden in Schweden als diskriminierend betrachtet. Das ist nicht überall so. Wenn man von woanders kommt, dann sollte man das wissen. Wir widmen uns vielen Themen, aber Gender ist immer noch die größte Herausforderung.
Wie würde eine wirklich gleichberechtigte Universität aussehen?
Wir würden endlich damit aufhören, wie verrückt Köpfe zu zählen. Wir würden endlich damit aufhören, eine so oberflächliche Vorstellung von Diversität zu haben. Manche Leute glauben ja, sie würden das Ziel von Diversität schon alleine dadurch erreichen, dass sie die Menschen optisch beurteilen, sie ansehen. Das sagt aber noch gar nichts aus. Es kann leicht passieren, dass eine Gruppe aus unterschiedlichen Nationen, aus verschiedenen Kulturen besteht, die Gruppe aber gleich denkt wenn es um die Lösung eines Problems geht. Und dann kann man es mit einer Gruppe heterosexueller Männer im gleichen Alter zu haben, die ganz unterschiedliche Vorstellungen haben. Das wäre mein Traum: nicht mehr anzunehmen, man würde irgendetwas wissen, nur weil man Alter, Geschlecht und so weiter kennt. Wenn wir einmal hinter diese Vorstellung blicken, dann werden wir eine sehr reichhaltige Mixtur entdecken. Talent gibt es in allen Ethnien, Altersgruppen oder Geschlechtern.
„Das wäre mein Traum: nicht mehr anzunehmen, man würde irgendetwas wissen, nur weil man Alter, Geschlecht und so weiter kennt.“ – Andersson
Wäre eine Universität mit dieser Herangehensweise erfolgreicher?
Sicher, auf der einen Seite. Andererseits macht mir diese Art darüber zu sprechen auch Angst. In Schweden gibt es zwei Arten um über Gleichberechtigung zu sprechen. Erstens, komplementär. Also, ja, Männer und Frauen sind unterschiedlich – aber gemeinsam sind wir kreativer. Der andere Diskurs handelt von Fairness und Gerechtigkeit für jeden Einzelnen und jede Einzelne. Man hat das Recht, seinen Motivationen und Zielen zu folgen. Niemand sollte durch etwas behindert werden, das er oder sie sich nicht ausgesucht hat. Ich fühle mich mit dieser Argumentation wohler. Mir macht der komplementäre Ansatz Sorgen.
Was sind denn die größten Hürden auf dem Weg zur gleichberechtigten Universität?
Ich sage nun etwas Pessimistisches und Kontroverses: manchmal ist gerade die Arbeit für Gleichberechtigung die größte Hürde für Gleichberechtigung. Weil wir immerzu auf die Frauen hinweisen und dabei einer unsichtbaren männlichen Norm folgen. Damit sollten wir aufhören. Wir sollten die Frage anders stellen: was funktioniert für Männer? Und wie schaffen wir es, dass das für alle funktioniert? Dafür müssen wir uns eine Weile den Männern widmen, sie und ihr Geschlecht in den Fokus rücken. Wir haben vierzig Jahre auf die Frauen hingewiesen. Jetzt ist es an der Zeit, den nächsten Schritt zu setzen. Frauen brauchen keine speziellen Netzwerke, keine maßgeschneiderte Unterstützung. Alles was sie brauchen, sind faire Chancen. Sie müssen für ihr Talent und nicht für ihre Agenda gefördert und befördert werden. Jede Quote wird immer einen Nachgeschmack haben. Du schaffst es nicht, weil du gut bist, sondern weil du eine Frau bist. Das ruiniert das Selbstvertrauen und sorgt dafür, dass dich die Umwelt nicht als Mensch mit Potential sieht sondern als jemandem, dem geholfen wurde.
„Manchmal ist gerade die Arbeit für Gleichberechtigung die größte Hürde für Gleichberechtigung.“ – Andersson
Auch in Österreich diskutiert man die Quoten-Frage. Jede Universitätsleitung muss mittlerweile zur Hälfte aus Frauen bestehen.
Oh. Wir machen das anders. Bei uns wird geregelt, dass maximal 75 Prozent der Führungspositionen an Männer gehen. Wir versuchen die Männer sichtbarer zu machen. Aber eigentlich mögen wir keine Quoten. Wenn eine Gruppe nur männlich oder nur weiblich ist, dann fragen wir nach dem Warum.
Wo stoßen Frauen in Schweden an gläserne Decken?
Da gibt’s nicht nur gläserne Decken. Wir haben auch gläserne Aufzüge, klebrige Böden, gläserne Pipelines – bei uns gibt es dafür viele Ausdrücke (lacht). Jeder versucht, herauszufinden, wo das genau passiert. Wir sind wirklich alles durchgegangen. Gibt’s eine konkrete Stufe, wo etwas passiert? Wir können nichts finden. Wir sehen Gleichberechtigung nicht mehr als einmaligen Vorgang, sondern als Summe vieler kleiner Vorgänge, die ausbleiben. Viele Studien besagen, dass wir die Leistungen von Männern tendenziell zu hoch bewerten, die von Frauen zu niedrig. Nicht dramatisch, aber doch. Wenn man etwa sagt: „Sie ist unerfahren“ aber „Er hat Potential“ – wen wird man wohl anstellen? Das beschäftigt uns gerade sehr. Strukturell haben wir alles eingerichtet, nun konzentrieren wir uns auf diese Ebene.
Wie halten Sie’s denn mit dem berüchtigten Mr. Larry Summers, der ja gemeint hat, dass biologische Unterschiede dafür sorgen würden, dass Männer in Naturwissenschaften und Mathematik Frauen überlegen wären. Summers sagte das als Präsident der Harvard University.
In Schweden hätte uns das nicht so aufgeregt. Nicht damals, 2005, als Summers das sagte. Damals gab’s in Schweden eine Debatte über das Geschlecht im Gehirn. Da hieß es auch, dass Frauen sozialer wären, dafür nicht so gut in Mathematik. Das hätte mit Hormonen zu tun, ich hab’s nicht verstanden. In Amerika musste Summers dafür zurücktreten. Er entschuldigte sich bei den Frauen in der Wissenschaft, wenn auch etwas tollpatschig.
Gibt es außerhalb Schwedens Universitäten, die als Vorbild dienen können?
Naja, es ist immer schwierig hinter Statistiken und Zahlen zu blicken. Ich habe mit einer Kollegin aus Slowenien gesprochen und ihre Universität hatte großartige Zahlen. Auf dem Papier. Sie meinte dann aber, dass die Jobs schlecht bezahlt sind und die Begabtesten in die Wirtschaft gehen. Ich war auch in Amerika, in Harvard etwa. Die machen es genau umgekehrt. Sie haben so viele Kategorien: Hispanic, Native American, Black Mixed, White Caucasian, Carribean. Gut, dann weiß ich dass jemand Hispanic ist, aber was genau sagt mir das über die Person? Ich verstehe dieses System nicht. Ok, wir haben verschiedene Hautfarben, aber was heißt das schon? Das hält uns doch zum Narren. Diversität lässt sich nicht an Hautfarben ablesen, da geht es um Einstellungen, um innere Werte. Sobald ich über Ethnizität nachdenke, passiert in meinem Kopf etwas. „Sie ist aus Polen“ – was sagt mir das? Kenne ich überhaupt jemanden, der Polnisch spricht? Davon sollten wir wegkommen, aber das wird wohl noch dauern.
Unser Titelbild zeigt Gleichberechtigung auf Schwedisch anno 1976. So wurde damals den Schweden die Karenz schmackhaft gemacht.