“Die Anwendung von Motivations- und Spielemechaniken im non-game-Kontext,” antwortet Jörg Hofstätter auf die Frage nach einer Definition des Prinzips Gamification. Man versucht also, aus (Video-)Spielen bekannte Belohnungsmechanismen in andere Lebensbereiche zu integrieren. Von kompetitiv bis kooperativ – die Möglichkeiten sind beinahe unbegrenzt.
Egal ob Lernen einer Sprache oder Motivation zur täglichen Fitnesseinheit – das Ziel ist es, Inhalte so aufzubereiten, dass sich der Konsument – oder in diesem Fall, der Spieler – gerne mit ihnen auseinandersetzt. “Für uns ist Gamification ein großer Baukasten. Die Herausforderung besteht darin, die richtigen Werkzeuge entsprechend einzusetzen. Es geht um Inhalte und Problemstellungen, aber auch um Dramaturgie.”
Die Summe dieser Teile ergibt Hofstätters Verständnis von Gamification – und die Motivation seiner beruflichen Tätigkeit. Ursprünglich zog er aus dem oberösterreichischen Salzkammergut nach Wien, um Architektur zu studieren. Nebenbei arbeitete er mit Freunden an kleineren Online-Projekten und gründete nach Ende des Studiums die Firma ovos. Die Distanzierung von der Architektur sei also ganz, unbewusst – Schritt für Schritt – “einfach so passiert.” Er fügt hinzu dass “viele Architekten später wo anders landen – auch weil die generalistische Ausbildung dies zulässt.”
Ein Physik-Spiel als Pionier
Über Umwege – wie dem Design von virtuellen Räumen oder Werbespielen – landete Hofstätter schließlich bei Gamification. Aus der Leidenschaft zur Wissensvermittlung wurde Ludwig geboren – ein Physik-Spiel zum Thema erneuerbare Energien sowie der Versuch, das “game-based-learning” in die Schulen zu bringen. Das Lernspiel gilt in seinem Bereich bis heute als Benchmark-Projekt.
Hofstätters Hauptantrieb war die Unzufriedenheit mit dem damaligen Angebot – gute Spielentwickler und Programmierer spezialisierten sich lieber auf Entertainment als auf Education. “Was als Lernspiel verkauft wurde, war oft nur ein Multiple Choice Test mit ein paar Animationen. Wir wollten zeigen, dass es anders geht – und dass die Spiele gut sein müssen, damit ein Lerneffekt entsteht.”
Nicht zuletzt dank Ludwig ist Gamification auch in Österreich angekommen. Auf die Frage, ob er momentan mit Anfragen überschüttet werde, reagiert Hofstätter zurückhaltend: “Man wird auf jeden Fall mit vielen verschiedenen Vorstellungen konfrontiert, was man mit Gamification alles erreichen kann.” Themen wie Verhaltens- oder Persönlichkeitsänderung seien komplex, Langzeitwirkungen oft schwer abzuschätzen. Gamification könne aber dabei helfen, trockene Themen spannend zu vermitteln, “ein Türöffner sein, Reflektion erzeugen und Wissensvermittlung betreiben – ganz anders als reine Konsumation von Inhalten.”
„Wir müssen auf das breitenwirksamste Medium setzen – und das sind nicht Bücher oder Filme, sondern Computerspiele.“ – Jörg Hofstätter
Zur Entstehung des Hypes hat mit Sicherheit die Vielzahl an mobilen Apps beigetragen, die es ermöglicht, Gamification ins tägliche Leben zu integrieren. Es ist davon auszugehen, dass sich qualitativ hochwertige Ansätze in Zukunft auch im beruflichen Alltag etablieren werden. “In unserer Gesellschaft ist lebenslanges Lernen ein großes Thema. Wir müssen nach vorne denken und erkennen, dass es dienlich ist, Inhalte so aufzubereiten, dass einem dabei nicht der Fuß einschläft. Wir müssen dabei auch auf das breitenwirksamste Medium setzen – und das sind nicht Bücher oder Filme, sondern Computerspiele.”
Zocken für das Allgemeinwohl
Dem Bereich der Naturwissenschaften entstammt ein bekanntes Beispiel, wie man spielerisch Karriere machen kann: das Protein-Faltspiel foldit. Dank des Spiels konnten Erkenntnisse gewonnen werden, die Forschern jahrelang verwehrt blieben. „Die Intelligenz der Massen zu nutzen – davon kann die Wissenschaft enorm profitieren. Wir sprechen von Motivation: mitarbeiten für ein “greater good” ist etwas anderes als ein Highscore“, analysiert Hofstätter. Entdecken, forschen und gemeinsam auf Schatzsuche gehen: die Möglichkeiten sind zahlreich – und es muss auch nicht immer digital sein.
Innovative Lösungsansätze fördern die Entwicklung der Gesellschaft. Angesprochen darauf, welche Rolle er selbst in diesem Prozess einnimmt, antwortet Hofstätter bestimmt: “Uns geht es immer ums Lernen, in den verschiedensten Facetten – es spannender machen, lustiger machen, den Erkenntnisgewinn zu forcieren – das ist unsere Vision. Wir sind immer gerne dabei, wenn es darum geht, das Lernen ins 21. Jahrhundert zu bringen.”
Erst die Arbeit, dann das Spiel – echt jetzt?
Er verweist auf aktuelle Entwicklungen in der Gesellschaft, wie “kreatives, lösungsorientiertes Denken, sich schnell auf ständig verändernde Umstände zu reagieren, oder auch Sozialkompetenzen. Niemand behauptet, Computerspiele sind die Antwort auf alles – aber man kann sich vieles abschauen.” Eine Sache liegt Hofstätter besonders am Herzen: “Worauf ich allergisch bin, ist die Einstellung: „Erst arbeiten, dann spielen“. Spielerisches Lernen ist die natürlichste Art, zu Lernen – schauen wir auf die Kinder. Ein entspannter Umgang mit Spielen, Lernen und Arbeiten, mehr Raum für das Scheitern zulassen und kreativer mit Lerntechniken umzugehen – das würde unserer Gesellschaft gut tun.“
Diese Worte hat sich Philipp – unser Versuchskaninchen – zu Herzen genommen und hat im Selbstertversuch seinen gesamten Alltag gamifiziert. Ob das zu viel des Guten war und was er erreichen konnte, erzählen wir euch in einer Woche.