Mehr als 100.000 Neuinfektionen in Russland
Immer mehr Menschen infizieren sich mit HIV. Vor allem in Osteuropa, insbesondere in Russland, gibt es immer mehr Neuinfektionen. Im vergangenen Jahr waren es über 100.000. In Westeuropa steigt die Zahl der Neuinfektionen zwar momentan nicht, es zeigt sich aber auch kein gegenteiliger Trend. Laut Doris Wilflingseder von der Medizinischen Universität Innsbruck könnte das teilweise daran liegen, dass bei vielen Menschen, vor allem bei jungen Leuten, das Risikobewusstsein für diese chronische Immunerkrankung fehlt.
Es stimmt zwar, dass die derzeit eingesetzte antiretrovirale Therapie (ART) sehr effektiv ist und die Anzahl der Viren im Körper stark reduziert wird, eine Heilung ist das allerdings noch nicht. Außerdem stehen diese Medikamente bisher nur der Hälfte der Weltbevölkerung zur Verfügung. Bei dieser Behandlung werden Medikamente eingenommen, die die Verbreitung der HI-Viren im Körper verlangsamen. „Es gehört einfach mehr in die Köpfe der Leute rein, dass HIV eine therapierbare, aber noch keine heilbare Krankheit ist“, so Wilflingseder. „Man muss sich der Konsequenz bewusst sein, dass man bei einem Ausbruch der Krankheit immer noch jeden Tag seines Lebens Medikamente nehmen muss.“
Die Wächterzellen stärken
Die HIV-Impfstoffentwicklung ist gar nicht so einfach für Forscher, da es verschiedene Virusstämme gibt, das Virus oft mutiert und auch die zu behandelnden Menschen sehr unterschiedlich sind. Wilflingseder erforscht, wie bestimmte Abwehrzellen des Körpers, auch dendritische Zellen genannt, aktiviert werden können, sodass sie das Virus besser bekämpfen können.
„Dendritische Zellen sind die Wächterzellen unseres Immunsystems. Was wir erkannt haben, ist, dass Viren, die mit Proteinen der körpereigenen Immunabwehr, sogenannten Komplementfragmenten, umgeben sind, in den dendritischen Zellen eine sehr gute antivirale Immunantwort ausgelöst haben. Im Prinzip wollen wir bei unserer therapeutischen Impfung genau die Situation, die man zu Beginn einer HIV-Infektion sieht, jedoch später in der chronischen Phase der Infektion nicht mehr so gut funktioniert, ausnützen“, erklärt Wilflingseder.
Zellkulturen in 3D
Grundlagenforschung im Bereich HIV wurde bis jetzt immer nur in 2D-Modellen in Petrischalen beziehungsweise in Zellkulturplatten betrieben. Menschliche Zellen werden dazu in der Schale ausgesät, wo sie sich zweidimensional, also flach, ausbreiten. Wilflingseder verwendet jedoch eine Matrix, also ein poriges, halbfestes Gel, in das sie die Zellen sät wie Samen in die Erde. So können sich die Zellen auch dreidimensional ausbreiten. „In diesem Gerüst werden dann komplexe Strukturen aufgebaut, die den Geweben in unserem Körper sehr ähneln“, sagt Wilflingseder. So könne man die Reaktionen, die im Körper ablaufen, viel realitätsnaher untersuchen. „Ein Organ in unserem Körper ist ja auch nicht nur zweidimensional“, so die Forscherin.
Mangels 3D-Modellen wurde bisher meist mit Primaten oder Mäusen, denen menschliche Stammzellen eingesetzt wurden, experimentiert. Dass ist der Forscherin zufolge nicht nur ein ethisches Problem, sondern auch ein finanzielles. Primatenhaltung sei nämlich sehr teuer. Zudem gebe es gravierende biologische Unterschiede in den Organismen zweier Spezies, die das Ergebnis beeinträchtigen würden. So Wilflingseder: „Es kann sein, dass Dinge, die in der Maus funktionieren, beim Menschen gar nicht funktionieren. In der Petrischale hat man zwar nicht die Komplexität einer Maus, jedoch bleibt man im selben System.“
Heilung lässt noch auf sich warten
Bis ein funktionierender Impfstoff für das HI-Virus gefunden ist, wird es allerdings noch lange dauern. Die Grundlagenforschung, die Wilflingseder betreibt, könnte aber schon bald einen wichtigen Beitrag zur Bekämpfung von HIV leisten. Bis dahin liegt es laut Wilflingseder vor allem an den Medien, die immer noch bestehenden Gefahren von HIV und AIDS bekannt zu machen.
Autorin: Anika Suck