Manche Geschwister ähneln sich wie ein Ei dem anderen, doch auf manche trifft das ganz und gar nicht zu. Der Prozess, der für diese Mischung der elterlichen Gene verantwortlich ist, nennt sich auch „Crossing-over“. In einem vom Wissenschaftsfond geförderten Projekt der Uni Wien soll dieser Vorgang genauer untersucht werden.
Forschungsprojekt an der Uni Wien will Chromosome „kartographieren“
Crossing-over ist wichtig, damit am Ende alle neuen Geschlechtszellen (wie Gameten, Eizellen und Spermien) eine einzigartige Mischung der elterlichen Gene enthalten. Der Biologe Joao Matos und sein Team von der Uni Wien wollen erstmals ganz genau beobachten, wie genetische Information entlang von Chromosomen ausgetauscht wird. Dafür wollen sie eine neue Methode entwickeln, um herauszufinden, wo genau auf dem Genom das Crossing-over passiert. Das Ziel sei, danach die Struktur der Chromosomen an diesen Stellen zu untersuchen und damit zu verstehen, wie Eltern Eigenschaften an ihre Nachkommen weitergeben. Schrödingers Katze hat den Projektleiter Joao Matos gefragt, wie das genau funktioniert.
Schrödingers Katze: Warum ist es so wichtig, dass Zellen eine gute Mischung des Erbguts haben?
Joao Matos: Die Vermischung von Informationen mütterlichen und väterlichen Ursprungs führt zu genetischer Vielfalt, die für die Evolution sehr nützlich ist. Darüber hinaus spielt der Mischprozess auch eine Rolle bei der Trennung der Chromosomen, so dass Gameten den richtigen Typ und die richtige Anzahl von Chromosomen erben. Kurz gesagt, Crossing-over ist für die Produktion gesunder Gameten und für die sexuelle Fortpflanzung unerlässlich.
Wie viel wissen wir bereits über Crossing-over?
Dieser Vorgang fasziniert Wissenschaftler*innen seit über 100 Jahren. Die hervorragende Arbeit verschiedener Forschungsteams aus der ganzen Welt hat bereits viele wichtige Hinweise darauf gegeben, wie es zu den Übertragungen kommt. Zum Beispiel kennen wir bereits die Identität vieler zellulärer Komponenten, die den mütterlichen und väterlichen Chromosomen helfen, Gene auszutauschen. Wir wissen auch, dass die Anzahl und Verteilung von Crossing-over-Ereignissen stark reguliert ist: Sie sind in der Regel gleichmäßig entlang der Chromosomen verteilt.
Trotzdem wissen wir immer noch sehr wenig darüber, wie Zellen bestimmte Stellen entlang der Chromosomen auswählen, damit dort das Crossing-over stattfinden kann. Darüber hinaus haben wir nur ein sehr rudimentäres Wissen darüber, wie die Crossing-over-Stellen aussehen. Mit anderen Worten: wir haben kein gutes Verständnis von der „Architektur“ von Chromosomen. Das ist sehr wichtig, wenn wir wirklich verstehen wollen, wie Crossing-over genau funktioniert.
Wie sehen die Experimente aus, die Sie durchführen?
Zunächst entwickeln wir neue Methoden, um Strukturen, die sich zwischen den austauschenden Chromosomen bilden, über das gesamte Genom hinweg abzubilden. Diese Zwischenstrukturen – auch Holliday Junctions genannt – sind der Schlüssel, um zu verstehen, wo entlang der Chromosomen der Austausch von Genen stattfindet. Bisher konnte noch niemand sie abbilden. Unser neuer Ansatz baut auf einer früheren Entdeckung meines Teams auf, bei der wir ein Protein entwickelt haben, das sehr spezifisch an solche Strukturen anknüpft.
Zweitens werden wir hochauflösende Mikroskopiemethoden zusammen mit diesen kartographischen Daten verwenden, um die Zwischenstrukturen in der Zelle sichtbar zu machen. Wir glauben, dass wir so grundlegend neue Einblicke in den Mechanismus des Crossing-over liefern können.
Welche größeren Fragen möchten Sie mit Ihrer Forschung beantworten?
Das allgemeine Ziel des Forschungsprojekts ist es, zu bestimmen, wie Zellen den Austausch von genetischem Material zwischen Chromosomen mütterlichen und väterlichen Ursprungs implementieren – ein grundlegendes Ereignis im Lebenszyklus der überwiegenden Mehrheit der sich sexuell reproduzierenden Arten. Daher wird erwartet, dass unsere Arbeit wichtige neue Einblicke in die molekularen Grundlagen der Vererbung liefert: die Weitergabe von Merkmalen von den Eltern an ihre Nachkommen.
Darüber hinaus ist bekannt, dass fehlerhaftes Crossing-over zu genetischen Fehlbildungen führen kann. Beim Menschen sind Trisomien und Monosomien die am häufigsten identifizierten numerischen Chromosomenanomalien, die bei mehr als fünf Prozent aller klinisch anerkannten Schwangerschaften auftreten. Durch die Entdeckung neuartiger Prinzipien der Chromosomen-Rekombination kann unsere Arbeit dazu beitragen, die molekulare Ursache schwerer Entwicklungsstörungen sowie der Unfruchtbarkeit zu beleuchten.