Wir haben bereits über den Ekelfaktor gesprochen, den man bei einer oberflächlichen Auseinandersetzung mit dem Thema Entomophagie kaum vermeiden kann. Sieht man aber darüber hinweg, ist es eigentlich verwunderlich, dass die westliche Kultur trotz der Vielzahl an Vorzügen noch viel Aufholbedarf hat. Du hast aber auch einen Wandel in der Gesellschaft beobachtet. Welche Argumente sind denn am effektivsten, um Vorurteile abzubauen?
Ich betone gerne die Analogie zu anderen Lebensmitteln, wie zum Beispiel Sushi. Man hat sich bei uns vor Jahrzehnten nicht vorstellen können, rohen Fisch zu essen, aber heute sieht man es an jeder Straßenecke. Ich glaube, das wird bei Insekten ähnlich sein, sobald die Leute anfangen, zu experimentieren und dadurch die Szene wächst. Das war auch die Motivation hinter der Kochsession mit Hanni Rützler und Harald Irka. Die Leute werden neugierig und so geht es Schritt für Schritt Richtung Mainstream. Es gibt natürlich auch heute Menschen, die Sushi nicht mögen oder keine Shrimps essen – das wird bei Insekten nicht anders sein. Wahrscheinlich wird es auch nicht so schnell einen Riesenmarkt erreichen wie Sushi, aber es geht in die richtige Richtung.
„Die Eier von Ameisen schmecken ein bisschen wie Zitrone.“ – Katharina Unger
Das Schüren von Neugier ist also deiner Meinung nach das Mittel zum Erfolg?
Ja, ich glaube schon. Für viele Leute ist es vielleicht der Nachhaltigkeitsfaktor. Damit erreicht man viele Menschen, aber einem Großteil der Konsumenten geht es weniger darum, als um den Geschmack. Das kann man sehr spannend präsentieren, weil es bei Insekten so viel Neues zu erforschen gibt, viele verschiedene Arten, die man ausprobieren kann. Ich war vor ein paar Wochen auf Hawaii bei einem Food Event eingeladen und habe zum ersten Mal Eier von Ameisen gegessen – die schmecken ein bisschen wie Zitrone.
Wenn man das ganze Thema von einem anderen Blickwinkel sieht, geht es eben auch um ein Umdenken in der Gesellschaft. Du sprichst dabei von einer “Auflehnung gegenüber einem dysfunktionalen System” und forderst einen “neuen Lifestyle, eine neue Kultur”. Welche Rolle spielst denn du selbst in diesem “Revolutionsprozess”?
Das ist eine interessante Frage. Seit der Veröffentlichung meiner Farm und seit ich “draußen” in der weiten Welt bin, habe ich erkannt, dass man als Designer oft hin und her gerissen ist. Man interessiert sich für unterschiedliche Themen, deshalb gibt es auch Design Consulting Agenturen, die heute einen Wasserhahn und morgen einen Fernseher machen. Man gerät schnell in Versuchung, an vielen, verschiedenen Ideen zu arbeiten.
Ich habe mich aber in den letzten Jahren entschieden, meine kreative Energie auf das Thema zu fokussieren, dass mir am meisten Kopfzerbrechen bereitet, mir am meisten bedeutet – und das ist eben die Nachhaltigkeit, und im weiteren Sinne auch die Lebensmittelproduktion. Seitdem beschäftigt sich meine gesamte Tätigkeit als Designerin ausschließlich mit der Thematik, wie man natürliche Prozesse – zum Beispiel innovative Bio- oder Lebensmitteltechnologien – mit Hilfe von Design einer breiten Masse zugänglich machen kann.
Die Möglichkeiten dafür sind vielfältig: Ich habe zum Beispiel in einem Projekt mit der Universität Utrecht Pilze gezüchtet, die Plastik zersetzen und dabei essbare Biomasse erzeugen. Mittlerweile habe ich eine Reihe an kleinen, innovativen Ideen entwickelt, die zu dem Thema passen und auch funktionieren. Meine Hoffnung ist natürlich, dass ich im Laufe der Zeit eine Position als Innovator in dem Feld einnehmen kann. Momentan berate ich Firmen, die sich mit genau diesen Fragen auseinandersetzen. Das heißt, man hat eine Technologie entwickelt, weiß aber nicht wie man sie anwenden, verpacken, brauchbar machen kann, oder wie man die Idee an ein größeres Publikum kommunizieren kann.
Du hast vor einiger Zeit in einem Video dein Verständnis von Design als Möglichkeit, Elemente aus Kunst und Wissenschaft zu vereinen, beschrieben. Außerdem sagst du, dass die Interaktion de Menschen mit ihrer Umgebung etwas über diese Menschen aussagt. Inwiefern glaubst du im Umkehrschluss, das Design eines Produktes beeinflusst die Menschen?
Ich glaube, es gibt viele Beweise, dass Design einen riesigen emotionalen Wert hat. Man sieht bei Apple, wie Design eine riesige Gruppe an Menschen weltweit davon überzeugen kann, ein bestimmtes Objekt zu benutzen. Dadurch hat man sich inzwischen eine unglaubliche Reichweite erarbeitet, fasziniert Menschen unabhängig von Geschlecht, Alter oder sozialer Gruppe – der Effekt ist also auch gesellschaftsübergreifend.
Daher ist Design auch so faszinierend. Früher hat man gerne gesagt: “form follows function”. Der Profession des Designers ist im 19. Jahrhundert entstanden, als Massenproduktion ein Thema wurde. Man hat jemanden gebraucht, der ein Produkt so entwickelt, das man vervielfältigen kann. Damals hat sich natürlich die Form aus der Funktion abgeleitet. Das bleibt natürlich ein wichtiger Punkt, aber inzwischen ist es facettenreicher geworden. Mein Professor hat immer gesagt: “form follows emotion”.
Du beschreibst diese Möglichkeiten, die du als Designerin hast, nicht nur als “opportunity”, sondern auch als “responsibility”. Was meinst du damit?
Wenn man beginnt, Industriedesign zu studieren, öffnet sich eine neue Welt. Man hat die Möglichkeit, Produkte zu designen, die dann gekauft und benutzt werden. Im Laufe der Zeit erkennt man, dass ein Produkt zwar gekauft und benutzt wird – aber irgendwann wird es auch weggeworfen. Viele Produkte haben eine kurze Ablaufzeit, bevor sie auf der Müllhalde landen – und oft brauchen sie so lange, bis sie von der Bildfläche verschwinden, dass wir es selbst gar nicht mehr erleben.
Insofern ist es eine Gratwanderung: man will etwas neues kreieren, etwas erschaffen – aber man will nicht mehr Schlechtes als Gutes in die Welt bringen. Das ist natürlich schwierig zu begründen, aber ich persönlich hatte das Gefühl, ich kann immer dahinter stehen, wenn ich mich auf nachhaltige Produkte konzentriere. Sprich: besser und effizienter als davor – oder sie haben einen solchen Innovationsfaktor wie die Farm, der eine neue Kulturbildung in Gang setzen kann.
Wie lange es noch dauern wird, bis Katharina Ungers Visionen Realität werden, lässt sich kaum abschätzen. Bereits auf dem Markt und in aller Munde ist aber der Nährstoffshake Soylent, welcher bereits Inhalt unseres Gesprächs mit Hanni Rützler war. Schrödingers Katze hat sich im Zeichen der Wissenschaft 5 Tage lang von dem Zaubertrank ernährt – mehr dazu nächste Woche in unserem Selbstversuch-Tagebuch.
Alle Bilder stammen von Katharina Ungers Website http://www.kunger.at/