Wir wollen heute in Hinblick auf unseren FutureFood-Schwerpunk über die Farm 432 und deine Motivation, Insekten zu züchten und zu essen, sprechen. Willst du dich, bevor wir beginnen, kurz jenen vorstellen, die dich noch nicht kennen?
Natürlich. Ich habe von 2008 bis 2013 Industriedesign studiert, an der Universität für angewandte Kunst in Wien. Von den vorgesehenen fünf Studienjahren habe ich das letzte genutzt, um international Arbeitserfahrung zu sammeln – unter anderem in Hong Kong, wo ich auch jetzt wieder bin.
Hier ist mir auch bewusst geworden, wie schlecht es um die Nahrungsmittelsituation auf der Welt bestellt ist. In Hong Kong herrscht ein totaler Überfluss an Nahrungsmitteln – man findet alles, von südostasiaitschen Speisen bis zu westlichen Lebensmitteln. Es ist jedoch schwierig, nachzuvollziehen, wie etwas produziert wird. Die einzigen Kriterien, nach denen man auswählen kann, sind zum Beispiel ob ein Ei aus Neuseeland, China oder Amerika kommt, ob es braun oder weiß ist, groß oder klein.
Dadurch, dass ich auf einem kleinen Bauernhof im Südburgenland aufgewachsen bin, war mir dieses Thema aber immer sehr wichtig. Als ich nach Wien zurückgekommen bin und meine Diplomarbeit schreiben musste, habe ich begonnen, über industrielle Tierhaltung und Fleischproduktion zu recherchieren und bin so über Umwege zum Insekt gekommen. Das Ziel der Arbeit war, den einzelnen Konsumenten zu befähigen, unabhängig vom globalen System zu werden – und so ist die Farm 432 entstanden.
Du erzählst, dass du auf deinen Reisen bemerkt hast, dass es in Sachen Lebensmittelproduktion so nicht weitergehen kann und hast dich als Problemlösung für Insekten entschieden. Kamen auch andere Ansätze in Frage?
Ein Thema war mit Sicherheit das im Labor gezüchtete Fleisch oder andere Proteinalternativen wie zum Beispiel Mikroalgen. Es war mir auch wichtig, nachhaltiger zu produzieren und den Einzelnen in das System zu involvieren. Da gab es Ideen über logistische Abholsysteme für Küchenabfälle, das wiederum zu Tierfutter verarbeitet wird. Ich habe also in alle mögliche Richtungen recherchiert, von spezifischen Ansätzen bis zu Systemem, wie man den Lebensmittelprozess dezentralisieren kann.
Warum ist es dann schließlich die Entomophagie – der Verzehr von Insekten – geworden?
Da gab es viele Gründe: einerseits die Effizienz, das heißt, dass man keine Ressourcen anbauen muss, um sie zu füttern – dafür kann man Bio-Abfälle verwenden. In der Fleischproduktion fließt ein großer Teil an Energie und Ressourcen in die Produktion des Tierfutters, was wiederum in direkter Konkurrenz zur menschlichen Nahrung steht. Soja und Mais können wir schließlich auch essen.
Der zweite wichtige Punkt neben der Nachhaltigkeit war der Raum. Im Vergleich zu anderen Lebewesen braucht man wenig Platz, um Insekten zu züchten. Ethisch ist es auch leichter vertretbar, weil Insekten auch in der Natur in großer Masse auf engem Raum leben. Ein Schwein oder eine Kuh benötigen viel mehr Platz, wenn man sie artgerecht behandelt. Drittens, weil es als Nahrungsmittel extrem spannend ist und polarisiert. Ein Teil der Welt sieht es als ganz normal, wir im Westen empfinden es oft als total ekelhaft.
„Ein Teil der Welt sieht es als ganz normal, wir im Westen empfinden es oft als total ekelhaft.“ – Katharina Unger
Es war für dich also auch spannend, eine gewisse Herausforderung zu haben – mit einem Thema, das so polarisiert?
Absolut. Das Schlimmste ist, wenn ein Thema niemanden berührt. Selbst wenn es einige Leute hassen oder es sich nicht vorstellen können – es wird darüber gesprochen. Das ist der Indikator dafür, dass dieses Thema sehr viel Potenzial hat.
Zurück zu deiner Recherche: Wie viel Hintergrundwissen über Insektenzucht musstest du dir erarbeiten?
Als Industriedesignerin ist es normal, dass man sich mit Themen auseinandersetzt, von denen man anfangs keine Ahnung hat. Normalerweise dauert es rund einen Monat, sich zu erkundigen und zu recherchieren. Ich habe mich aber nicht sofort für die Richtung entschieden, die ich schließlich eingeschlagen habe. Zu Beginn hab ich Mehlwürmer, Grashüpfer und diverse Insekten aus dem Zoofachgeschäft geholt, zu Hause gekocht und experimentiert. Schließlich habe ich mich entschieden: “Das kann ich vertreten und es ist spannend”. Erst danach habe ich mich informiert, wie man Insekten züchtet und welche Arten in Frage kommen. Das Projekt war dann recht schnell mit viel Stress verbunden – von Beginn meiner Recherchen bis zum fertigen Prototyp waren es vier Monate.
Du hast vorhin bereits erwähnt, dass es dir wichtig ist, den Einzelnen gegen das System zu bestärken. Dafür muss das endgültige Design auch in jedem normalen Zuhause Einsatz finden können. Inwiefern ist dir das gelungen?
Noch ist die Farm nicht in Serienproduktion, sondern in der Prototyp-Phase. Der größte Erfolg bisher war die Aufmerksamkeit, die es in den internationalen Medien erhalten hat. Seit das Projekt gestartet wurde, habe ich beobachtet, wie sich die Szene entwickelt. Es hat sich auf jeden Fall viel getan, aber das wäre vermutlich auch ohne mich passiert.
Ich bekomme aber viel positives Feedback von Leuten, die fasziniert sind und jetzt selbst mit Insekten experimentieren. Ich denke, das liegt auch daran, dass das Design einen Prozess illustriert, der davor vielen nicht bewusst war – aber interessant sein, sowie clean und sauber ablaufen kann. Das hat viele Menschen berührt, sie an das Thema herangeführt ihnen die Scheu genommen. Ob bald jeder seine Fliegenlarven daheim züchtet? Das ist vielleicht ein bisschen utopisch. Aber allein die Vision und wie das Thema dadurch präsentiert wurde, hat einen Stein ins Rollen gebracht.
Du wolltest also mit Hilfe des Designs dem Konsumenten die Scheu – oder den Ekel – nehmen. In einem Interview mit WIRED hast du zum Beispiel erzählt, dass es dir wichtig war, dass man die Insekten nicht berühren muss. Spricht da die persönliche Erfahrung?
Der Ekelfaktor war von vorne bis hinten ein großer Bestandteil des Projektes. Für mich persönlich stand aber die Faszination im Vordergrund – da kann man über vieles hinwegsehen. Am Anfang – bevor die Farm entwickelt wurde – hab ich mit einem Aquarium begonnen. Da ist es schon mal passiert, dass die Larven ausgekommen sind oder es einen komischen Geruch gab. Da denkt man sich zwischenzeitlich schon: “Was mach ich hier eigentlich?”
Diese Erfahrungen sind schließlich auch ins Design eingeflossen. Die Maschine ist in erster Linie so konzipiert, dass die Fliegen sich ideal fortpflanzen und sich wohlfühlen können – natürlich aber auch so, dass der Konsument, der die Farm bedient, ein schönes Erlebnis hat. Daher sind gewisse Aspekte hervorgehoben: wie die Tiere fliegen, Eier legen oder schlüpfen – das ist ein netter Prozess, den man gerne mitverfolgt. Hingegen eine riesige Massen an Larven, die sich auf Bio-Abfall stürzt – das muss man nicht jeden Tag sehen. Dieser Teil passiert im Dunkeln – auch weil die Larven das bevorzugen. Aus eigener Erfahrung ist dann auch die Rampe entstanden. Als meine erste Larve geschlüpft und raufgekrabbelt ist, war das ein total belohnendes Erlebnis. Deshalb wollte ich auch diesen Aspekt im Design betonen.
Im zweiten Teil des Interviews erklärt Katharina Unger morgen das beste Rezept, um Vorurteile gegenüber Entomophagie abzubauen, erzählt von Pilzen, die sich von Plastik ernähren, und wieso sie als Designerin eine Verantwortung gegenüber der Gesellschaft trägt.
Alle Bilder stammen von Katharina Ungers Website http://www.kunger.at/