Die Idee von Soylent ist insofern besonders, da versucht wird, den gesamten Ernährugnsprozess zu simplifizieren. Glauben Sie, dass dabei – zum Beispiel durch die reine flüssige Zunahme – relevante Aspekte des Essens vernachlässigt werden?
Denken Sie an die Genusswelt: das Kauen führt dazu, dass wir die zugeführte Nahrung länger im Mundraum haben – und das ist der einzige Bereich in dem wir schmecken, verbunden mit der wundervollen Welt der Gerüche. Flüssige Nahrung hat das Potential, das Tempo zu erhöhen. Man kann wunderbar am Genuss vorbeischlingen. Aber dann frage ich mich, warum man es nicht intravenös macht. Abgesehen davon verliert man die Zähne, wenn man nicht beißt – nur so als kleine Nebenwirkung. Außerdem weiß man nicht mehr, was man isst. Man muss dem Produzenten zu 100% vertrauen, macht sich total abhängig von einer einzigen Nahrungsquelle. Das ist für mich unverständlich.
Das fehlende Genusserlebnis haben Sie als großes Manko von Soylent angesprochen. Wenn wir aber Menschen betrachten, für die Genuss sekundär ist – sei es aus Stress, Mangel an Geld oder Alternativen – ist Soylent hier ein sinnvoller Ansatz?
Es ist eine Alternative, die ich aber, wie gesagt, nur für besondere Situationen als sinnvoll erachte. Vor allem gib es auch andere – auch im Silicon Valley: Lieferservices per Internet und via Drohnen, gute Schnellimbisse oder gemeinsames Kochen im Co-Working-Space, das darüber hinaus auch kreative Impulse und Ideen fördert. Das Geld-Argument ist übrigens auch uralt: Jede Innovation in der Landwirtschaft und in der Lebensmittelindustrie wird damit begründet. Auch wenn sich für den Konsumenten meist herausstellt, dass selber kochen oft immer noch auch die kostengünstigste Lösung ist.
Soylent polarisiert – die Meinungen gehen weit auseinander. Das liegt vermutlich an der Vielschichtigkeit der Thematik. Sie stehen anscheinend eher auf der skeptischen Seite. Können Sie denn auch Gutes bei Soylent finden?
Ja, natürlich. Ernährung ohne Essen ist aber nichts Neues. Wir kennen das im Spitalsbereich: dort werden Patienten über Monate, über Jahre intravenös ernährt. Dafür muss ich nicht Soylent kaufen.
Meinen Sie also, dass eher die Vermarktung an die eine von Zeitdruck und Stress geplagte Gesellschaft die eigentliche Innovation von Soylent darstellt?
Natürlich ist es ein Marketingprodukt. Und ich verstehe auch, dass es für Menschen, denen das Kulinarische nichts bedeutet, verlockend sein kann, sich für ein Produkt wie Soylent zu erwärmen. Essen ist Gott sei Dank noch Privatsache. Jedem steht es frei sich so zu ernähren, wie er möchte. Von mir aus auch mit Soylent. Aber auf der gesellschaftlichen Ebene sehe ich nicht, welches Problem mit diesem Produkt gelöst werden sollte. Da würde ich eher für eine Entschleunigung plädieren.
Soylent ist aber auch nur eine von vielen innovativen Alternativen in Sachen Future Food. Die Motivation der Entwickler sind jedoch oft sehr unterschiedlich, von tierrechtlichen Gründen bis zur “Simplifizierung” des Prozesses, wie bei Soylent. Welche Beweggründe, die Zukunft der Ernährung zu ändern, sind Ihnen bekannt?
Es gibt momentan sehr viele Entwicklungen in dem Bereich. Immer wieder taucht dabei die Frage Welternährung und Hungerbekämpfung auf. Und im Zusammenhang damit natürlich die ressourcenintensive Fleischproduktion. Da werden dann Lösungen wie „LikeMeat“ oder – wie heißt diese neue Mayonnaise …?
Ja, genau. Die hatten sogar einen Prozess mit Unilever am Hals, weil „Just Mayo“ keine Eier enthält. Unilever hat die Klage jedoch zurückgezogen. Ich denke aber, dass es eher ein amerikanisches Phänomen ist. Dort wird Lebensmittelqualität momentan stark diskutiert, sie haben aber einen anderen Hintergrund – da kommen verschiedene Welten zum Tragen. Das würde hier den Rahmen sprengen. Um auf ihre Frage zurückzukommen: Es gibt viele Versuche, fleischliche bzw. tierische Produkte auszutauschen. Da wird es in den nächsten Jahren auch viele neue Produkte geben. Ich glaube aber nicht, dass Fleischersatzprodukte DIE Lösung sind. Wenn jemand ein Fleischliebhaber ist, wird er schwer zu überzeugen sein. Und für Vegetarier oder Veganer gibt es so viele kulinarisch ansprechende Lösungen ohne auf Fleischersatzprodukte zurückgreifen zu müssen.
Viel spannender finde ich zum Beispiel Innovationen wie das Kochhaus. Die nicht darauf abzielen, unsere Lebensmittel zu verändern, sondern durch intelligente Services das Kochen und Essen auch für „beschleunigte Lebensstile“ möglich zu machen. Convenient Services statt Covenient Products sozusagen. Statt Fertig-Produkte im Supermarkt zu kaufen und zu Hause aufzuwärmen, gehen das Kochhaus und ähnliche Konzepte andere Wege. Sie sagen: ihr müsst euch nicht überlegen, was ihr einkaufen und kochen wollt – wir machen Vorschläge und wir bieten euch die Zutaten samt Rezepten in den genau passenden Mengen an und liefern euch das auch nach Hause. Keine Reste, kein Lagern. Man kann also nur den kreativen Part übernehmen – das finde ich eine sehr spannende Geschichte.
Ein weiterer Punkt, den man nicht außer Acht lassen darf, sind natürlich die wachsende Bevölkerung und die abnehmenden Ressourcen. Glauben Sie, dass bestimmte (FutureFood-)Entwicklungen in dieser Hinsicht die Lösung des globalen Ernährungsproblems sein könnten?
Mir ist es ganz wichtig, festzuhalten, dass das ein sehr großes, wichtiges Thema ist. Wir müssen mit den Ressourcen anders umgehen. Unsere europäische (oder amerikanische) Ernährungsweise lässt sich nicht als weltweites Konzept verdoppeln. Ich gehe aber davon aus, dass dies auch nicht das Ziel ist. Verschiedene Nationalitäten werden mit steigendem wirtschaftlichen Erfolg auch ein steigendes Selbstbewusstsein in der Auseinandersetzung mit ihren eigenen Esskulturen gewinnen. Nicht jeder will so sein, wie wir – das wäre ein sehr eurozentrischer Blick. Ich sage, wir brauchen regionale Konzepte. Es wird nicht DIE Lösung geben oder DIE Technologie, sondern viele verschiedene Antworten.
Was ich sehr begrüße, ist die Auseinandersetzung mit dem Thema Insekten als Nahrungsmittel. Die WHO/FAO hat einige Studien gemacht und hier passiert momentan sehr viel: Künstler und Designer wie Katharina Unger die sich mit dem Thema auseinandersetzen, auch einige experimentelle Köche. Letztere machen es teilweise noch augenzwinkernd, aber ich habe selbst in meinem Studio vor einigen Wochen mit Harald Irka, dem jüngsten 3 Hauben Koch Europas – ein Österreicher – ein mehrgängiges Insektenmenü gemacht. Das ist einfach spannend. Natürlich, es ist (noch) keine kulinarische Eröffnung, aber von den Nährwerten her ist es umwerfend, und vom Ressourcenverbrauch her gesehen haben Insekten wirklich alle Trümpfe in der Hand. Geschmacklich sind sie eher neutral, als Mehl oder gemörsert nimmt man sie kaum war. Wenn es nur um die Nährwerte geht, bieten sie ein unheimliches Potential. Und mit Ausnahme von Europa und der USA werden sie weltweit auch wirklich viel gegessen – in unterschiedlicher Qualität.
Entomophagie – das Essen von Insekten – scheint also eine spannende Idee für die Zukunft. Mit Designerin Katharina Unger kommt eine der international treibenden Kräfte aus Österreich. Die Absolventin der Universität für angewandte Kunst in Wien entwickelte als Diplomprojekt die Farm 432. Schrödingers Katze hat sie zum Gespräch getroffen. Mehr dazu kommende Woche.