Spiele, Schauplatz und Publikum – viel mehr braucht ein Schauspiel nicht. Auch beim Fußball werden Rollen vergeben, Szenarien geprobt, Abläufe einstudiert: wer zu wem, wann und wohin schaut, läuft, passt. Das Stadion ähnelt einer Arena aus dem Theater der Antike. Ist Fußball also tatsächlich eine moderne Form von Theater? Der entscheidende Unterschied liegt für Hulfeld im Ausgang: „Schauspiele und Performances kennen keine vergleichbare Reduktionsmöglichkeit auf ein Resultat, die Qualität der Aufführung ist immer zentral.”
Alles Theater?
Schon Ex-Fußballer David Beckham hat gezeigt, wie’s geht: Aktive wie Neymar oder Cristiano Ronaldo sind heute auf dem Roten Teppich so zuhause wie auf dem Spielfeld. Anzug, Frisur und Lächern sitzen. Posen, Allüren, Eitelkeiten – Stars eben, egal ob die Aufführung auf dem Fußballfeld oder in Hollywood inszeniert wird.
Entsprechend ist so mancher Meister des Mienenspiels und der Grimassen auf dem Feld eher für seine schauspielerischen Darbietungen bekannt als für die spielerische Leistung. Auf dem Spielfeld werfen sich einige auf den Boden, überschlagen sich, das Gesicht schmerzverzerrt: „In Zeiten des fernsehgeprägten Fußballs nutzen das einige Stars auch ganz bewusst, indem sie mit Gesten und Mimiken aufwarten, die so gut sitzen wie die modischen Frisuren”, meint Stefan Hulfeld, Theater- und Kulturwissenschaftler an der Universität Wien. Ihre Tore inszenieren sie durch wilde Sprünge, Umarmungen und Küsse.
Das Fußballspiel trägt das Theater ja quasi schon im Namen. Hulfeld sieht hier die Gemeinsamkeit: „Beide sind dem Bereich des Spiels zuzurechnen. Die intensive Kommunikation zwischen Akteuren und Publikum, die freigesetzten Emotionen und die Konzentration darauf, wer was wie tut, sind Parallelen zum Theater.”
Tänzer und Geschichtenerzähler
Spieler wie Ronaldo oder Lionel Messi geben sich gar als Tänzer. Elegant dribbeln sie eine Choreographie, tanzen mit dem Ball und drehen dabei Pirouetten: “Gute Fußballer können ihre Körperbewegungen ökonomisch, virtuos und mit genau berechneter Kraft ausführen. Die „Schwalbe“ ist ein dem Fußball eigenes theatrales Element”, so Hulfeld. So bildet sich eine Geschichte, Spannung baut sich auf: “Jedes Spiel ist eine jeweils eigene Narration, die von Spielern, Schiedsrichtern und Zusehern erzählt wird”, erklärt Roman Horak, Professor für Kunst- und Kultursoziologie an der Universität für angewandte Kunst
Ohne Fans keine Schau-Spiel
Horak sieht in den Fans einen aktiven Teil der Inszenierung. Eifrig fiebern sie mit und drücken Gefühle der Zugehörigkeit, Wut oder Begeisterung aus. Durch Kostüme wie Schals, Fahnen, Hüte und Kriegsbemalung sind ihre Rollen klar definiert. Im Stadion ist die La-o-la-Welle perfekt einstudiert. Horak hält das ganze für ein Spektakel, das sich mit der Oper vergleichen lässt:
“Fußball ist wie die Oper eine Veranstaltung der Leidenschaft, wobei hier das Leiden oftmals im Zentrum steht. Es wäre ein Irrglaube anzunehmen, dass es beim Fußball aus der Sicht der Anhänger ausschließlich um den spielerischen Erfolg geht.” Die Fans erkennen im Fußballer einen heroischen Athleten: Stark und zielsicher marschiert er für Land und Kamerad in den Kampf.
Dieses Bild wird häufig durch die Medien bekräftigt: “Bei einem Ereignis wie der EM wird Selbstvergewisserung nationaler Größe und Wichtigkeit durch das Publikum erlebt und/oder inszeniert”, meint Horak.
Dennoch: Nicht jedes Fußballspiel weist alle der genannten theatralischen Züge auf. Ein Match zwischen Freunden funktioniert auch ohne Fans, doch wird die EM von ihren Zusehern befreit, nimmt man ihr den Sinn – ein Theater ohne Publikum. Fußball ist also irgendwie auch Theater, Tanz und Oper, man kann darin jedoch auch weiterhin ganz einfach „nur“ ein spannendes Spiel, ein Freizeitvergnügen oder einen Wettkampf der Nationen sehen.