Eine VR-Simulation zeigt Mediziner*innen, wie laut es in dem Brutkasten, in dem Frühchen behandelt werden, wirklich ist. Forscher*innen wollen damit für das Problem sensibilisieren.
Hörschäden können Spracherwerb erschweren
Wenn ein Kind zu früh geboren wird, ist sein Körper noch nicht voll entwickelt. Da ist das oberste Prinzip die Lebenserhaltung des Frühchens. Studien haben gezeigt, dass Hörschäden bei Frühgeborenen zehn Mal so oft vorkommen wie bei Kindern, die später auf die Welt kommen, sagt Matthias Bertsch von der Universität für Musik und angewandte Kunst (mdw).
Das kann gefährlich werden, so Bertsch: „Die Schäden einer Schwerhörigkeit können sich in Folge auch auf andere wichtige Aspekte wie den Spracherwerb oder soziale Defizite auswirken.“ Bertsch und ein interdisziplinäres Forschungsteam haben Geräusche im und um den Brutkasten, in dem Frühchen zu Beginn behandelt werden, aufgenommen. Sie haben gezeigt, dass es in einem Brutkasten anders
als draußen klingt – nämlich wesentlich lauter.
Auf Dauer psychische Schäden
Tiefe Frequenzen werden nämlich durch den Inkubator, der in der Regel aus Plexiglas besteht, verstärkt. Besonders Töne unter 200 Hertz erfahren einen „Boost“. Bertsch betont, wie wichtig die Geräuschkulisse, in der wir leben, für unsere Gesundheit ist: „Geräusche und alles, was wir hören, haben für den Menschen sowohl physische als auch psychische Konsequenzen.“
Physiologisch sind besonders Geräuche, die über längere Zeit relativ laut (mehr als 85 Dezibel) oder für einen ganz kurzen Moment sehr laut sind (mehr als 120 Dezibel). Diese Geräusche zerstören die Haarzellen im Innenohr, die sich nicht wieder erneuern. „Alarmsignale oder lästiger Lärm wirken sich auch stark auf die Psyche aus. Sie rufen Stresssignale hervor, welche nur bis zu einem gewissen Grad noch gesund, und auf Dauer sehr belastend sind“, so Bertsch.
Unnötige Geräusche minimieren
Mediziner*innen müssten also mehr für die negativen Auswirkungen von lauten Geräuschen auf Frühchen sensibilisiert werden. Matthias Bertsch hat dazu gemeinsam mit der Neonatologischen Intensivmedizin der Meduni Wien und dem Institut für Musikwissenschaft der Uni Wien eine Dokumentation dieser Geräuschkulisse erarbeitet.
Das besondere an dem Projekt ist, dass es sich um eine 360 Grad Aufnahme in einem Brutkasten handelt. So nimmt man also die Umgebung eines Frühchens im Inkubator sowohl visuell, als auch akustisch wahr. Die Simulation kann man hier selbst ausprobieren.
Mediziner*innen sind durch die Studie von Bertsch dazu angehalten, alle nicht notwendigen, hohen Geräuschpegel zu minimieren. So sollten zum Beispiel die Beatmungsgeräte der Frühchen nur auf das medizinisch notwendige Maß eingestellt werden. Eine geringe Reduktion könnte den Geräuschpegel bereits um die Hälfte senken, so Bertsch.