Laut Angaben der World Health Organization (WHO) leiden weltweit 190 Mio. Mädchen und Frauen unter Endometriose. Bei dieser Krankheit kommt es zu krankhaften Wucherungen der Gebärmutterschleimhaut außerhalb der Gebärmutterhöhle. Endometriose ist nur in Einzelfällen heilbar und sie ist nur ein Beispiel von vielen für weibliche Reproduktionskrankheiten.
Mihaela Pavličev arbeitet am Department für Evolutionsbiologie der Universität Wien und befasste sich in einer kürzlich im Fachmagazin Nature Communications veröffentlichten Studie mit Veränderungen der DNA und wie sich diese auf den weiblichen Körper und auf verschiedene Krankheiten auswirken. „Mit weiblichen Reproduktionskrankheiten sind meist jene Krankheiten gemeint, die Gewebe oder Prozesse des Reproduktionssystems betreffen, die es beim Mann nicht gibt, wie zum Beispiel Gebärmutter, Eierstöcke oder Vagina, oder Krankheiten, die Schwangerschaft und Menstruationszyklus betreffen.“ Darunter fallen – neben der bereits erwähnten Endometriose – Krankheiten wie reproduktive Krebsarten (Gebärmutterhalskrebs, Eierstockkrebs), Myome (gutartige Wucherungen innerhalb der Gebärmutter) oder das Risiko für Frühgeburten.
Dass eine Mutation im Gen Wnt4 mit einer Reihe von diesen weiblichen Reproduktionskrankheiten zusammenhängt, ist länger bekannt. Mihaela Pavličev und ihre Kolleg*innen konnten nun zeigen, warum das so ist.
Hormone & Zyklus
Der weibliche Körper ist – wie viele Frauen es aus eigener Erfahrung wissen – hormonellen Schwankungen unterworfen; besonders die Hormone Östrogen und Progesteron spielen eine Rolle: Während Östrogen etwa für den Aufbau der Gebärmutterschleimhaut sorgt, bereitet Progesteron den Körper für die mögliche Einnistung einer befruchteten Eizelle vor. Mihaela Pavličev: „Das weibliche Reproduktionssystem ist besonders, weil es sich während der furchtbaren Jahre stets zyklisch immens verändert. Das betrifft in erster Linie das Gewebe in den Eierstöcken und der Gebärmutter, aber auch in der Brust und viele andere Gewebe. Dieser Zyklus wird allen voran von den Hormonen Östrogen und Progesteron aus den Eierstöcken, und von weiteren Hormonen, die im Gehirn produziert werden, getrieben.“
Wnt4
Östrogenschübe aktivieren bestimmte Gene und so wird direkt nach einem Östrogenschub, der einen Eisprung auslöst, in Anwesenheit der Mutation zugleich das Gen Wnt4 aktiviert – und diese Mutation hängt mit vielen Krankheiten des weiblichen Reproduktionssystems zusammen. Durch diesen mutierten Prozess wird einerseits die Einnistung eines Embryos begünstigt und das Risiko für Frühgeburten verringert, andererseits macht das mutierte Gen Gewebe wie Gebärmutterhals, Eierstöcke und Brust anfälliger für Metastasen.
Diese Krebsneigung besteht jedoch nicht, weil der weibliche Körper mehr Krebszellen bildet, sondern weil die betroffenen Gewebe das Eindringen der Krebszellen weniger gut verhindern können. Dieses Wissen könnte man nun bei der Planung von Krebs-Operationen nützen: „Da es bei der Tumorentfernung oft zur Streuung der Krebszellen kommen kann, könnten die Trägerinnen dieser Mutation ein höheres Risiko von Metastasen haben, vor allem wenn sie kurz nach Eisprung operiert werden. Das ist eine naheliegende Vermutung, getestet wurde diese These noch nicht.“
Gender Data Gap
Während es in der Medizin – und in vielen anderen Bereichen – den sogenannten Gender Data Gap, also eine Datenlücke zugunsten von Männern und zum Nachteil von Frauen gibt (näheres dazu hier), hat die Evolutionsbiologin Mihaela Pavličev „nicht den Eindruck, dass heutzutage über die weibliche Seite weniger geforscht wird als über die männliche – vor allem über Schwangerschaft wird sehr viel gearbeitet.“ Aber auch sie betont das Problem, vor dem viele Wissenschafter*innen stehen: Der weibliche Körper ist sehr komplex – und das macht die Forschung dazu schwierig und teuer. „Weibliche Körper haben eine starke zyklische Fluktuation. Wenn wir in der Forschung eine Ursache für pathologische Abweichung feststellen wollen, versuchen wir eine möglichst homogene Gruppe zu verwenden. So eine starke Fluktuation wie beim weiblichen Körper bedeutet aber, dass nicht einfach eine Anzahl adulte weibliche Individuen, sondern diese Anzahl der Individuen in jeder Phase des Zyklus untersucht werden müsste.“
Begrenztes Budget und Zeitdruck in der Forschung führen dazu, dass Wissenschafter*innen sich auf den einfacheren Datensatz konzentrieren. „Dass die Ergebnisse möglicherweise nicht übertragbar auf das weibliche Geschlecht sind, wird allerdings erst sichtbar, wenn man es überprüft“, erinnert Mihaela Pavličev. Die Forschung der Evolutionsbiologin kann nun zur Aufklärung über die Ursachen weiblicher Reproduktionskrankheiten beitragen und zu einem besseren Verständnis führen, wie Betroffene gezielter vor den negativen Auswirkungen dieser Mutation geschützt werden können.