Als Bernhard Scharf begann, neugierig in die Welt zu blicken, da strotzte die Menschheit geradezu vor Technikgläubigkeit. „Ich bin ein Kind der 1970er Jahre und da galt der Ansatz: die Natur brauchen wir nicht, das können wir selbst besser.“ Die Natur taugte zum Vorbild. Maximal. Entworfen und gebaut wurde der Fortschritt vom Menschen. Mittlerweile sitzt Bernhard Scharf im dritten Stock der Universität für Bodenkultur in Wien. Vor seinem Fenster breitet sich die Silhouette der Stadt aus und Scharf entwirft Luft-Schlösser für Österreich. Solche, die sich sehen lassen können und gesehen werden wollen. Wie die raffinierte Vegetationstechnik des diesjährigen österreichischen EXPO-Pavillons in Mailand. Breathe heißt der österreichische EXPO-Beitrag. Was auf den ersten Blick aussieht, wie ein stinknormaler österreichischer Wald, entpuppt sich als Hightech-Anlage, die modernste Technik mit der Smartness der Natur verbindet.
Die Lunge der Weltausstellung
Rund 140 Länder und Organisationen präsentieren vom 1. Mai bis 31. Oktober 2015 ihre Visionen für die Zukunft des Planeten. 184 Tage läuft die Weltausstellung. Eine Million Quadratmeter Platz gönnt man sich dafür. Erwartet werden über 20 Millionen Besucher. Das Thema: Feeding the Planet, Energy for Life.
Bernhard Scharfs Ansatz für die EXPO ist kein einfaches „Zurück in die Wälder“. Er setzt auf die Symbiose von Natur und Technik. Der EXPO Pavillon ist ein Luft-Schloss auf wissenschaftlichem Fundament. „Er zeigt, was möglich ist mit Grün. Ohne Grün können wir nicht leben. Sauerstoff ist unser essenziellstes Lebensmittel. Unsere Grundlage“, sagt Scharf. Mit dieser Philosophie entsteht auf dem EXPO-Gelände ein österreichischer Wald, dessen Temperatur, ganz ohne technische Hilfsmittel, ohne Generator oder Kühlaggregat, um etwa 5 Grad kühler sein wird als am restlichen Ausstellungsgelände. Angenehm kühl bleibt es aber nur im direkten Umfeld des Pavillons. Rundherum bleibt Mailand das gewohnt heiße Pflaster. Eine Klima-Oase in Rot-Weiß-Rot also.
Österreich wird die Lunge der Weltausstellung sein. Jede Stunde wird so viel Sauerstoff hergestellt, wie etwa 1.800 Besucher benötigen. 62,5 kg Sauerstoff – von Pflanzen produziert. Der Wald leistet aber noch mehr – er absorbiert auch täglich 240 kg CO2.
Die Kühlung des Pavillons funktioniert dabei ähnlich wie beim Menschen. „Bei der Produktion von Sauerstoff verdunsten, „schwitzen“ die Pflanzen im weitesten Sinne“, erklärt Scharf. „Das bewirkt Kühlung, so wie auch bei den Menschen. Sobald sie mit Sonne konfrontiert ist, macht die Pflanze das selbstständig, ohne Mikroprozessor, Strom oder sonst etwas. Als Nebenprodukt haben wir Sauerstoff, Co2-Bindung und Kühlleistung.“
Der High-Tech Wald
Die präsentierten 11 Wald-Öko-Typen nennt er „die Botschafter des österreichischen Waldes“. Normalerweise trifft man eine solche Vielfalt an Wald-Typen nicht auf so engem Raum. Noch etwas ist anders: Die Bäume für den Österreich-Wald kommen aus Italien, aus Baumschulen, wo sie vorgezogen werden. Ein heimischer Baum würde die Reise nach Italien kaum verkraften. Zudem wäre der Transport enorm aufwendig.
Was aussieht wie ein Wald entpuppt sich als österreichische Symbiose aus High-Tech und Natur.
Die Baumschulen-Bäume aber haben besonders kompakte Wurzeln. Damit ist der Transport zwar schwierig, aber immerhin machbar. Scharf denkt wieder an den Menschen, diesmal an den Magen. Es wäre wie bei Übergewichtigen, die sich den Magen verkleinern lassen. Mit künstlich verkleinertem Magen machen sich die italienischen Bäume dann auf den Weg zur EXPO. „Es ist vegetationstechnisch eine große Herausforderung, Bäume mit bis zu 12 Metern Höhe zu verpflanzen. Die sind 30, 40 Jahre alt und werden delogiert, in Mailand eingepflanzt und nach der EXPO wieder umgesiedelt.“ Wie die Bäume angeordnet sind, ob Buche neben Föhre, Fichte neben Tanne, ist weniger wichtig. Entscheidend ist, dass die Großhölzer gemeinsam ein Kronendach bauen. „Der ganze Wald ist ein Hightech-Teil. Die Hüll-Konstruktion, die Verpflanzung, die Bewässerungs- und Nebeltechnik sind State of the Art. Die Pflanzen werden immer, wenn sie es brauchen, sensorgesteuert Wasser bekommen. Sie bekommen Düngung und alles was sie benötigen.“ Was also aussieht wie ein stinknormaler österreichischer Wald, ist in Wahrheit ein Hybrid aus Natur und High-Tech. Für Scharf wegweisend.
Die Zukunft der Stadt liegt in der Natur
Die beiden Megatrends Städtewachstum und Klimawandel würden nach einer stärkeren Integration der Natur in den menschlichen Lebensbereich verlangen, meint der Forscher. „Die globale Erhöhung der Durchschnittstemperatur um 2 Grad Celsius bewirkt in Wien eine Erhöhung um 5 Grad Celsius. Anstatt 10 Grad Durchschnittstemperatur wird Wien dann 15 Grad haben. Das wird dann so sein wie momentan in Kairo.“ Das Gegenrezept: grüne und blaue Infrastruktur, also Wasser und Pflanzen. Wo früher die Touristiker das Postkartenmotiv durch Begrünung gefährdet sahen, findet gerade eine Trendwende hin zu einem neuen Urban Jungle statt.
Im Forschungsprojekt Green for Cities hat die BOKU mit Wissenschaftlern aus Deutschland eine Klimafunktionskarte der Stadt Wien entworfen. Mit dem Modell lässt sich die Wirkung jeder grünen Intervention vorwegnehmen. „Ich weiß dann, wenn ich hier einen Baum setze, da eine Dachbegrünung mache und dort eine Fassade begrüne, dann reduziert sich die mittlere Strahlungstemperatur um 2 Grad.“ Die Kühlung der modernen Großstädte, da ist sich Scharf sicher, wird maschinell nicht zu bewältigen sein. Grünflächen und eine kontrollierte Rückeroberung des Beton-Dschungels durch intelligent platzierte grüne Interventionen – das wäre der nachhaltige Lösungsansatz. Als Inspiration könnte der EXPO-Pavillon dienen.
„Die meisten Pavillons werden Klimaanlagen haben, die natürlich irre viel Strom fressen. Wir haben eine Grätzel-Zelle, eine neue Technologie aus Österreich, Photovoltaik der nächsten Generation. Die Kühlung funktioniert über Wasser. Wir haben versucht das Thema Nachhaltigkeit in allen Facetten möglichst gut zu integrieren. Ob das den anderen auch so gelingt? Ich bin mir nicht ganz sicher.“
„Vor der Tomate sind alle gleich.“ – Bernhard Scharf
Das Bedürfnis nach einem städtischen Naturerlebnis wird durch Trends wie Urban Gardening untermauert. Allerdings oft notgedrungen in und auf Häusern, die sich mit ihrer Betongrazie nicht unbedingt als alternativer Garten aufdrängen. Scharf sieht die Sache historisch gelassen. „Die Hängenden Gärten der Semiramis würden heute wohl als „Leuchtturmprojekt“ bezeichnet werden“, lacht er. „Aber sie zeigen, dass Begrünungen schon früher ein Thema waren. Es gab immer schon Pflanzen in der Stadt. Sobald der Mensch die Möglichkeit hatte, Begrünungen in seine Nähe zu bringen, hat er sie genutzt.“
Dass Bernhard Scharf auch bei sich zuhause ein Hochbeet hat, kommt nicht überraschend. Für ihn ist die Natur nicht nur der beste Ratgeber für den Städtebau der Zukunft, sie fördere auch das Miteinander. „Vor der Tomate sind alle gleich“, sinniert er. „Der Bauarbeiter und der Generaldirektor sprechen dann über die Größe und die Röte der Tomate. Das ist eine katalytische Funktion, Pflanzen fördern die soziale Nachhaltigkeit. Der Pflanze ist dein Hauptberuf egal. Sie ist ein guter Mediator, auch im sozialen Bereich.“
Videos zu Breathe Austria finden sich hier.
Die EXPO 2015 in Mailand beginnt am 01. Mai 2015 und dauert bis 31. Oktober. Die Bilder zum Beitrag stammen aus dem privaten Archiv von Bernhard Scharf und Bernhard König.