Was ist für Sie Armut?
Absolute Armut ist, wenn Menschen nicht das zum Leben Notwendige haben (Unterkunft, Essen usw.), was vielfach in der Dritten Welt noch für 1,5 bis 2 Milliarden Menschen der Fall ist; aber auch, wenn sie sich nicht Dinge leisten können, die in einer Gesellschaft zum normalen Standard gehören (zB. Fernseher, ab und zu Ausgehen, Urlaub usw.) und Schwierigkeiten haben, laufende Kosten (Miete etc.) zu begleichen (relative Armut); dies trifft auch in Österreich auf 300.000 bis 400.000 Menschen zu.
Die Kluft zwischen Arm und Reich wächst – auch in vielen wohlhabenden Ländern. Wo besonders?
Die Ungleichheit nimmt keineswegs überall zu, wie in den Medien vielfach dargestellt. Unter den OECD-Staaten gibt es etwa etwa in den USA und Großbritannien eine Zunahme, aber auch in Schweden; geringe Zunahme bzw. Auf und Ab in Deutschland und Österreich, tendenziell sogar Abnahme in Frankreich. Seit den 1960ern jedoch extreme Zunahme in Russland, China, Israel.
Was sind die Ursachen?
Die Ursachen für die Zunahme sind unterschiedlich, aber klar benennbar: neoliberale Wirtschaftspolitik (Thatcher und Reagan in USA, GB); Übergang von Plan- zu Marktwirtschaft, jedoch zu einem „Räuberkapitalismus“ (Russland) bzw. staatlich gelenkter Marktwirtschaft ohne demokratische Kontrolle (China); Zunahme ethnischer Heterogenität und Exklusion und Entwicklung eines von Politik/Militär kontrollierten, stark korruptionsanfälligen Staatsapparates (Israel; derzeit befinden sich dort ein ehemaliger Staastpräsident und Ministerpräsident im Gefängnis!).
Gibt es Bestrebungen der betroffenen Länder, diesem Trend entgegenzusteuern?
In den oben genannten nur schwache (etwa von Präsident Obama, der jedoch einer Phalanx von konservativen Politikern gegenübersteht). In Mitteleuropa (inkl. Österreich) blieb der Sozialstaat stark, ja wurde teilweise weiter ausgebaut; allerdings gibt es hierzulande auch keine Bestrebungen zur Reduktion der Ungleichheit (die allerdings im europäischen und Weltvergleich moderat ist, inzwischen sogar niedriger als in Schweden).
Der Schaden für die Einzelnen ist klar. Aber was bedeutet diese Ungleichverteilung für die jeweilige Volkswirtschaft?
Die Gutgestellten haben davon ja keinen Schaden. Ich bin kein Ökonom, aber ich glaube nicht, dass man direkt von Ungleichheit auf wirtschaftlichen Erfolg (wie es Konservative tun, wenn sie mehr Ungleichheit fordern) oder Misserfolg schließen kann. Die Entwicklung Chinas scheint zu bestätigen, dass hohe Ungleichheit mit Wirtschaftswachstum einhergeht; in anderen Ländern gab es starkes Wachstum ohne Zunahme der Ungleichheit (zB früher Japan, heute die mittelosteuropäischen Länder, zB. Tschechien).
Zu Ihrer Studie: Welche Zusammenhänge bestehen zwischen Einkommensverteilung, sozialen Strukturen und ethnischer Herkunft?
Es geht bei mir um die Frage des Zusammenhanges zwischen ethnischer Heterogentität eines Landes und dem Ausmaß der Ungleichheit. Global, wenn man alle Länder der Erde vergleicht, sind ethnisch homogene Länder deutlich egalitärer (etwa Japan, das sogar nur einen schwachen Wohlfahrtsstaat besitzt), und ethnische Homogenität erleichtert den Aufbau eines starken Wohlfahrtsstaates (so in Skandinavien). Ethnische Heterogenität hängt vor allem dann mit enorm hoher Ungleichheit zusammen, wenn sie historisch mit Sklaverei verbunden war; daher ist die ökonomische Ungleichheit heute in Lateinamerika und in Sub-Sahara-Afrika am höchsten (Gini’s von 50-70). Der ungleichheitserzeugende Effekt ethnischer Heterogenität kann jedoch ausgeschaltet werden, wenn ein Land demokratisch und föderalistisch aufgebaut ist (wie Schweiz, Spanien, Kanada) und einen starken Wohlfahrtsstaat besitzt.
Mit welchen Daten und Methoden haben Sie diese ermittelt?
Wir haben einerseits selbst einen Datensatz mit Daten über Ungleichheit, frühere Relevanz von Sklaverei, ethnischer Homogenität heute, politisches System heute für ca. 140 Länder der Welt erstellt und dann statistisch den Effekt der ethnischen Heterogenität ermittelt; andererseits wurden Fallstudien für besonders interessante Länder anhand historischer und aktueller Daten erstellt und eine Typologie ethnischer Schichtungssyteme entwickelt.
Inwiefern stellt sich für Sie die Frage nach dem Ende von Ausbeutung und Ausgrenzung?
Diese Frage stellt sich immer wieder neu und wird nie überflüssig werden. Wirkliche Ausbeutung (gegeben, wenn Arbeitnehmer sich nicht organisieren können, keine Grundrechte besitzen) ist in demokratischen Ländern zwar beseitigt worden, besteht in Form moderner Sklaverei aber in der 3. Welt noch weithin; wir profitieren davon durch Billigpreise für sehr viele Produkte, die in China, Bangladesch usw. unter vielfach menschunwürdigen Zuständen erzeugt werden. Ausgrenzung praktizieren auch die reichen Ländern, etwa die EU, durch Aufrichtung eines neuen Eisernen Vorhangs an ihren Außengrenzen, zum Teil durch Diskriminierung von Zuwanderern im Inneren. Die ethnische Schichtung ist deshalb ein so bedeutender Faktor, weil sie oft die Ausbeutung bestimmter Gruppen durch andere mit sich bringt.
Wird die Zukunft fairer oder die Ungleichheit weiter wachsen?
Die Zukunft wird generell „humaner“, weil technischer Fortschritt, Wirtschaftswachstum, Bildungsexpansion usw. in allen Ländern die Lebensbedingungen verbessern und die Menschen kritischer werden lassen. Dennoch kann die Ungleichheit in bestimmten Regionen und Ländern weiter zunehmen, wenn dort die Politik nicht demokratischer wird.
Interview: Stefan Kluger
Beitragsbild: metropolico.org, CC BY-SA 2.0