Seit Süskinds literarischer Hymne auf die Kraft des Riechens hat sich auch in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Düften und dem Geruchssinn viel getan. 2014 fand ein US-Wissenschaftler heraus, dass die menschliche Nase viel mehr kann, als bisher gedacht. 10.000 Gerüche galten bis dahin als das höchste der riechenden Gefühle. Andreas Keller von der New Yorker Rockefeller University konnte aber beweisen, dass die Nase mehr als eine Billion Gerüche unterscheiden kann. Forscher an der Chinese Academy of Science wiederum zeigten, dass Ableger von Testosteron und Östrogen unbemerkt die visuelle Wahrnehmung des anderen Geschlechts beeinflussen. Attraktivität auf Knopfdruck – was viele Deos versprechen, scheint nun wissenschaftlich fundiert. Für Monika Glawischnig-Goschnik liegt das Zeitalter des Riechens direkt vor uns.
Erst vor kurzem wurde entdeckt, dass die Nase nicht, wie bisher angenommen, 10.000, sondern gleich eine Billion unterschiedlicher Gerüche unterscheiden kann. Ist die Nase ein in der Wissenschaft unterschätztes Organ und das Riechen ein unterschätzter Sinn?
Ja, klar. Die Nase und das Riechen sind wissenschaftlich nicht so präsent. Das hängt mit der nicht festhaltbaren Qualität des Riechens zusammen. Das ist ähnlich wie beim Hören. Ich bin mir auch nicht sicher, ob sich die Intensität von Versuchsanordnungen so leicht wiederholen lässt. Es ist schwierig, das wissenschaftlich genau zu kontrollieren und aussagekräftige Designs zu bekommen. Ich bin mir aber sicher, dass sich auf diesem Gebiet noch viel tun wird.
In welchen Situationen beeinflusst uns der Geruchssinn mehr, als wir es bewusst wahrnehmen?
In der Liebe, das weiß man ja. Aber auch bei Vorstellungsgesprächen oder in Prüfungssituationen spielt das eine Rolle. Man kommt dem nicht aus. Riechen und die unbewusste Übertragung von Informationen durch Geruch sind sehr subtil. Noch ist unsere Aufmerksamkeit nicht darauf gerichtet. Auch bei einer Visite im Krankenhaus spielt das natürlich mit. Wenn ich in ein stickiges Zimmer gehe, dann wird es schwierig. Auch weil der Geruch immer noch stark schambesetzt ist. Keiner sagt: „Machen wir das Fenster auf.“ oder „Was stinkt denn hier?“. Das weckt auch grobe Assoziationen: Schmutz, Unhygiene, Verwahrlosung – das ist sehr heikel.
Wie steht denn der moderne Mensch zu Schweiß?
Schwitzen ist heute nur mehr im Sport erlaubt. Aber selbst da gilt es, danach wieder so schnell wie möglich sauber zu werden. Die Frage ist schon, gönne ich mir meinen Körper? Darf er so sein, wie er ist? Darf er in der heutigen Zeit, in der gerade alles reglementiert und kultiviert wird, vielleicht auch einmal unhygienisch sein? Das sind wichtige Fragen. Wie weit muss ich mich körperlich zurechtstutzen? Muss ich von Kopf bis Fuß alles behandeln? Ich finde das völlig übertrieben. Das sind gesellschaftliche, kulturelle Auswüchse im westlichen Kulturkreis, wo man fast nicht mehr ein normaler Mensch sein darf.
Der eigene Geruch wird durch Ernährung, Gesundheit, Körperpflege und Gene geprägt. Durch MHC-Moleküle, die in jeder Zelle vorhanden sind, unterscheiden wir zwischen Eigen- und Fremdgeruch. Beim anderen Geschlecht bevorzugen wir möglichst unterschiedliche MHC-Moleküle. Was ist, wenn sich meine Ernährung oder mein Gesundheitszustand während einer Beziehung stark verändern? Hat das Auswirkungen?
Absolut. Der Mensch ist ein Leib-Subjekt. Ein leibhaftiges, ununterbrochen auf alle Einflüsse reagierendes Wesen. Alles, was ich mir zuführe, womit ich mich austausche, bin ich. Wenn ich zu viel getrunken habe, gefeiert oder viel Knoblauch gegessen habe, dann verhalten sich meine Ausdünstungen entsprechend meiner Lebensweise. Ich habe den Eindruck, dass aktuell das sinnliche Wahrnehmen, jenseits des Visuellen, immer wichtiger wird. Weiche Zwischentöne, wie auch das Akustische bekommen ein höheres Gewicht.
Eine Studie an der Chinese Academy in Peking zeigte, dass Ableger der Sexualhormone Testosteron und Östrogen unbemerkt die visuelle Wahrnehmung des anderen Geschlechts beeinflussen können. Ähnliches ließ sich für die Synchronisierung des weiblichen Zyklus nachweisen. Können wir uns Menschen schön-riechen?
Wir können nur einen kleinen Teil unserer Wahrnehmung bewusst steuern. Gesund zu sein, ausgeschlafen und gut ernährt, das lässt sich steuern. Aber alles Hormonelle, Schweiß oder das Vegetative Nervensystem kann ich nicht bewusst steuern. Dazu gehören auch der Herzschlag oder meine Atmung. Ich kann mich ja auch nicht für das Rotwerden entscheiden. Dem bin ich ausgeliefert.
Auch der emotionale Zustand wird durch Geruch transportiert. Kann man das überdecken und etwa die Angst vor einem Vorstellungsgespräch duftend überspielen?
Besser ist es, sich damit zu beschäftigen, solche Situationen bewusst wahrzunehmen. Wenn ich mit Angst schlechte Erfahrungen habe, dann sollte ich mich da hin orientieren. Ich kann durch Atemübungen, Entspannungsübungen oder Parfums meine sympathischen und parasympathischen Befindlichkeiten beeinflussen. Es ist besser sich einzugestehen, dass mich eine Situation herausfordert. Wenn ohnehin jeder meine Schweißbäche sehen kann, dann ist es besser zu sagen: „Ja, ich schwitze.“ Dann kann ich die Situation mitgestalten. Je mehr ich überspiele, desto eher stolpere ich weiter.
„Das Riechen ist flüchtig, Anfang und Ende sind unklar. Es ist unmittelbar aktivierbar und nicht ausschaltbar.“ – Monika Glawischnig-Goschnik
Womit würden Sie den Einfluss des Riechens auf unser Empfinden am ehesten vergleichen?
Mit dem Akustischen. Das Riechen ist flüchtig, Anfang und Ende sind unklar. Es ist unmittelbar aktivierbar und nicht ausschaltbar. Man kann sich Düften nicht leicht verschließen, weil wir sie auch über die Haut und die Poren aufnehmen. Außerdem verlassen wir uns schon sehr früh im Leben auf das Riechen. Dass Säuglinge die Mutter erkennen, hängt sehr stark am Geruch.
Es gibt Studien, die bei Völkern im Süden Thailands eine große sprachliche Vielfalt für die Benennung von Gerüchen feststellten. Auch Patrick Süskind beschreibt Düfte sehr bildhaft und sinnlich. Wir dagegen tun uns oft schwer, Gerüche in Worte zu fassen. Was bedeutet eine reduzierte sprachliche Beschreibungsfähigkeit für unsere moderne Gesellschaft?
Die Sprache ist eine Auseinandersetzung mit der Welt. Daher bedeuten weniger Ausdrücke für Gerüche, dass das Riechen bei uns keine so große Bedeutung hat. Die Völker in Thailand werden mehr und anderen Gerüchen ausgesetzt sein, die für sie auch wichtiger sind. Ich glaube aber ehrlich, dass die Bedeutung des Riechens auch bei uns steigen wird. Man kann nur hoffen, dass wir uns wieder mehr mit leiblichen Fragestellungen beschäftigen.
Das erste Bild unseres Beitrages stammt von Dennis Wong, heißt Smell und unterliegt der Creative Commons Bestimmung CC BY 2.0.
Das Bild der Zumba-Stunde heißt Zumba Dance Class, stammt von Edson Hong und unterliegt der Creative Commons Bestimmung CC BY-NC-ND 2.0.