„Das ist eine gute Frage“, Stephan Sponar blickt verdutzt. Das Experiment mit dem er und das Team der Technische Universität Wien gerade die Welt der Wissenschaft begeistert, wann war das noch einmal? „Der Kalender wird es mir sagen“, sagt er und blättert die Wochen in seinem Handy zurück. „Hier, Grenoble. Es war die letzte Mai-Woche 2013.“
Stephan Sponar ist einer der Forscher rund um Yuji Hasegawa und Tobias Denkmayr, die gerade international Schlagzeilen machen. Ihnen gelang es, eine Quanten-Grinsekatze zu erschaffen. Die BBC oder die Neue Zürcher Zeitung berichteten. Aber der Reihe nach.
Worum geht’s?
Nach den Gesetzen der Quantenphysik können Teilchen gleichzeitig verschiedene Zustände einnehmen. Durch einen Silizium-Kristall können Forscher einen Neutronen-Strahl so auf zwei unterschiedliche Strahlen aufteilen. Dabei sind die einzelnen Neutronen frei und können sich in einer Überlagerung für beide Wege gleichzeitig „entscheiden“.
Für ihr Experiment nutzte das Team der TU ein Interferometer um Neutronen von ihren magnetischen Anteilen zu trennen. Die Neutronen kamen an eine Kreuzung und teilten sich auf: die Neutronen folgten dem Weg des Interferometers. Ihre magnetischen Anteile wählten den anderen Weg. Wie bei Alice im Wunderland haben sie sich verselbstständigt. So wie das Grinsen der Katze, das frech neben der Katze hockt und die Mundwinkel nach oben zieht.
Und das passiert in Wien?
Nein, aber in Wien steht ein Reaktor der Forschergruppe. Ein kleiner nur. Früher war er mit 80 Prozent Uran angereichert. (Für Atomwaffen braucht man mindestens 90 Prozent Anreicherung.) Irgendwann wurde den Amerikanern das zu heiß und sie haben ihre Forschungs-Reaktoren zum Downgrade gebeten. Heute hat der Reaktor die Kraft eines Autos mit solidem Benzinmotor. Vier Stahlrohre ragen aus dem Reaktor, jedes einzelne liefert unterschiedlich energetische Neutronen. Und an jedem sitzt ein Spezialist für ein anderes Gebiet. Für ihr Experiment reiste die Gruppe aber nach Grenoble. Seit den 1980ern besitzt die Technische Universität Wien dort ein eigenes Instrument, das aber auch Australier oder Japaner nutzen. Eine atomare Forscher-WG mit weltweitem Einzugsgebiet.
Im Auto nach Grenoble
1 ½ Kilometer von Grenoble entfernt liegt das Forschungszentrum. Die European Synchrotron Radiation Facility (ESRF) ist ganz in der Nähe. Über 40 Instrumente gibt es dort. Ein Drittel der Forscher sind Deutsche, ein weiteres Drittel Briten und noch ein Drittel kommt aus Frankreich. Dazu noch Italiener, Österreicher, Türken, Ungarn und Schweizer.
Die anderen machen in Grenoble Standardanalyseverfahren, nehmen also Proben wie am Fließband. Großteils sind das keine Physiker, sondern oft Biologen. Sie untersuchen biologische Strukturen mit Neutronen. Das geht innerhalb weniger Stunden und mit standardisierten Methoden. Sie kommen, messen, packen ihre Sachen und sind wieder weg.
„Wir aber machen Grundlagenforschung. Deswegen sieht unser Instrument wie eine ewige Baustelle aus. Wir bauen jedes Mal alles neu auf. Für das Grinsekatzen-Experiment haben wir alleine zwei Wochen zur Vorbereitung gebraucht. Sieben Tage die Woche. Jedes Experiment bei uns ist ein Prototyp. Viel herumschrauben, testen, neu verkabeln, viel neu programmieren“, sagt Stephan Sponar.
Das eigentliche Experiment war im Mai 2013. Warum die Wartezeit?
„Ja, das klingt so, als hätten wir ein Jahr lang nur Däumchen gedreht. Dass das Experiment funktioniert, ist die eine Sache. Etwas anderes ist es, das ganze in Zahlen gegossen vor sich zu haben. Da vergeht viel Zeit. Tobias Denkmayr hat da unglaubliche Arbeit geleistet und zwei Monate daran gearbeitet, die konkreten Zahlenwerte zu ermitteln. Danach geht’s erst ans Verfassen der eigentlichen Publikation. Da wird von den Referees jeder Satz auf die Waagschale gelegt. Im Vergleich zu einer Doktorarbeit braucht man dafür etwa 10 Mal so lang.“
Und was bringt die Entdeckung?
Jedenfalls möglich scheinen Verbesserungen in der Neutronenmessung. „Da sollte es etwas geben, das in der Theorie zwar messbar ist, aber bisher noch nicht gemessen werden konnte. Es ist noch nie gelungen“, hofft Yuji Hasegawa auf neue Durchbrüche.
Uninteressanter Schwachsinn
Dass sie nun bekannt sind, freut die beiden. „Das könnte uns schon helfen“, meint Hasegawa. „Mir persönlich ist es aber schon ein bisschen zu viel PR im Moment.“ Auch die Wissenschaft hat sich durch das Internet beschleunigt. Genauer gesagt: die Wissenschafts-Kommunikation. „Das Internet ist großartig – aber der Mitteilungsdrang ist „abartig“ – auch jetzt in der Physik mit etwas Verzögerung“, meint Stephan Sponar mit Blick auf besonders Internet-begeisterte Kollegen. „Wen interessiert ein Physik-Blog, wo jemand schreibt, dass er gerade sein neues Instrument angeschaltet hat? Niemanden. Die wirklich interessanten Sachen gehen dann verloren, weil sie in einem Sumpf von uninteressantem Schwachsinn verschwinden. Wenn man etwas Neues entdeckt hat, dann kann man gern in die Öffentlichkeit gehen. Aber ich muss nicht meinen Arbeitsalltag permanent dokumentieren. Das schadet eher. “ Yuji Hasegawa meint trocken: „Ein großer Schritt kommt nicht jede Stunde, jeden Tag oder jede Woche. Sondern vielleicht jedes Jahr oder alle fünf bis zehn Jahre“, so Yuji Hasegawa.
Und wie feiern erfolgreiche Wissenschaftler?
„Eigentlich gar nicht“, gibt Stephan Sponar zu. „Wir mussten am nächsten Tag sehr früh heimfahren. Mit dem Auto, weil wir sehr viel Equipment hin und her transportieren. Wir haben bis zur letzten Minute gemessen. Dann alles zusammengepackt. Ins Auto. Auto in die Garage, ein paar Stunden Schlaf und dann sind wir am Morgen heimgefahren. Aber jetzt wo die Publikation da ist, könnten wir das in Angriff nehmen“, grinst er.