Fabian Webersinke ist Bier-Missionar. Keiner von der radikalen Sorte. Webersinke ist schlicht überzeugt, dass es da draußen mehr als eine Bier-Welt gibt. Mindestens zwei nämlich. In der einen tritt der Gerstensaft als flüssige Begleiterscheinung eines Fußballspiels im TV auf. In der anderen wird Bier zum edlen Tropfen. Fein komponierte Bier-Symphonien statt lauer Fahrstuhlmusik! Genau dieses Bier, das für Handarbeit und Braukunst steht und dem Leben Würze verleihen kann, hat es Webersinke angetan. Für ihn existieren die beiden Paralleluniversen friedlich nebeneinander. Mit seiner Brau-Leidenschaft will er aber zumindest mithelfen, die Tür in jene Welt der bierigen Geschmacksexplosionen etwas aufzustoßen. Weil Bier eben nicht gleich Bier ist.
„Ich hab‘ schon etwas gebraucht, bis ich gewohnt war, dass Bier auch nach Schokolade oder Maracuja schmecken, dass da auch Pfeffer oder Chili drin sein kann.“
Als Webersinke zum Studieren von Linz nach Wien ging, hat ihn der dortige Bier-Horizont mehr als nur überrascht. Die Vielfalt war verblüffend. „Ich hab‘ schon etwas gebraucht, bis ich gewohnt war, dass Bier auch nach Schokolade oder Maracuja schmecken, dass da auch Pfeffer oder Chili drin sein kann“, gibt er offen zu. Nach seiner Linzer Bier-Erziehung war das ein positiver Schock – der sich in eine Leidenschaft verwandelte. Zufällig fand Webersinke den Weg in die BrewCrew der Boku. Eine verschworene Clique von Bier-Beseelten, die Begeisterung und das Wissen aus ihren Studien in die Optimierung des Gerstensaftes einfließen lassen. Regelmäßig trifft sich die Crew am Institut für Lebensmitteltechnologie, um die vom Marchfelder Storchenbräu geliehene Brauanlage anzuwerfen.
Die Mitglieder der BrewCrew kommen aus allen Richtungen: Lebensmitteltechnologie, Biotechnologie, Holzfaser – und Naturtechnologie. Selbst Weinbau-Studierende sind mit von der Partie. Regelmäßig heimst die Braugruppe Preise und Auszeichnungen ein. 2014 gewann sie die Staatsmeisterschaft der Haus und Kleinbrauer in der Kategorie Kreativbier. Das Gewinner-Bier trug den Kampfnamen Black Hop Mountain Devil.
Was genau ist das Schöne am Bierbrauen?
Es ist eine handwerkliche Tätigkeit. Bier ist ein Lebensmittel, das noch von Hand hergestellt wird – ein Kulturgut. In der Braugruppe sind wir 15 Leute, die gemeinsame Sache machen. Es ist auch diese soziale Komponente, die mir gefällt.
Was verstehst du unter Craft Beer?
Eigentlich in kleinen Maßstäben von kleinen Brauereien, so genannten micro breweries, hergestelltes Bier. Bei Craft Beer werden auch mehr und andere Rohstoffe verwendet. Dadurch sind die Herstellungskosten deutlich höher als in Großbrauereien. Gebraut wird Craft Beer von Menschen, die sich sehr intensiv mit Bier-Kulturen beschäftigen. In Österreich werden vorwiegend untergärige Biersorten wie Lagerbiere und das Hefeweizen als obergärige Variante gebraut. Die Craft Beer Szene aber sieht sich weltweit um und braut untypische Biersorten nach, oder kreiert vollkommen neue. Dunkle irische Stouts etwa. Das lässt sich aber nur im kleinen Maßstab realisieren, sonst wäre das zu teuer.
„Die Menschen sind bereit für hochwertigere, anders schmeckende Lebensmittel.“
Wie lässt sich der aktuelle Hype ums Bier erklären?
Der ganze Lebensmittelmarkt hat sich verändert und Bier ist ein Teil davon. Die Menschen sind bereit für hochwertigere, anders schmeckende Lebensmittel. Es gibt auch erstaunlich viele Studenten und Menschen ohne viel Geld, die sich gerne einen kleinen Luxus gönnen. Das geht durch alle gesellschaftlichen Schichten.
Wie lange dauert es, bis man als Laie sein eigenes Bier brauen kann?
Das ist eine Lebensaufgabe! Man lernt ununterbrochen. Ich glaube, das wird sich auch nach 45 Jahren im Geschäft nicht ändern. Bis zum ersten gelungenen Sud dauert es etwa ein Jahr, würde ich schätzen. Beim Brauen geht es viel um Wissen, das weitergegeben wird, um den Austausch. Da geht es sehr familiär zu. Außer wenn es um Betriebsgeheimnisse geht, bekommt man von Brauereien eigentlich immer eine Antwort auf Fragen. Man hilft sich und trifft sich, zumindest im Craft Beer Bereich. Im Studium lernt man ja hauptsächlich die großtechnologische Lebensmittelherstellung. Bier ist aber immer noch ein natürliches Produkt: Hopfen, Malz, Wasser und Hefe – ich glaube da wird es auch in der mittelbaren Zukunft keinen Markt für Ersatzprodukte geben.
Was würdest du einem untrainierter Gaumen empfehlen, um sich zum Bier-Feinspitz zu entwickeln?
Bis man sein Sensorium aufbaut dauert es schon lange. Man sollte sich entspannt durchkosten, hineinriechen und nicht gleich trinken. Das Bier schwenken und probieren. Und sich Zeit nehmen, um die Eindrücke in Worte zu fassen. Schmeckt das Bier nach Litschi, Melone oder nach Ingwer? Man kann viel voneinander lernen. Ich empfehle 6 Biere mit interessanten Aromen für 4 Menschen. Einfach kaufen und miteinander durchprobieren. Dann riecht einer das und der andere das. Anders als beim Wein entfaltet sich das Aroma erst nach dem Schlucken. Ausspucken geht also nicht. Die Aromen müssen oft angewärmt werden und kommen nach dem Schlucken zurück in die Nase. Auch die Trinktemperatur ist wichtig. Die Aromen sind ja flüchtig. Bei eiskaltem Bier stecken sie noch in der Flüssigkeit.
„Wir verwenden auch Katzenurin als Fehlaroma.“
Ihr habt auch Biersensorikschulungen. Wie läuft so etwas ab?
Diese Schulungen sind fast eine eigene Wissenschaft. Wir arbeiten da etwa mit Trainingskits. Da kommen Kapseln ins Lagerbier mit Fehlaromen, so genannten off flavours, und wir sollen die dann identifizieren. Wir verwenden etwa Katzenurin als Fehlaroma. Es gibt aber auch die Möglichkeit, verschiedene Biere aus schwarzen Gläsern zu trinken und das Bier nur nach Geschmack und Geruch zu bewerten, ohne dass man die Flüssigkeit sieht. Da geht es immer auch um das gemeinsame Probieren.
„In der Craft Beer Szene ist der Altersschnitt schon deutlich niedriger und Kreativbiere zu entwickeln macht einen großen Teil der Szene aus.“
Sind junge Uni-Brauer einfach waghalsiger und experimentierfreudiger als alteingesessene Brauereien?
In der Craft Beer Szene ist der Altersschnitt schon deutlich niedriger und Kreativbiere zu entwickeln macht einen großen Teil der Szene aus. Aber der relativ hohe Preis und die untypische Aromatik schrecken viele Menschen ab. Herkömmliche Biere haben den Vorteil, dass man weiß, was man bekommt – gleichbleibenden Geschmack durch die unterschiedlichen Chargen. Das ist bei Craft Bieren anders. Nicht so dramatisch wie beim Wein, wo sich die Jahrgänge extrem verändern können. Aber ein Sud kann eben auch ganz anders schmecken als der davor.
Wann war dein erster und dein bislang letzter Bier-Rausch?
(Überlegt) Der erste Bierrausch war mit 16. Das letzte Mal beschwipst war ich sicher vor 2 Wochen. Wenn man in der Szene ist und Brauer kennt, dann testet man eben. Dem entkommt man nicht – sozusagen Berufsrisiko.
Alle Fotos des Beitrages stammen von Fabian Webersinke. Auf dem Titelbild sind Stefan Klingohr, Fabian Webersinke und Julian Selinger vor dem Sudkessel des Lichtenthaler Bräu zu sehen.