Wie strukturiert Geld unser Leben?
Silke Meyer: Geld braucht Gesellschaft, denn es ist im Kern eine soziale Verabredung, über deren Wert wir uns einigen müssen. Wie Geld soziale Beziehungen strukturiert, kann man im Großen wie beim Eurodesign, aber auch im Kleinen wie dem Geldgeschenk sehen: Dieses gilt als unpersönlich, daher braucht es eine Rahmung, etwa eine Verpackung. Mit dieser schreibt sich Schenkende in das Geschenk ein und kompensiert den vermeintlich unpersönlichen Charakter des Geschenks, indem die soziale Beziehung betont wird. Dies ist nicht bei allen Geldgeschenken der Fall: Je klarer und enger das Verhältnis ist, z. B. Eltern an ihre Kinder, umso weniger Aufwand braucht es.
Inwiefern ist Geld identitätsstiftend?
Geld strukturiert nicht nur die sozialen Beziehungen nach außen, sondern es schreibt sich in das Selbstbild ein. Ich würde aber nicht von Identitätsstiftung sprechen, sondern von sozialer Positionierung, weil diese dynamischer und situationsbezogener ist und das Verhältnis des Einzelnen zur Gesellschaft zeigt. Wie ich mit Geld umgehe, zeigt meinen persönlichen Geschmack, aber auch mein Verhältnis zu Konsum und Nachhaltigkeit. Damit wird jeder Gang zum Supermarkt zum politischen Statement.
Was macht es mit uns, wenn wir verschuldet sind?
Soziale Positionierung verweist auf die Stellung in der Gesellschaft, auf Inklusions- und Exklusionsmechanismen. Zygmunt Bauman hat die These aufgestellt, dass in der Postmoderne die Stellung in der Gesellschaft durch Konsum bestimmt wird. Das zeigt, wie wichtig der Zugang zu finanziellen Ressourcen ist, um sich soziales Kapital zu sichern. In meiner Forschung habe ich gezeigt, dass es für das Gefühl der Zugehörigkeit einen gesellschaftlich anerkannten Grund braucht, sich zu verschulden. In Umfragen in den 1970ern und 1980ern wurden Gründe wie Arbeitslosigkeit, Krankheit oder Trennung als Gründe für Verschuldungen genannt. Diese drei Gründe stellen noch immer die Hauptursache für Schulden dar, dennoch sprechen die Schuldner*innen nun anders über ihre Situation: Es geht stärker um persönliche Verantwortung und Eigeninitiative – neoliberale Tugenden.
Wie hängt Geld mit Moral zusammen?
Moral ist ein schwieriger Begriff, besser wäre, von gesellschaftlichen Normvorstellungen zu sprechen. Dies zeigt sich beim Sparen: Es gilt als Tugend der bürgerlichen Gesellschaft, aber beim Adel war Sparen ein Zeichen von Schwäche. Geld und Moral zu vermengen ist schwierig, weil die Anforderungen von Klimaschutz, nachhaltiger Lebensweise und ethischem Konsum in krassem Gegensatz zu den Teuerungen stehen. Es ist leicht, den moralischen Zeigefinger zu erheben, wenn man es sich leisten kann. Sich „moralisch gut“ zu verhalten darf aber kein Preisschild haben.
Sie haben sich den Umgang mit Schulden in mehreren Ländern angesehen. Welche Unterschiede gibt es hier?
Die nordamerikanische Gesellschaft ist eine Einwanderungsgesellschaft, das hat ihre Haltung zu Krediten bis heute geprägt. Der American Dream basiert auf Kredit, daher ist dieser gesellschaftlich eher akzeptiert. Bourdieu beschrieb hingegen für Frankreich, dass Konsumkredit als stigmatisiert gilt, weil er einen Vorgriff darstellt, der die Zeitordnung der Gesellschaft bedroht. Hinzu kommt, dass in den USA und in GB der Zugang zur universitären Bildung viel Geld kostet, Studienkredite sind normal und damit rücken diese in die Mittelschicht. Meine Forschungen zeigen, dass diese historischen Kontexte sogar in den aktuellen Insolvenzordnungen eingegangen sind. In den USA erklären sich Schuldner*innen insolvent und müssen dann zwei Monate warten, bevor sie eine Restschuldbefreiung bekommen. Diese heißt „fresh start“. In Deutschland betrug die „Wohlverhaltensperiode“ zunächst sieben Jahre. Heute sind es drei Jahre, in denen sich Schuldner:innen als „redlich“ erweisen müssen. Alleine diese Bezeichnungen aus der Insolvenzordnung zeigen das unterschiedliche Kredit- und Schuldenverständnis.