Der österreichische Psychiater Viktor Frankl war der Meinung, dass nur die, die einen Sinn im Leben haben, auch glücklich sein können. Das kann die Sinnforscherin Tatjana Schnell nicht bestätigen. Als Psychologin an der Uni Innsbruck hat sie genug Menschen gefunden, die auch ohne Lebenssinn nicht unglücklich sind.
Bedeutet Sinn gleich Glück?
Wenn man Menschen danach fragt, ob sie einen Sinn in ihrem Leben sehen, antworten sie recht unterschiedlich, erklärt die Psychologin und empirische Sinnforscherin Tatjana Schnell. Entweder, sie sehen einen Sinn in ihrem Leben, oder nicht. Wer keinen hat ist aber nicht automatisch unglücklich. Diese Menschen würden zwar meinen, keinen großen Einfluss auf ihr Leben zu haben, sie seien aber deswegen nicht verzweifelt. Anders als jene, die in einer Sinnkrise stecken. Eine solche Krise könne zu Depressionen und Angstzuständen führen, so Schnell.
Wichtig sei auch, dass man den Lebenssinn nicht mit Glück gleichsetzen könne. „Sinnerfüllung heißt nicht, dass wir jeden Morgen aufstehen und uns darüber freuen, wie sinnerfüllt unser Leben ist. Sie ist eher wie ein Fundament, das man meist erst bemerkt, wenn es ins Wanken gerät“, erklärt die Psychologin. „In mehreren Studien sehen wir, dass Menschen, die sagen, dass ihnen Glück nicht so wichtig ist, von viel mehr Glückserfahrungen berichten. Ihnen geht es eher darum, so zu leben und zu handeln, wie sie es für richtig halten.“
Was ist ein sinnerfülltes Leben?
Die Forscherin Tatjana Schnell und ihre Kolleg*innen haben anhand von Studienergebnissen 26 mögliche Sinnquellen zusammengefasst. Manche davon seien sinnstiftender als andere. „Was wir als Kernergebnis berichten können, ist, dass wir uns nicht nur auf eine Sache konzentrieren sollten, sondern, dass wir mehrere Sinnquellen brauchen, um eine gewisse Balance zu haben.“
Besonders sinnstiftend seien Dinge, die „selbstüberschreitend“ sind, sich also nicht unmittelbar um einen selbst, sondern um etwas Größeres drehen. Hier kann es sich zwar um Religion oder Spiritualität handeln, das sei aber in unseren Gesellschaften recht selten, so die Psychologin. Es könne dabei auch um soziales Engagement, Naturverbundenheit oder die sogenannte Generativität gehen. Das bedeutet, dass man etwas an die Gesellschaft weitergibt. Etwa durch Kinder, Kunst, politisches Engagement oder auch Nachbarschaftshilfe.
Jugend ohne Sinn
Und was tut man, wenn man darunter leidet, keinen Sinn im Leben zu haben? „Wenn man in einer Sinnkrise steckt, ist es wichtig, herauszufinden, was für einen persönlich eigentlich wichtig ist“, erklärt Schnell. Erziehungsberechtigte können ihren Kindern dabei Hilfe leisten. „Wir haben heute verlernt, zu erfragen, was uns wichtig ist. Auch, weil die Schulen vorrangig nur Wissensvermittlerinnen sind und keinen Raum für das Explorieren bieten.“
Um herauszufinden, was einem selbst wichtig ist, müsse man innehalten. Doch gerade dass sei in unserer schnelllebigen Gesellschaft schwierig, so Schnell. „Deswegen sagen viele Menschen, dass sie, wenn sie eine Krise durchlebt haben, wie etwa eine Krebsdiagnose, froh sind, dass das passiert ist, weil es ihnen die Rechtfertigung gegeben hat, stehenzubleiben und zu überlegen“, erzählt die Psychologin.
Dass wir uns zu wenig Zeit nehmen, in uns zu gehen, zeigen auch die Zahlen: „Seit zehn bis fünfzehn Jahren berichten immer mehr Menschen von einer Sinnkrise“, so Tatjana Schnell. Sie sieht hier die Schulen in der Verantwortung, besonders den Jüngeren unter die Arme zu greifen. „Bei den 16- bis 29-jährigen berichtete – vor Corona – erschreckenderweise jede*r Vierte von einer Sinnkrise. Mit der Pandemie sind die Zahlen offenbar nochmals angestiegen, wie unsere Daten zeigen.“