Die Uni Graz hat ein Geschmackslabor. Wird dort viel gekocht?
Helmut Jungwirth: Das Geschmackslabor ist ein Mitmachlabor, in dem man mehr über die Bereiche Kochen, Geschmack, Aroma oder z. B. Molekulare Küche erfahren kann. Unser Ziel ist es zum einen die wissenschaftlichen Vorgänge, die beim Kochen ablaufen, für alle Interessierten einfach und verständlich aufzubereiten und zu vermitteln, wie z.B. in Form von wissenschaftlichen Kochkursen. Zum anderen durch innovative Projekte oder Tagungen die Zusammenarbeit zwischen KöchInnen und WissenschaftlerInnen zu intensivieren. Somit können wir die Frage mit Ja beantworten. Bei uns wird viel gekocht. Derzeit liegt unser Fokus gerade auf der Mittelalterküche in Kooperation mit KuliMa, dem Verein Kulinarisches Mittelalter der Uni Graz.
Es gibt sechs Grundgeschmacksrichtungen. Der Irrglaube, dass man jeden an verschiedenen Bereichen der Zunge wahrnimmt, hält sich hartnäckig. Wie und wo schmecken wir denn wirklich?
Ursache für diesen Irrglauben sind meistens veraltete Schulbücher und ebensolche Darstellungen im Internet, die nie gelöscht werden und selbst bei Firmenpräsentationen in der Lebensmittelindustrie immer wieder auftauchen. Die Geschmacksrezeptoren für die oben genannten Richtungen sind quer über die ganze Zunge verteilt und nicht in Bereiche gegliedert. Grundsätzlich muss aber auch angemerkt werden, dass wir viele Lebensmittel gar nicht über den Geschmack, sondern über das Aroma, also den Geruch, wahrnehmen.
Unsere Sinneswahrnehmung „Schmecken“ besteht streng genommen nur aus ungefähr 10 % Geschmacksreizen, die über die Zunge wahrgenommen werden. Die restlichen 90% der Wahrnehmung stammen vom retronasalen Riechen. Unser Hirn kombiniert jedoch die beiden Signale miteinander. Wir können daher bei einer Erkältung mit verstopfter Nase zwar die Geschmacksrichtungen wie bitter oder salzig wahrnehmen, die große Vielfalt der Aromen bleibt uns aber verborgen. Daher haben wir das Gefühl dann auch nichts zu „schmecken“.
Wir schmecken süß, fett, sauer, salzig, bitter und umami. Stimmt es, dass umami das geschmackliche Pendant zu Glutamat ist?
Umami ist der Geschmack, der mit „herzhaft und fleischig“ umschrieben werden kann. Dieser geht auf die Glutaminsäure (Glutamat) und andere strukturverwandte Moleküle zurück. Die Geschmacksrichtung Umami ist aber nicht zwingend nur im Fleisch zu finden. Getrocknete Tomaten, Meeresalgen, Shiitake-Pilze und Parmesan enthalten z. B. auch sehr viel Glutamat.
Was hat Glutamat mit künstlichen Geschmacksverstärkern zu tun?
Die Aminosäure Glutaminsäure bzw. das Salz davon, das sogenannte Glutamat, hat geschmacksverstärkende Wirkung. Seit Ende der 1960er-Jahre kursiert leider hartnäckig das Gerücht von Glutamat-Unverträglichkeiten oder -allergien, die aber in diesen 50 Jahren nie wissenschaftlich belegt werden konnten. So wie die Wirkungsweise von Homöopathie, die nicht gegeben ist, Mikrowellen, die unser Essen verstrahlen, oder Beauty Food, welches unsere Falten im Gesicht verschwinden lässt.
Wissenschaftliches Faktum ist aber, dass die Aminosäure Glutaminsäure ein wesentlicher Bestandteil unserer Proteine im Körper ist. Und der menschliche Körper nicht unterscheiden kann ob Glutamat chemisch synthetisiert, also hergestellt wurde, oder aus einem Apfel, aus Rindfleisch oder Pilzen stammt. Alle, die nach dem Konsum von (synthetisch hergestelltem, Anm.) Glutamat Kopfschmerzen bekommen, müssten dies dann auch nach einer Portion Spaghetti mit Tomaten und Parmesan bekommen. Denn diese beiden Lebensmittel enthalten Glutamat in vergleichsweise hoher Konzentration.
Mit Ihrem Buch „Science Schmankerl“ möchten Sie ja, wie Sie im „Gruß aus der Küche“ schreiben, die Aufmerksamkeit auf vermeintlich banale Abläufe in der Küche lenken. Lenkt kochen mit flüssigem Stickstoff nicht eher von den alltäglichen Küchenabläufen ab?
Es lenkt ab, wenn in der Küche das Handy ständig klingelt. Flüssiger Stickstoff ist ein hervorragendes Tool, um sich mit Geschmack/Aroma und Temperatur auseinanderzusetzen. Die Wichtigkeit der richtigen Koch- und Ess-Temperatur wird vielfach unterschätzt. Denken wir an Eis, das zerronnen viel vom Reiz einbüßt. Flüssiger Stickstoff lenkt dann ab, wenn er nur eingesetzt wird, um es rauchen und krachen zu lassen, ohne dabei die wissenschaftlichen Hintergründe zu verstehen, warum es dabei so raucht und kracht.
Warum sollte ich eine Sphäre essen? Welche neuen Geschmackserlebnisse ermöglicht Molekularküche?
Warum sollte ich ein Gericht aus der indischen oder orientalischen Küche essen? Um meinen geschmacklichen und kulinarischen Horizont zu erweitern. Selbiges gilt für den Genuss einer Thai-Suppen-Sphäre. Ein neues Mundgefühl, eine durch die Sphärifizierung (Verkapselung) hervorgerufene neue Abfolge von bekannten Geschmacks- und Aromakomponenten im Mund. Mithilfe der Molekularen Küche kann ich Gerichte neu interpretieren, neu konstruieren, und so die zeitliche Wahrnehmung von Geschmacks- und Aromastoffen steuern.
Ihre Kritik gilt den Profi-Köchen, auf deren Tellern nur mehr die Show zählt und der Geschmack zur Nebensache wird. Wie hilft ihr Buch dem Hobbykoch, nicht denselben Fehler zu machen?
Es wäre von mir sehr vermessen, Profi-KöchInnen zu kritisieren, da sie etwas beherrschen, das ich in dieser Form nicht beherrsche. Ich kritisiere, wenn Techniken und Texturen eingesetzt werden, um Effekthascherei zu betreiben, ohne dabei zu wissen, warum dieser Effekt überhaupt entsteht. Wir haben daher zu unserem Buch auch einen speziellen Kochkurs im Geschmackslabor entwickelt, in dem wir nicht nur einzelne Rezepte „nachkochen“, sondern diese und die dabei entstehenden Effekte auch wissenschaftlich erklären.
Stehen der Küchen- und vor allem Gastronomietrend Molekularküche dem Trend, die Ausgangsprodukte möglichst puristisch auf den Teller zu bringen, entgegen?
Ich sehe die Molekulare Küche nicht als Trend, sondern als eine intensive Zusammenarbeit zwischen KöchInnen und WissenschaftlerInnen, die sich ständig weiterentwickelt und neue Bereiche erschließt. Begriffe wie Molekulare Küche, Avantgarde Küche oder Modernist Cuisine sind für mich lediglich Begriffe, die versuchen etwas einzugrenzen, was eigentlich nur schwer eingrenzbar ist. Ob ich nun etwas mit Hilfe molekularer Techniken „konstruiere“ oder einen puristischen Teller serviere, die wissenschaftlichen Aspekte der Wahrnehmung bleiben gleich. Für mich zählt die Qualität des Endproduktes, das ist aber meine persönliche Interpretation.
Sie schreiben Molekularkochbücher für Hobbyköche und sind Teil der Science Busters, die sich selbst als Boygroup bezeichnen. Muss Wissenschaftskommunikation funktionieren wie Popmusik?
Wissenschaftskommunikation muss faszinieren. Die große Kunst liegt darin, Wissenschaft und Forschung spannend zu verpacken und verständlich zu vermitteln. Dies kann natürlich auch unterhaltsam sein. Science Slams, wissenschaftliche Kochkurse und das Wissenschaftskabarett sind ein perfektes Beispiel dafür, dass durch Humor und Unterhaltung die Wissenschaftlichkeit keinesfalls verloren geht.
Verraten Sie uns als österreichweit erster Professor für Wissenschaftskommunikation noch: Gibt es sperrige, zu komplexe Inhalte oder liegt es immer an der falschen Verpackung, wenn für Wissenschaft kein allgemeines Interesse geweckt werden kann?
Natürlich gibt es Themen, die sperriger aufzubereiten sind, darin liegt auch die Herausforderung in der Wissenschaftskommunikation. Ich habe beim Publikum aber nur dann Erfolg, wenn ich es schaffe, eine Geschichte zu erzählen, mit der es sich auch identifizieren kann.
Im Basiskurs Science Schmankerl kann im Geschmackslabor der Uni Graz unter Anleitung gelernt werden, die Rezepte aus dem Buch nachzukochen.
Für die molekularen »Science Schmankerl« aus dem Geschmackslabor der Uni Graz gab es den Sonderpreis Prix Epikur des Zentrums für Gastrosophie der Uni Salzburg. „Science Schmankerl“ ist im Amalthea Verlag erschienen. (ISBN-13: 978-3-99050-108-5)
Interview: Irina Zelewitz