Martina Schmidl liest fremde Briefe und schreibt darüber auch noch ihre Dissertation. Doch keine Sorge, die Rede ist von Keilschrifttafeln aus Mesopotamien. Mit dem Foto eines selbst angefertigten Keilschrifttafel-Briefes hat Schmidl den jährlichen Fotowettbewerb „Meine Forschung in einem Bild“ der Uni Wien gewonnen. Im Interview erzählt sie, was sich Menschen vor ca. 2500 Jahren so alles geschrieben haben.
Schrödingers Katze: Worum geht es in der Dissertation genau?
Martina Schmidl: Für meine Dissertation beschäftige ich mich mit Briefen aus Mesopotamien, aus der Zeit um 539 bis 484 v. Chr. Ich untersuche Briefe von zwei Tempeln, aus den Städten Uruk und Sippar. Mich interessiert, wie die Menschen in den Tempeln durch die Briefe interagieren. Die Tempel waren zentral für den Kult, aber sie waren auch involviert in Projekte für die Krone, als eine Art Arbeiterreservoir. Der Untersuchungszeitraum beginnt mit der Übergangsphase von der neubabylonischen in die persische Zeit, das heißt da gab es einen gewissen historischen Bruch. Ich will herausfinden, ob sich das auswirkt, und auch wie die Strukturen intern laufen.
Wer schreibt in diesen Briefen wem?
Das ist ganz unterschiedlich. Viele Briefe gehen an die höchsten Beamten am Tempel, die auch sehr viel untereinander schreiben. Es gibt auch die, die an königlichen Projekten sitzen, die ihre Arbeiter beaufsichtigen und versorgen müssen. Wir haben viele Briefe, in denen sie berichten, welche Schwierigkeiten sie haben. Man schreibt sich generell eher, wenn etwas schiefläuft, als wenn alles gut geht – Letzteres nur, wenn man Berichte abliefern muss. Oft schreiben auch kleinere Heiligtümer, die sich an die größeren Tempel wenden, wenn sie etwas brauchen. Die Krone schreibt allerdings nicht mehr, das ist eine der Folgen der persischen Übernahme.
Was steht beispielsweise in einem dieser Briefe?
Gerne steht darin, dass die Arbeit hart ist, oder dass jemand zu wenig Rationen für seine Arbeiter hat. Es gibt Briefe, die aus der Zeit einer Hungersnot stammen, sie sind sehr dramatisch. Die Menschen kommen zur Baustelle, arbeiten für ein paar Tage und flüchten dann wieder, weil es einfach nichts zu essen gibt. In besseren Zeiten beschwert man sich darüber, dass Arbeitskräfte von außerhalb angeheuert werden müssen, weil das teurer ist. Es sind andererseits auch kleine, alltägliche, admnistrative Dinge.
Kommen auch private Themen in den Briefen vor?
Für meine Diplomarbeit habe ich private Briefe untersucht, da gab es eine sehr schöne Stelle, als ein Ehemann seiner Frau schreibt: ‚Es freut mich zu hören, dass du schwanger bist‘. In den Tempelbriefen kommt Privates nicht wirklich vor, was gut für meine Forschung ist – es zeigt die bürokratische Natur des Umgangs miteinander im Tempel. Nur selten gibt es Briefe, die doch etwas Privates enthalten. Es ist manchmal sehr schwierig, sie zu kontextualisieren, weil wir nur die Absenderbriefe haben, keine Antwortschreiben.
In welcher Sprache sind die Briefe verfasst?
Primär auf Akkadisch, genauer im spätbabylonischen Dialekt des Akkadischen. Akkadisch wurde über Jahrtausende in Mesopotamien verwendet. Der Tempel ist sehr der Tradition der Keilschrift verhaftet. Im ersten Jahrtausend verwendet man weiterhin Akkadisch, mehr und mehr jedoch auch Aramäisch. Besonders im Umfeld der Krone gibt es viele Menschen, die Aramäisch nutzen. Das Schöne an den Briefen ist, dass sie relativ nah an der Alltagssprache abgefasst sind. So sieht man dann teils Dialektvarianten, ganz vereinzelt auch aramäische Einsprengsel.
Wie ist das Foto für den Wettbewerb entstanden?
Ich habe den Wettbewerb bereits letztes Jahr gesehen und habe mir gleich gedacht: Das wird nichts. Keilschriftbriefe sind vom Inhalt her sehr spannend und vielfältig, aber optisch nicht unbedingt berauschend. Der Wettbewerb zielt ja auch auf ästhetisch ansprechende Fotos. Die Briefe sind kleine, braune, oft etwas unregelmäßig geformte Tontäfelchen, nicht einmal so groß wie eine Handfläche. Außerdem muss man das Foto selbst gemacht haben, und meine Briefe gibt es in Wien nicht. Deswegen habe ich dann selbst mit simplen Mitteln einen Brief hergestellt und fotografiert.