„Land der Berge, Land am Strome, Land der Äcker, Land der Dome“ – und Land der Zersiedelung, so könnte man die österreichische Bundeshymne ergänzen, schließlich ergab sich in den letzten 45 Jahren hinsichtlich der Zersiedelung eine „massive Verschlechterung“ erklärt Anna-Katharina Brenner vom Leibniz Institut für ökologische Raumentwicklung, die zur Zeit an der Universität für Bodenkultur (BOKU) als Gastforscherin tätig ist. Gemeinsam mit ihren Kolleg*innen präsentierte sie kürzlich eine Studie genau dazu. Zersiedelung definiert sie als „die räumliche Ausbreitung von Siedlungen in die Landschaft außerhalb kompakter Siedlungsstrukturen und in geringer Dichte – insbesondere in Form von frei stehenden Einfamilienhäusern, großflächigen Gewerbegebieten und Einkaufszentren.“
1975 bis 2020
Für ihre Studie untersuchten Anna-Katharina Brenner und ihre Kolleg*innen Daten von 1975 bis 2020. 1975 war Österreich noch sehr gering zersiedelt. Als Gründe für die zunehmende Zersiedelung nennt die Expertin ökonomische Interessen und die gängige Vorstellung davon, welche Art von Wohnen als erstrebenswert gilt – schließlich träumen viele vom Haus im Grünen. „Durch die steigenden Bodenpreise, insbesondere in zentralen Lagen, steigt der Druck auf die Gemeinden, dort Bauland auszuweisen. Diese Grundstücke befinden sich oft außerhalb der kompakten Siedlungsstrukturen – und das begünstigt die Zersiedelung.“ Der tägliche Flächenverbrauch konnte seit 2010 – laut Zahlen des Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie – von ca. 24 ha auf ca. 11,5 ha reduziert werden – doch dies sollte erst der Anfang sein.
Dennoch betont Anna-Katharina Brenner, dass die Gründe für Zersiedelung vielfältig sind. Der Grad der Zersiedelung errechnet sich übrigens „aus dem Anteil der Fläche, die überbaut ist, der räumlichen Streuung der bebauten Flächen sowie der Nutzungsdichte, also der Anzahl der Einwohner*innen und Arbeitsplätze je Flächeneinheit.“
Folgen der Zersiedelung
Konkret werden die Einfamilienhäuser und Einkaufszentren zum Problem, wenn sie sich außerhalb kompakter Siedlungsstrukturen befinden und so einen hohen Flächenverbrauch pro Person bedeuten. Diese Form der Bebauung hat viele negative Folgen: Fruchtbare Ackerböden gehen verloren und der Eingriff in das Ökosystem wirkt sich negativ auf die Biodiversität und den Wasserkreislauf aus. Vor allem funktionsfähige Böden sind wichtig, damit Wasser versickern kann und so Überschwemmungen und Erdrutschen vorgebeugt wird. Zudem wird die Abhängigkeit vom Auto gefördert und diese treibt den Energieverbrauch in die Höhe, ebenso erhöht sich der Ausstoß von Treibhausgasen. Außerdem wachsen in den zersiedelten Landschaften die Kosten für öffentliche Leistungen – wie der Ausbau der Infrastruktur – die dort aber weniger Menschen zugutekommen als in der Stadt. Zu guter Letzt werden dank des demographischen Wandels bald viele Einfamilienhäuser nur von einzelnen Personen – meist Frauen – bewohnt und gepflegt werden – oder leer stehen.
Zersiedelung umkehren
Die Zersiedelung ist zwischen 1975 und 2020 in allen Bundesländern außer Wien rapide angestiegen. Auch in anderen europäischen Ländern ist sie ein Problem, jedoch haben manche Länder wie Deutschland oder die Schweiz das Problem schon anerkannt und arbeiten daran entsprechende Gegenmaßnahmen einzuleiten. So wurde in Deutschland beschlossen, dass die Flächeninanspruchnahme für Siedlungen und Verkehr bis 2030 unter 30 Hektar pro Tag reduziert werden soll, auch die Schweiz ist ein Vorbild und setzt viele Maßnahmen um.
Anna-Katharina Brenner hält fest, dass es „eine der großen Herausforderungen“ sein wird, die bestehenden Strukturen wieder aufzubrechen. „Und so richtig gute Lösungen gibt es dafür noch nicht, weil sich weder Politik noch Wissenschaft ausgiebig mit dieser Frage auseinandersetzen.“ Die Expertin hat einige Vorschläge: So könnte identifiziert werden, welche Gebiete sich besonders gut zur Nachverdichtung – so nennt man die Nutzung freier Flächen im Bereich bereits bestehender Bebauung – eignen. Für die restlichen Gebiete „braucht es neue Utopien, die von landwirtschaftlicher Umnutzung bis zu Urban Mining reichen können.“