Schon in der Habsburgermonarchie endeten Ehen nicht selten vor Gericht. Wissenschaftler*innen der Uni Wien erforschten Eheprozesse vergangener Jahrhunderte und stellten fest: Auch damals beantragten überwiegend Frauen die Scheidung.
Alles begann mit einem Brief, den die Historikerin Andrea Griesebner zufällig bei einer Archivrecherche fand. Darin schrieb eine Frau an ihren Ehemann, sie sei mit einer Scheidung einverstanden. „Das hat mich irritiert, weil mir nicht klar war, dass sich Menschen im katholischen Niederösterreich des 18. Jahrhunderts scheiden lassen konnten“, erzählt Griesebner.
Mit ihrem Team vom Institut für Geschichte der Universität Wien erforschte Griesebner daraufhin Eheprozesse von der Mitte des 16. bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts. Die Ergebnisse zeigen, dass katholisch getraute Ehepaare eine „schlechte“ Ehe nicht immer als Schicksal akzeptierten.
Häufigstes Scheidungsargument: Physische Gewalt
Eine Tendenz lässt sich bei den gescheiterten Ehen quer durch die vergangenen Jahrhunderte erkennen: „Bei drei Viertel der untersuchten Verfahren waren es Frauen, die die Scheidung von Tisch und Bett beantragten, wie es damals hieß“, so Griesebner. Als häufigstes Argument wurde physische Gewalt angeführt.
Auffallend sei etwa der Fall von zwei Frauen in den 1780er Jahren, erzählt Griesebner. Diese hatten die Scheidung mit dem Argument gefordert, der Ehemann hätte sie vergewaltigt. „Erstaunlich ist dies vor allem, wenn wir bedenken, dass die Vergewaltigung in der Ehe in Österreich erst seit der Sexualstrafrechtsreform von 1989 strafbar ist.“
„Das Laster der Selbstbefleckung“
Trotz des ernsten Themas sorgte der eine oder andere Fall mitunter auch für unterhaltsame Momente während der Transkriptionsarbeit. Wie jener, in dem Hofrat Karl Fritz von Liechtenstern bei einer Tagsatzung im Dezember 1781 erklärte, warum seine 17-jährige Tochter Anna Maria nicht zu ihrem Ehemann zurückkehren solle.
Der Hofrat, oder dessen Anwalt, sei offenbar mit dem Onaniediskurs seiner Zeit bestens vertraut gewesen, so die Historikerin. „Er argumentierte, seine Tochter könne nicht zum Zusammenleben mit einem Mann gezwungen werden, dem das Laster der Selbstbefleckung zur Gewohnheit geworden sei“. Sein Schwiegersohn habe sich dadurch „die hinfallende krankheit, manchmallige hirn verzuckungen, raserey, abzehrrung und untauglichkeit zur erzeugung zugezochen.“ Im Namen seiner minderjährigen Tochter bat er daher um die „scheidung von tisch und bethe.“
Umfangreiche Datenbank: Scheidung
Insgesamt wurden die Verfahren von fast 2.200 Paaren unterschiedlicher sozialer Schichten untersucht – vom Hochadel bis zu Tagelöhner*innen. Bis 1783 waren die Kirchengerichte zuständig, danach übertrug das Josephinische Ehepatent die Eheverfahren an die weltlichen Gerichte.
Abgesehen vom Themenfeld Scheidung bieten die Forschungsergebnisse, die in einer umfangreichen Datenbank festgehalten werden, auch einen wichtigen Beitrag zur Ökonomie-, Alltags-, Rechts- und Geschlechtergeschichte, so Griesebner.