Ein Buch lässt Leser in den Kopf anderer Menschen eintauchen. Sie erleben die Geschichte aus der Sicht einer anderen Person, wodurch Empathie gegenüber dieser fiktiven Person entsteht. Wie Autoren das schaffen, ist derzeit Gegenstand der Forschung an der Alpe-Adria-Universität.
Literatur von ethnischen Minderheiten
Alexa Weik von Mossner von der Alpe-Adria-Universität widmet sich dem Thema der Empathie in der Literatur in dem neuen Forschungsprojekt, „Narrative Encounters”, das vor Kurzem angelaufen ist und vom Wissenschaftsfonds (FWF) gefördert wird. Die Amerikanistin erforscht gemeinsam mit den Doktoranden Marijana Mikic und Mario Grill ethnische amerikanische Literatur mit einem kognitiven Ansatz.
Dabei konzentrieren sie sich auf Literatur, die von Autoren verfasst wurde, die einer amerikanischen ethnischen Minderheit angehören – zum Beispiel Afroamerikanern oder Muslime. Es geht darum, wie Schriftsteller versuchen, das Publikum für die Schicksale von Minoritäten zu interessieren. Ein Thema, das gerade heute wieder mehr an Bedeutung gewinnt.
Beispiel Toni Morrison
Denn das Lesen von Romanen kann beim Leser Empathie gegenüber den Protagonisten hervorrufen. Ein spannender Ansatz, denn die Empathie könnte so auch in Bezug auf andere Menschen geschult werden. „Literatur ermöglicht eine ganz besondere Art der Auseinandersetzung, da sie Leser dazu anregt, sich eine eigene und sehr persönliche Version der Romanwelt vorzustellen“, sagt von Mossner.
Das Projekt besteht großteils aus der Analyse von ausgewählten Schriftstücken, wie etwa dem Werk der Literaturnobelpreisträgerin Toni Morrison, einer der bedeutendsten Vertreterinnen der afroamerikanischen Literatur.
Wie lassen Autoren Empathie entstehen?
„Ein wichtiger Teil unserer Arbeit besteht zum Beispiel darin, sich anzuschauen, welche Strategien Autoren verwenden, um die Leser dazu einzuladen, Empathie gegenüber den Figuren zu empfinden”, erklärt die Amerikanistin.
„Unsere theoretische Arbeit stützt sich stark auf die Forschungsergebnisse der Kognitionswissenschaften der letzten 20 Jahre, darunter auch Studien, die untersucht haben, wie wir uns mit fiktionalen und narrativen Welten auseinandersetzen“, erzählt von Mossner über das Projekt.
Dass uns das Lesen über die Schicksale der Protagonisten empathischer macht, könnte man vermuten. Doch wie das genau funktioniert, ist die Frage, die von Mossner beschäftigt.
Aus der Erzählperspektive
Was verursacht eigentlich das Entstehen von Empathie beim Leser? Ob man sich in die Protagonisten hineinversetzen kann, liegt oft am Schreibstil. „Man kann ein und dieselbe Geschichte auf ganz verschiedene Arten erzählen”, meint von Mossner.
Toni Morrison beispielsweise verwendet in ihren Büchern Elemente aus dem magischen Realismus. Also Elemente, die zwar übernatürlich sind, von den Protagonisten allerdings nicht als solche behandelt werden. Trotz diesen „unnatürlichen“ Dingen oder Geschehnissen können Leser sich gut in ihre Protagonisten hineinversetzen.
Auch die Erzählperspektive spielt eine große Rolle beim Entstehen von Empathie: Erfährt man das Geschehen aus der Sicht einer Person? Oder mehreren? Wird in der Ich-Form erzählt oder aus der Sicht des allwissenden Autors?
Die imaginative Auseinandersetzung mit Literatur soll vor allem neue Perspektiven ermöglichen. So kann auch ein neues Verständnis für die Auswirkungen von Literatur auf das gegenwärtige politische Klima produziert werden.