Wir sind Feuer und Flamme, sitzen auf Nadeln oder wollen jemanden piesacken – viele noch heute verwendete Floskeln gehen auf Rechtspraktiken vergangener Jahrhunderte zurück. Uns ist dabei nicht immer bewusst, dass Phrasen dieser Art auf Folter- und Hinrichtungsmethoden zurückgehen. Gerlinde Gangl sammelte und dokumentierte für ihre Masterarbeit an der Universität Graz solche Redewendungen. „Das Ziel der Arbeit war es, den Bereich des Rechts in der gegenwärtigen, metaphorischen Alltagssprache auf möglichst repräsentative Weise abzudecken“, erklärt Gangl. Daher sammelte sie bildhafte Ausdrücke bzw. Redewendungen, legte eine Liste an und überprüfte schließlich deren Herkunft. „Als Quellen dienten mir diverses Zeitungs- und Online-Berichterstattungs-Material, die alltägliche Sprache in diversen Kommunikationssituationen, im Fernsehen und Radio. Zusätzlich zu diesen nahm ich verschiedene Nachschlagewerke und Sammlungen zu Redewendungen kritisch unter die Lupe und unterzog die Einträge einer tiefergehenden Analyse, wodurch sich entweder alternative oder völlig neue Erkenntnisse ergaben.“
Insgesamt hat Gerlinde Gangl 309 metaphorische Wendungen in ihre Lexikon-Sammlung aufgenommen und danach linguistisch/etymologisch (die Etymologie befasst sich mit der Herkunft, Geschichte und Bedeutung der Wörter, Anm.), aber auch historisch analysiert. Dazu setzte sie sich intensiv mit der Entstehung des Rechts auseinander und las historisches Quellenmaterial – wie etwa den Corpus Iris Civiliis oder die Constitutio Criminalis Theresiana, ebenso analysierte Gangl archäologisch/anthropologische Expertisen und bezog sie zur Untermauerung ihrer Thesen ein. Letztendlich ergaben sich 17 zentrale Sachgruppen des Rechts, die eine Bedeutung für die Alltagssprache haben (wie etwa Rechtsformeln, Delikte, Beweismittel und Ehrenstrafen).
Rechtspraktiken
Vor allem die beiden Gruppen Rechtssymbolik und Hinrichtung stellten sich als bedeutend heraus, Gangl ordnete ihnen 60 von mehr als 300 Belegen zu. Innerhalb der Gruppen lassen sich weitere Teilkomponenten bestimmen: „Innerhalb der ‚Rechtssymbolik‘ prägen vor allem symbolträchtige ‚Gestiken und komplexere Handlungen‘ die einzelnen Wendungen, während mit Blick auf die ‚Hinrichtung‘ insbesondere die zwei Exekutionsvarianten, ‚Erhängen‘ sowie ‚Dekapitation‘ (‚Enthauptung‘), den entscheidenden Einfluss auf unsere Sprache ausüben.“ Die meisten Ausdrücke und Redewendungen haben sich nachweislich erst im 18. und 19. Jahrhundert herausgebildet, manche reichen jedoch bis ins Altertum zurück, so Gangl weiters.
Wieso prägten gerade Folter- und Hinrichtungsmethoden unsere Sprache? „Zurückführen lässt sich dieser Umstand darauf, dass Hinrichtungen sowie brutale Körperstrafen oder auch Ehr- und Schandstrafen unter den Augen der Öffentlichkeit durchgeführt wurden.“, erläutert Gangl. Bei den Exekutionen sei die Bevölkerung dabei gewesen, dadurch haben sich diese Szenen regelrecht ins kollektive Gedächtnis eingebrannt, so Gangl weiters. Heute erfüllen die Floskeln jedoch eine andere Funktion: „Heute weisen die Metaphern mit Hinrichtungs-, Folter-, und Körperstrafen-Bezug eine hyperbolische Funktion auf, um Inhalte auf besonders eindringliche, übertriebene Art und Weise zu schildern oder um Argumente zu verstärken. Zum Beispiel, wenn wir sagen: ein Erlebnis brennt sich regelrecht ein; etwas hat weder Hand noch Fuß; eine Situation geißelt uns; oder es geht uns gefühlt an den Kragen, wenn wir einen Auftrag nicht erledigen.“
„Alle(r) guten Dinge sind drei„
Gangl nennt einige Redewendungen, etwa ‚in den Bau wandern‘. Die Herkunft lässt sich laut ihr auf Festungsarbeit zurückführen: „Mittels ‚Bau‘ wurde auf das Gefängnis bzw. den Festungsbau referiert, und ‚auf den Bau kommen‘ bedeutete ‚schwerer Festungsarbeit zugewiesen bekommen‘. Es handelte sich dabei um eine stark ehrenmindernde Strafform, die sich aus Arbeitszwang und Freiheitsentzug zusammensetzte.“
Die bekannte Wendung „alle(r) guten Dinge sind drei“ wiederum kommt aus dem Althochdeutschen: Thing und dinc bezogen sich laut Gangl auf die Gerichtsversammlung: „Vom realhistorischen Umstand motiviert, wo nach Vorschrift dreimal pro Jahr eine Gerichtsversammlung gehalten wurde und die/der Beschuldigte das Recht auf drei Verhandlungstage hatte, weist das Sprichwort ‚alle(r) guten Dinge sind drei‘ die positive, optimistische Bedeutung, die sich in Gelingen und Vollständigkeit manifestiert, auf.“
Das Sprichwort „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ gehe auf ein gesetzliches geprägtes Prinzip zurück, dass das Ziel verfolge, Willkürlichkeit in Bestrafungen aufzuheben, so Gangl: „Den vermutlich ältesten Vorläufer stellt der Codex Ur-Nammu dar, der nach dem sumerischen König benannt ist und ca. 2100 v. Chr. verfasst wurde. In diesem findet sich die Forderung, dass auf den Mord eines Mannes die Tötung des Mörders zu folgen habe. Der konkrete Bezug zum Auge taucht bereits im Codex Hammurapi des altbabylonischen Königs um das 18. Jh. v. Chr. insofern auf, als bei Zerstörung eines Auges auch der Täter als Strafe sein Auge einbüßt. Die Tora (1000–500 v. Chr.) und folglich die fünf Bücher Mose weisen u. a. die Forderungen ‚Auge für Auge‘ und ‚Zahn für Zahn‘ auf. Das 3. Buch Mose nennt schließlich das Prinzip ‚Auge um Auge, Zahn um Zahn‘.“
„Jemandem an den Kragen wollen“
„Jemandem an den Kragen wollen“ nimmt laut Gangl auf den Zweikampf Bezug, in welchem das Ziel darin bestand, den Gegner in den Würgegriff zu nehmen: „Die Verbindung mit der Zweikampfsituation lässt sich unter der Prämisse, dass ‚Kragen‘ als ‚Kleiderkragen‘ oder mhd. hovetgate (nach Sachsenspiegel I 63,1; Rechtsbuch des Eike von Repgow, entstanden zwischen 1220 und 1235., Anm.) konzipiert wird, herstellen. Im Zuge einer rechtlichen Handlung galt das anständige Anfassen – nicht gewaltsames Packen! – des Gewandkragens im Mittelalter als rechtmäßige Aufforderung zum Zweikampf.“
Zum Begriff ‚Gnadenschuss‘ erklärt Gangl folgende Herleitung: „Neben dem Gnadenstoß bestand bei der Hinrichtung am Scheiterhaufen die Option, das Leiden durch ein Schießpulver-Säckchen zu verkürzen, welches am Nacken der verurteilten Person fixiert wurde.“
Schlussendlich geht auch die Wendung ‚sich wie gerädert fühlen‘ auf eine Foltermethode zurück: „Der bildhafte Ausdruck gerädert geht auf die strafrechtliche Praxis des Räderns zurück, wodurch die verurteilte Person hingerichtet wurde. Diese Art der Hinrichtung ist bereits unter den Germanen bekannt und wurde bis ins 18. Jh. praktiziert. Gerädert wurden ausschließlich Männer, die sich des Mordes oder eines Majestätsverbrechens schuldig gemacht hatten.“